Erfurter Diskussionspapiere Nr. 5

Liberale Prostitutionsgesetzgebung in Deutschland – eine rechtsethische Analyse

Prof. Dr. Elke Mack und Sr. Dr. Lea Ackermann1

Menschenhandel, der zu über 90 Prozent Frauen betrifft, hat in Deutschland trotz einer klaren Verfassungslage, die eigentlich Frauenrechte garantieren sollte, seit 2003 erheblich zugenommen.2 2019 haben die USA die Bundesrepublik im weltweiten Sicherheitsranking wegen unzureichender sicherheitspolitischer Maßnahmen gegen den ansteigenden Menschenhandel in Deutschland auf Stufe 2 herabgestuft. In der Einschätzung des amerikanischen Außenministeriums spielt sich dieser Menschenhandel hier insbesondere im Bereich der Zwangsprostitution ab.3 Dies ist nicht verwunderlich, denn Menschenhandel zielt fast ausschließlich das wirtschaftliche Angebot von ausländischen Frauen mit dem Zweck von deren körperlicher Ausbeutung in der Prostitution an. Es gibt hierzu zwei Bedingungen, die förderlich für Menschenhandel mit Frauen sind: Wohlstand mit ausreichender Kaufkraft und die rechtliche Legitimität von Prostitution. Menschenhandel ist umso verbreiteter je kaufkraftstärker Länder sind, allerdings nur dort, wo dies mit einer liberalen Gesetzgebung im Bereich der Prostitution gepaart ist.

Menschenhandel gedeiht in Staaten, in denen die strafrechtliche Verfolgung von Menschenhandel und Zwangsprostitution erschwert ist, weil diese Delikte aufgrund der Legitimität des Sexgewerbes kaum strafrechtlich geortet werden können. In Ländern hingegen, in denen ein Sexkaufverbot existiert, wie in Schweden, ist das Problem des Menschenhandels aufgrund des Verbotes der Wahrnehmung sexueller Dienstleistungen seit der Jahrtausendwende extrem zurückgegangen.4 Allein diese Tatsache, die aufgrund der zeitlichen Kongruenz die indirekte positive Wirkung des Sexkaufverbotes auf die Reduktion hoch kriminellen Menschenhandels deutlich belegt, ist bereits ein logisches Argument gegen die staatliche Legitimität von Prostitution, vor allem wenn die Würdeschutzverpflichtung des deutschen Grundgesetzes wirklich ernst genommen wird. Nach Auskunft diverser Sicherheitsbehörden hat sich die internationale Kriminalität nämlich gerade durch das 2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz ein weiteres Einfalltor in einen liberalen Rechtsstaat und vor allem nach Deutschland geschaffen.

In Deutschland ist mit der Liberalisierung der Gesetzgebung zur Prostitution nicht nur die im Sicherheitsinteresse der Gesamtbevölkerung liegende Verbrechensbekämpfung - vor allem gegen die internationale Kriminalität – hinten angestellt, sondern auch ein jedem Ökonomen bekanntes volkswirtschaftliches Gesetz missachtet worden. Es ist nämlich das Saysche Theorem eingetreten (geht auf Jean-Baptist Say und James Mill gegen 1803 zurück), das vielen Verantwortlichen bei der Einführung der Liberalisierung offensichtlich nicht bekannt war: Es gibt einen Kausalzusammenhang zwischen Angebot und Nachfrage auf allen Märkten, die offen sind. Das jetzt legitime gewerbliche Angebot im Sexgewerbe Deutschlands schafft sich seine Nachfrage (Kunden) selbst - und dies weltweit und in immer größerem Maße -, zumal die europäischen Nachbarstaaten die Prostitutionsnachfrage zunehmend verbieten (z.B. Frankreich 2017). Deutschland ist deshalb zum „Bordell Europas“5 und der Welt geworden, was ganz einfach eine logische Folge der rechtlichen Liberalisierung von gewerblicher Prostitution ist.

