Nachgefragt: "Warum steigen Menschen trotz vorhandenen oder gar steigenden Umweltbewusstseins nicht auf Ökostrom um?"

Gastbeiträge , Klimawandel und Energiewende
Windrad mit Solarpanels

Obwohl das Bewusstsein für die Klimakrise und Umweltprobleme in den vergangenen Jahrzehnten in der deutschen Bevölkerung gewachsen ist, vollzog sich der Umstieg von fossilen Energiequellen auf erneuerbare Energie, wie z. B. Solarenergie, Wind- und Wasserkraft, nicht in demselben Maß. Guido Mehlkop, Professor für empirische Sozialforschung und zugleich stellvertretender Direktor des im Dezember 2022 gegründeten Institute for Planetary Health Behaviour an der Universität Erfurt, hat zu diesem Thema gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Robert Neumann von der TU Dresden jetzt eine weitere Studie veröffentlicht, die in der Fachzeitschrift „Energy Reserach & Social Sciences“ erschienen ist. Wir haben bei ihm nachgefragt: „Herr Professor Mehlkop, warum steigen Menschen trotz vorhandenen oder gar steigenden Umweltbewusstseins nicht auf Ökostrom um?“

Die Gründe, weshalb Menschen ihr Verhalten nicht ändern, sind vielfältig. Zunächst ist da der sogenannte Status-Quo-Effekt, den zum Beispiel Daniel Kahneman, Jack Knetsch und Richard Thaler in Experimenten nachgewiesen haben: Menschen haben eine starke Präferenz dafür, eine bestehende Situation nicht zu verändern. Sie wollen also, dass „Alles beim Alten bleibt“. Diese eher allgemeine und den meisten Menschen unbewusste kognitive Verzerrung macht Verhaltensänderungen gerade bei so langfristig angelegten und eher unspektakulären Dingen wie einem Stromvertrag per se unwahrscheinlicher.

Dazu kommt, dass viele Menschen – selbst wenn sie ein Umweltbewusstsein haben – vor den Kosten einer Verhaltensänderung und deren Konsequenzen zurückschrecken. Um vom sogenannten „grauen Strom“, der aus fossilen Energiequellen oder Atomkraft gewonnen wird auf den „grünen Strom“ aus erneuerbaren Energien, wie Wind-, Wasser- und Sonnenenergie, umzusteigen, muss ich den alten Vertrag kündigen, ich muss mir Gedanken über einen neuen Vertrag bzw. Anbieter machen, ich muss aktiv werden und den Vertrag wechseln, ich habe Befürchtungen, dass grüner Strom teurer sein könnte usw. Dies alles verursacht Kosten, wie Zeit und auch Geld. Forschende wie zum Beispiel Andreas Diekmann und Peter Preisendörfer, vermuten, dass Menschen nur dann ihr Umweltbewusstsein in entsprechendes Verhalten umsetzen, wenn sie dies als eine Niedrigkosten-Situation ansehen. Dies ist die sogenannte „Low-Cost-Hypothese“. Werden die Kosten der Konsequenzen der Verhaltensänderung allerdings von den Menschen subjektiv als hoch bewertet, dann ändern diese Menschen ihr Verhalten nicht.

Das Aufhalten oder Verlangsamen des Klimawandels ist ein sogenanntes „kollektives Gut“ – wenn wir dabei erfolgreich sind, profitieren wir alle davon. Oder anders ausgedrückt: Ist ein solches kollektives Gut, wie eine „saubere Umwelt“ und die Verhinderung des Temperaturanstieges einmal erreicht, dann kann kein Mensch davon ausgeschlossen werden, egal ob dieser Mensch durch sein Verhalten dazu beigetragen hat oder nicht. Genau diese Nichtausschließbarkeit kann aber zum „Trittbrettfahren“ führen und man denkt sich: „Wenn alle anderen Menschen ihr Verhalten ändern, dann wird der Klimawandel ja aufgehalten, auch wenn ich nicht dazu beitrage. Auf der anderen Seite: Wenn nur ich etwas ändere, aber die meisten anderen Menschen nicht, dann ändert sich ja nichts und ich habe nur Kosten zu tragen.“ Solche Überlegungen führen dazu, dass man selbst untätig bleibt und hofft, dass die anderen Menschen schon irgendwas tun werden. Wenn aber alle Menschen so denken, dann passiert nichts. Dieses Problem des Trittbrettfahrens kann, wie der Ökonom Mancur Olson bereits vor mehr als 50 Jahren ausgeführt hat, nur durch Zwang, also staatliche Maßnahmen oder selektive Anreize, also Belohnungen fürs Mitmachen, gelöst werden. In diesem Zusammenhang hört man auch oft: „Was können wir in Deutschland schon tun – in anderen Ländern wird doch viel mehr CO2 ausgestoßen“. Dies ist eine Rechtfertigung, nichts zu tun. Insbesondere mit solchen Phänomenen haben sich Robert Neumann von der TU Dresden und ich in unserer neusten Studie befasst: den sogenannten Neutralisierungen.  

Wenn ich weiß, dass es einen Klimawandel gibt, der durch menschliches Verhalten verstärkt wird, wenn mir dieser Klimawandel Angst oder Sorgen bereitet und wenn ich der Meinung bin, dass er aufgehalten oder zumindest verlangsamt werden muss, ich selbst aber mein eignes Verhalten nicht daran anpasse, dann entsteht etwas, das der Psychologe Leon Festinger „kognitive Dissonanz“ genannt hat. Dabei handelt es sich um ein schlechtes Gefühl, das aus dem Auseinanderfallen von meinen Einstellungen und meinem eigenen Handeln entsteht. Wenn ich nun aber eine Rechtfertigung vor mir selbst für meine Handlungen vorbringen kann, dann kann ich das Gefühl der kognitiven Dissonanz verringern, ich kann es neutralisieren. Typische Neutralisierungen für umweltschädliches Verhalten sind: „Egal wie man sich als Konsument verhält, die Umweltzerstörung wird weitergehen“; „Zum Wohle meiner Familie kann ich es mir nicht leisten, große Aufwendungen für den Umweltschutz zu tätigen“; “Die von mir persönlich verursachten Umweltschäden sind minimal“ oder „Gegen die Bevormundung von den Umweltschützern muss man sich zur Wehr setzen“. Diese Rechtfertigungen werden meist in sozialen Bezugsgruppen erlernt, sie müssen von diesen anerkannt werden und zur jeweiligen Situation passen. In unserer Studie haben wir Daten von knapp 3.500 Menschen aus einer repräsentativen Stichprobe in Deutschland ausgewertet. Die Menschen wurden zu fünf Zeitpunkten zwischen 2015 und 2019 gefragt, ob sie Ökostrom nutzen bzw. nutzen wollen, zudem wurden die Stärke des Umweltbewusstseins der Befragten gemessen, ob Freunde und Familie die Nutzung von Ökostrom erwarten sowie Alter, Geschlecht und Einkommen. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Menschen, die solche Neutralisierungsstrategien zur Verfügung haben, statistisch signifikant seltener zu Ökostrom wechseln und dass diese Neutralisierungen nicht nur das eigene „schlechte Gewissen“ beruhigen, sondern auch gegen Erwartungen des sozialen Umfelds, wie den Freunden und der Familie „immun machen“. Diese Effekte sind übrigens viel stärker als der Einfluss des Einkommens, der gar nicht signifikant war. 

Neumann, R. & Mehlkop, G. (2023). Neutralization strategies account for the concern-behavior gap in renewable energy usage – Evidence from panel data from Germany. Energy Research & Social Science99. https://doi.org/10.1016/j.erss.2023.103041

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