Prof. Dr. Ute Daniel

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Fellow am Max-Weber-Kolleg von August 2017 bis Juli 2018

u.daniel@tu-bs.de

  • Forschungsprojekt

Kulturgeschichte der Demokratie „von oben“ (19./20. Jh.)

Unübersehbar ist gegenwärtig die neue Attraktivität autoritärer Versprechungen – sowohl in europäischen als auch in außereuropäischen Ländern. Das „postdiktatorische Biedermeier“ (Martin Sabrow), das nach dem Zweiten Weltkrieg über den demokratischen Rechtsstaat als zukunftssichere Errungenschaft verfügen zu können glaubte, ist seinerseits Vergangenheit geworden. Und mit ihm der von curricularen Längsschnittvorgaben und in Projekten der politischen Bildung gepflegte Eindruck, die Geschichte laufe – ungeachtet einiger starker Ausschläge – auf parlamentarische Regierungsbildung und Rechtsstaat, auf Liberalität, Gewaltenteilung und allgemeines, gleiches und direktes Wahlrecht für alle zu.

Das wirft die Fragen auf, wie eigentlich seit der Französischen Revolution, die das Thema Demokratie auf die Agenda setzte, demokratische Bestrebungen und Forderungen wahrgenommen und – je nachdem – begrüßt oder bekämpft wurden; und wie dort, wo demokratische Verfassungen eingeführt wurden, über die real existierende Demokratie gestritten wurde, wie sie legitimiert oder de-legitimiert wurde. Dazu gibt es zahlreiche Einzelstudien, doch hat bisher niemand versucht, so etwas wie eine Kulturgeschichte der Demokratie über längere Zeiträume hinweg zu betreiben und die Aufs und Abs der Demokratie im jeweiligen zeitgenössischen Wertehorizont historisch auszuleuchten.

Mein Projekt soll diesen Fragen für das 19. und 20. Jh. nachgehen, um den akuell beobachtbaren Schwund an Selbstverständlichkeit und Legitimation der Demokratie historisch einordnen zu können. In meiner Zeit am Max-Weber-Kolleg möchte ich die deutsche und die britische Geschichte des 19. Jahrhunderts daraufhin untersuchen, wie demokratische Bestrebungen – damals in beiden Ländern vor allem solche, die eine Erweiterung und Verallgemeinerung des Wahlrechts anstrebten – wahrgenommen wurden. Die Geschichte dieser Bewegungen selbst, also etwa der sozialistischen bzw. sozialdemokratischen Parteien und der Frauenrechtsbewegungen, sind bereits vielfach untersucht. Doch wir wissen sehr wenig darüber, wie diese Bestrebungen „von oben“ wahrgenommen wurden, also aus der Sicht der damaligen „politischen Klassen“. Diese legitimierten ihre Positionen und Entscheidungsbefugnisse damals bekanntlich mit gänzlich anderen Werten als denen, die die Wahlrechts- und Demokratiebewegungen propagierten: In den deutschen Staaten und in Großbritannien war, wie in den meisten Staaten Europas, das politische System dynastisch verfasst, und zahlreiche Einschränkungen des Wahlrechts sorgten dafür, dass die weit überwiegende Mehrheit der besitzlosen Männer (und Frauen generell) von der politischen Partizipation ausgeschlossen waren. Wie, möchte ich wissen, nahmen sich Zumutungen und Bedrohungen, Chancen und Versprechungen demokratischer Entwicklungen „von oben“ gesehen aus? Wie also nahmen die Mitglieder der jeweiligen „politischen Klasse“ entsprechende Bewegungen und Verfassungsänderungen wahr? Wann und warum setzten sie Machtmittel – Militär, Polizei, Zensur und Kontrollen – ein, um demokratische Bestrebungen zu unterdrücken? Wann und warum inkorporierten sie Partizipationsforderungen in ihr politisches Handeln (etwa durch Wahlrechtserweiterungen)? Worin sahen sie jeweils die Legitimation für das eine oder das andere Verhalten? Was also waren ihre eigenen Vorstellungen legitimen bzw. notwendigen politischen Handelns, was waren ihre – expliziten oder impliziten – Gesellschaftstheorien? Was störte sie, was schätzten sie an der Demokratie?

Erst wenn wir die Antworten auf diese Fragen kennen, können wir ermessen, welches die Legitimationsprobleme der demokratischen Verfassungen waren, wie sie sich nach dem Ersten Weltkrieg verallgemeinerten. Diese Legitimationsprobleme zu untersuchen, ist dann die Aufgabe der zweiten Phase des Projekts.