Denn in kaum einem Gewerbe bedarf es so weniger Investitionen wie im Prostitutionsgewerbe. Die Ware „arme ausländische Frau“ ist billig, endlos verfügbar und ohne Bürgerrechte auf deutschem Boden. Aufgrund dieser ökonomischen Tatsache sind in diesem Gewerbe zu über 90 Prozent Ausländerinnen tätig, die fast ausschließlich männliche Kunden bedienen. Viele dieser Ausländerinnen sind nach Erfahrungen aller Sozialstationen und fachspezifischen Hilfsorganen entweder unter falschen Vorstellungen nach Deutschland gekommen oder unter Zwang in Deutschland. Das Dilemma dieser ausländischen Frauen in der Prostitution besteht darin, dass sie neben ihren Sprachbarrieren die sofortige Abschiebung in ihre Heimatländer fürchten müssen, wenn sie den Mut besitzen, sich an die deutschen Sicherheitsbehörden zu wenden.

Aber selbst dann bleibt Prostitution per Definition ein System, in dem sich ein Mensch auf Kosten eines anderen Menschen eine isolierte Bedürfnisbefriedigung mit dem vermeintlichen Recht einer körperlichen Dominanzausübung erkauft. Weiterhin ist es ein System, das strukturell die Verleugnung und Unterdrückung der emotionalen, psychischen und sogar körperlichen Bedürfnisse der jeweils anderen Person zur Voraussetzung macht. Prostitution macht nämlich den Verzicht auf eine selbstbestimmte und an den eigenen Bedürfnissen orientierte Sexualität und damit die Selbstverleugnung der Frauen in der Prostitution bezüglich ihrer eigenen Bedürfniserfüllung zur Voraussetzung. Es geht nicht um deren Wohl, sondern ausschließlich um das Wohl der Kunden, die eine intime Dienstleistung für sich selbst fordern.

Prostitution erfordert aufgrund dieser inhärenten Struktur nach Auskunft aller mit ihr beschäftigten Psychotherapeuten und Sozialarbeiter*innen und gemäß einschlägiger Trauma-Studien6 eine systematische psychische Spaltung der eigenen Persönlichkeit. Frauen müssen Fremden intimen und aggressiven Zugang zum eigenen Körper, näher hin zu ihrer empfindlichsten und empfindsamsten, damit auch verletzlichsten Stelle gestatten. Es handelt sich darüber hinaus um Menschen, die sie in den seltensten Fällen näher kennen, zu denen sie kein Vertrauensverhältnis besitzen und die sie u.U. verletzen werden. Das sexuelle Eindringen durch Fremde findet dann auch noch in einer, häufig vom Unternehmer oder Zuhälter vorgegeben täglichen Quantität statt, die in aller Regel zu erheblichen Gesundheitsschäden führt. Man kann aufgrund dieser grundsätzlich erforderlichen Instrumentalisierung der Frauen in der Prostitution auch von einer „erlaubten Vergewaltigung“ sprechen, die immer gegen die Bedürfnisstruktur der Betroffenen gerichtet ist, sowohl was natürliche Bedürfnisse der Achtsamkeit, der Rücksichtnahme, der Zärtlichkeit im Umgang mit verletzlichen Körpern, der Reziprozität angeht als auch was den kulturell immer noch angenommenen Zusammenhang von Sexualität und Zuneigung oder Sympathie betrifft.

Psychologisch betrachtet ist deshalb Prostitution ein Preisgeben der eigenen Intimität auf Kosten der eigenen Identität.7 Sie kann von ihrem Prinzip her kein Ausdruck sexueller Selbstbestimmung sein, weil sie grundsätzlich immer mit einer fundamentalen Form der intimen Selbstausbeutung und systemisch mit der teilweisen Selbstaufgabe verbunden sein muss. Wenn Sie gewerbsmäßig bzw. über längere Zeit ausgeübt wird, führt sie zu einer fundamentalen psychischen und körperlichen Schädigung, die zwar nicht auf einen einzigen Täter zurückgeführt werden kann, aber in der Summe dieses schädigende Ergebnis für die betroffene Frauen in der Prostitution hat. Alle angegebenen Studien mit Betroffenen belegen, dass gewerbliche Prostitution fast mit Notwendigkeit zu körperlichen und psychischen Krankheiten führt. Wissenschaftliche Studien belegen alle das gleiche: die neurologischen Veränderungen bei Frauen in der Prostitution gleichen den von Folteropfern, das Sterblichkeitsrisiko ist bis zu 40 Mal höher als im Rest der Bevölkerung und sie haben überdurchschnittlich oft Angststörungen und schwere Depressionen.8

Deshalb ist die rechtliche Liberalisierung von Prostitution in demokratischen Rechtsstaaten als ein grober Verstoß gegen die Menschenrechte von Frauen bzw. auch Männern zu betrachten, da die Schädigung durch Prostitution trotz einer vermeintlichen Freiwilligkeit eine systemische Voraussetzung der Institution selbst bleibt und die gewerbliche Zulassung immer noch für ausbeuterische Zuhälterei und auch für Gewaltanwendung ein erhebliches Spielfeld bietet. Wie eine Überprüfung des Prostituiertenschutzgesetzes von 2017 gezeigt hat9, ist es aus systemischen Gründen von der Sache her nicht möglich, den persönlichen Schutz von Menschen in der Prostitution staatlicherseits zu gewährleisten. Es kommt einer Rechtsstaatsillusion gleich, Prostitution als einen regulären Beruf anzuerkennen und den Schutz der Menschen in der Prostitution sozialrechtlich garantieren zu wollen. Denn es muss nach der siebzehnjährigen Erprobung dieses rechtlich einzigartigen Fehlversuchs von einem völlig unzureichenden Schutz durch klassische berufliche Schutz- und Sozialrechte für die unumgängliche Selbst- und Fremdschädigung der Person in der Prostitution ausgegangen werden.

Ein Verbot der Wahrnehmung von Prostitution – vor allem im gewerblichen Bereich – ist von dieser Argumentation her aus dem Grundgesetz Artikel 1 ableitbar: Die Würde des Menschen ist unantastbar! Die Gewährleistung des Schutzes dieser Würde schließt nämlich ein Abwehrrecht und damit ein Instrumentalisierungsverbot von Menschen ein, das im Fall systematischer Selbst- und Fremdschädigung greift (in Analogie zum Verbot des Drogenhandels, der grundsätzlich schädlich für die Betroffenen ist). Ein rechtlich zwingendes Verbot der Prostitution gemäß Artikel 1 kann in einer aufgeklärten und liberalen Gesellschaft nur dadurch gerechtfertigt werden. Dies lässt sich jedoch durch eine systematische und systemisch inhärente Schädigung oder Gefährdung der sich prostituierenden Person belegen, welche durch alle seriösen psychologischen und medizinischen Studien bei Aussteigerinnen und Überlebenden der Prostitution erhärtet wird.

Deshalb muss es verfassungsgemäß zu einer für ein solches Verbot erforderlichen Rechtsgüter-Abwägung zwischen sexueller Freiheit von jedermann und dem Recht auf Würde, verbunden mit einem legitimen Schutzrecht jeder hiervon betroffenen menschlichen Person (ob Frau oder Mann) kommen. Auch letztere wird als Ganze durch den Artikel 1 des Grundgesetzes entsprechend ihrem Anspruch auf menschliche Würde geschützt, so dass sich nicht nur ein Abwehrrecht, sondern auch eine entsprechende Schutzpflicht des Staates gegenüber dem und der potentiell Geschädigten ableiten lässt. Die juristische Gewichtung des Schutzrechtes von Menschen in der Prostitution darf deshalb im öffentlichen Recht nicht ausgesetzt werden, wenn Menschen ihren Körper selbst bereit sind zu schädigen. Würde ist unabhängig von der Klientel, vom Geschlecht oder von der Nationalität zu gewähren und von Staats wegen gemäß Grundgesetz auch im Falle von institutioneller Selbstschädigung, jedoch noch mehr bei potentieller Fremdschädigung, zu gewährleisten.10

Der verfassungsgemäße Würdeschutz wäre gewährleistet, würden die genannten Güter auf andere Weise – z.B. durch Sozialgesetzgebung - geschützt werden können. Es entspricht allerdings einer Selbstüberschätzung des derzeitigen Gesetzgebers davon auszugehen, dass Menschen in diesem Gewerbe durch Arbeitszeitgesetze, Krankenversicherungsschutz oder Rentenansprüche vor einer derart existentiellen Verletzbarkeit bewahrt werden könnten. Denn es handelt sich um mit der Prostitution verbundenen Risiken der Gewalteinwirkung gegenüber menschlichen Körpern und um damit verbundenen Langzeitwirkungen wie chronische Krankheiten, extremer Lebensverkürzung und psychischen Traumata. Von Seiten der ethischen und theologischen Wissenschaft kann man sich diese Unterlassung staatlicher Schutzpflichte nur dadurch erklären, dass Gesetzgebung in demokratischen Parlamenten in so bürgerlicher Ferne und Distanz von Menschen in Not, Gewalt und Kriminalität stattfindet, dass Gefahren für Leib und Leben einfach verkannt und die hiervon betroffenen Menschen aufs Ärgste vernachlässigt werden.

Bei einer vernünftigen und rationalen Abwägung muss dem Personenschutz eindeutig der Vorrang geben werden. Denn Freiheit darf nicht auf Kosten von Sicherheit und Gesundheit anderer gehen, sondern muss gemäß Kant an der Freiheit des jeweils Anderen Halt machen, sonst ist sie eine Rechtspflichtverletzung. Solange der Gesetzgeber und die Exekutive mancher Staaten, wie der Bundesrepublik Deutschland, diese Rechtsverletzung nicht anerkennen, gibt es nicht nur aus der Perspektive der christlichen Ethik, sondern bereits von einer säkularen Rechtsmoral her einen ethischen Imperativ, den Schutz der Betroffenen gemäß dem Grundgesetz Artikel 1 einzufordern und höher zu gewichten als die sexuelle Freiheitsausübung auf Kosten anderer. Generell hat Freiheit nicht selten die Tendenz Mächtige zu bevorzugen. Und es ist nichts Ungewöhnliches in der Geschichte demokratischer Rechtsstaaten, den Schwächeren deshalb erst nach einer Zeit groben Unrechts den umfassenden Schutz zu gewähren, den die Opfer brauchen.

Denn trotz aller Gleichstellungserfolge in der westlichen Welt verbleibt bei der Prostitution ein Feld der Gewalt gegenüber Frauen, dessen Unrechtmäßigkeit und moralisches Unterdrückungspotential zumindest in der deutschen Gesellschaft noch nicht ausreichend erkannt ist. Hier geht es nach langjährigen Recherchen um Menschenrechtsverletzungen von Frauen, die in unserer gesellschaftlichen Mitte von Millionen von Freiern und Zuhältern ihnen gegenüber ausgeübt werden. Vor allem Deutschland ist aufgrund seiner liberalen Prostitutionsgesetzgebung seit 2002 zum bevorzugten Zielland von Menschenhandel und zum tragischen Zielland derjenigen Frauen geworden, die in der Prostitution endeten. Um die Opfer kümmern sich viele Hilfsorganisationen und Sozialarbeiter*innen. Für diese Fachleute vor Ort gibt es keine freiwillige Prostitution, denn All diejenigen, die der Prostitution einmal gewerbsmäßig nachgegangen sind und es geschafft haben auszusteigen, bezeichnen sich selbst als „Überlebende“.11 Alle bestätigen, dass freiwillige Prostitution eine Illusion sei, und widersprechen der staatlich in Deutschland geltenden “Wertfreiheit”, sowie der Möglichkeit der Legitimität von sexueller Dienstbarkeit.

Das Skandalon, dass es staatlich geförderte Einstiegshilfen in den Beruf der Prostitution gibt, aber keine geeigneten Rechtsansprüche auf Opferschutz und auf Ausstiegshilfen, entspringt dem Nichtwissen vieler bürgerlicher Entscheidungsträger aller Parteien über das tatsächliche Schicksal der Betroffenen. Es liegt zudem in einer gesellschaftlichen Tabuisierung seit den 60er Jahren begründet, keine öffentlichen normativen Grenzen in Fragen der Sexualmoral zu ziehen, sondern Sexualität ausschließlich als Privatsache zu betrachten, obwohl sie in der Regel eine Interaktion zwischen zwei Menschen darstellt, bei der die Verletzung des/der jeweils schwächeren Person nicht ausgeschlossen werden kann.

Das Recht auf sexuelle Bedürfnisbefriedigung (vor allem bei Männern, auch bei Behinderten), wird in der öffentlichen Meinung deshalb nicht selten höher gewertet als die dadurch gleichzeitige erforderliche Bedürfnisunterdrückung der hierzu notwendigen weiblichen oder männlichen Menschen in der Prostitution. Es wird deshalb auch darüber weggesehen, dass die vermeintliche Freiwilligkeit des Verkaufs des eigenen Körpers in der überwiegenden Mehrheit armutsbedingt ist, und dass in fast allen Fällen eine Ausweglosigkeit der Betroffenen mangels besserer beruflicher Alternativen oder mangels eines geeigneten Aufenthaltstitels in Deutschland vorliegt. Dies erklärt auch, warum in Deutschland fast ausschließlich ausländische Frauen aus sehr viel ärmeren Ländern in der Prostitution sind, die nicht selten unter Vorgabe falscher Perspektiven nach Deutschland gelockt wurden.

Die derzeit im internationalen Vergleich besonders abweichende, nämlich extrem liberale, Rechtsauffassung der Bundesrepublik Deutschland, wird in jedem Jahr aus einer internationalen Perspektive skandalöser. Denn eine falsch verstandene Liberalität des Rechtsstaats zugunsten einer Täter-Gruppe produziert systematisch immer mehr Opfer, die dann nur unzureichend im Transfersystem des Sozialstaats aufgefangen werden oder in den meisten Fällen gleich ins Ausland abgeschoben werden, sobald sie aus dem Gewerbe aussteigen. Die durch den Außenminister Deutschlands initiierte Resolution vom 23. April 2019 im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu „Sexueller Gewalt im Konflikt“12 übersieht in sträflicher Weise die versklavende Gesetzeslage im eigenen Land, die sexuelle Gewalt legalisiert, kultiviert und salonfähig macht, ebenso wie sie nachweislich vermehrt globalen Menschenhandel mit dem Ziel Deutschland und internationale Kriminalität anreizt. Die USA sehen diese Widersprüchlichkeit in der deutschen Gesetzeslage seit über zehn Jahren, ohne Gehör zu finden.13 Analog bestätigte das italienische Verfassungsgericht in Rom die Verfassungsgemäßheit des Verbots der gewerblichen Prostitution in Italien, weil diese der Würde der Frau widerspricht.14 Ebenso hat bereits zu Beginn 2019 das französische Verfassungsgericht das Prostitutionsverbot in Frankreich als verfassungskonform erklärt.15 Das Europäische Parlament empfiehlt ein Verbot der Prostitution für alle Mitgliedsstaaten der EU bereits seit 2014 und sieht in der Prostitution einen Verstoß gegen die menschliche Würde.16 Es empfiehlt deshalb allen Mitgliedsstaaten ein Sexkaufverbot in Form des Nordischen Modells (ebd. Nr.32).

Fazit:

Um die Verhinderung und die Ächtung sexueller Gewalt zu erreichen, ist der Friedensnobelpreis 2018 an Frau Nadia Murad, eine Jesidin aus dem syrisch-irakischen Grenzgebiet, und an Herrn Dr. Denis Mukwege aus der demokratischen Republik Kongo gegangen. Beide haben sich zur Lebensaufgabe gemacht, sexuelle Gewalt als Verbrechen anzuerkennen und öffentlich zu machen. Es soll dadurch in der Weltöffentlichkeit bekannt gemacht werden, wie wenig bewusst diese Menschenrechtsprobleme sind. Kein Staat kann sich im Sinne der Verteidigung der Menschlichkeit aus der gesellschaftlichen Verantwortung für Frauen und für die Opfer sexuellen Missbrauchs herausnehmen. Denn auch offene Gesellschaften brauchen eine begründbare und humane Sexualmoral, bei welcher der Konnex von verfassungsrechtlich gebotener Achtung der Würde menschlicher Personen und einer sexuell freien Bedürfnisbefriedigung, jedoch ohne Instrumentalisierung anderer (!), auch in der Rechtsprechung eine substantielle Rolle spielen muss. Hierzu sollten die Möglichkeiten und Grenzen der körperlichen und psychischen Instrumentalisierung und der Gesundheitsschädigung durch sexuellen Missbrauch medizinisch genau bestimmt, benannt und gesetzlich verurteilt werden. Sexualität ist nämlich nicht nur Privatsache, sondern, gepaart mit Gewalt und Machtausübung, immer auch ein Instrument der Unterdrückung, des Missbrauchs und der Menschenrechtsverletzung. Es ist vor allem wichtig, juristisch und sozialwissenschaftlich genau festzuhalten, dass diese sexuelle Gewalt nicht nur in Fällen von Vergewaltigung geschieht, sondern auch durch das Institut der gewerblichen Prostitution stattfindet. Insofern ist es nicht nur privat, sondern auch im Rahmen liberaler Rechtsstaaten unverzichtbar, rechtsethisch relevante Grenzen sexueller Befreiung zu bestimmen, um den Opfern von Menschenhandel und den – kulturgeschichtlich betrachtet - letzten Opfern der Versklavung in unserer eigenen Gesellschaft ihr Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit zu gewähren, nämlich den Menschen in der Prostitution.

Das ethische Fazit bezüglich der Prostitution lautet deshalb nicht nur nach Maßgabe bürgerlichen Rechts, sondern noch viel mehr entsprechend dem menschenrechtlich zustehenden Würdeschutz jeder menschlichen Person gegenüber: Prostitution ist nicht ein Ausdruck sexueller Freiheit, sondern führt aufgrund der strukturellen Instrumentalisierung einer Person immer zu dauerhaften Schäden und zur systematischen Menschenrechtsverletzung der Person in ihrem Kern. Deshalb muss die juristische Möglichkeit des Kaufs von sexuellen Dienstleistungen auch in Deutschland als Grundrechtsverletzung (Art. 1 GG) und als Unrecht gelten. Ein Sexkaufverbot ist aus Gründen des Menschenrechtsschutzes - wie in Schweden, Norwegen, Island, Frankreich und anderen zivilisierten Rechtsstaaten – gesetzlich festzulegen.

Ethisch besteht die Hoffnung, dass die strukturelle Würdeverletzung durch Prostitution eine sich in der westlichen Welt langsam ausbreitende kulturelle und zivilisatorische Einsicht ist. Es ist deshalb überfällig, dass diese ethische Einsicht auch in Deutschland ein gesellschaftliches Bewusstsein nach sich zieht, das andere westliche Gesellschaften bereits haben, und dass dementsprechend entweder auf dem Klageweg gegen die derzeitige Gesetzeslage und würdeverletzende Praxis der Prostitution vorgegangen wird (Verfassungsklage in Deutschland oder Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte) oder die derzeitige Regierung oder relevante Teile des Bundestags ihrer Handlungspflicht genügen und entsprechende Gesetzesinitiativen einbringen.


 


 

1 © Mack, Elke und Ackermann, Lea, online veröffentlicht unter: MackAckermannProstitution.pdf (work in progress, wird jeweils aktualisiert)

2 Vgl. Lorenz Maroldt, BKA: Menschenhandel nimmt deutlich zu, Berlin 2018, online: www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/ausbeutung-in-deutschland-bka-menschenhandel-nimmt-deutlich-zu/22888048.html (abgerufen am: 29.5.2019).

3 Vgl. Anette Dowideit / Silke Mülherr, USA kritisieren Deutschland wegen mangelnder Bekämpfung des Menschenhandels, Berlin 2019, online: www.welt.de/politik/ausland/article195614955/Kriminalitaet-USA-kritisieren-Deutschland-wegen-mangelnder-Bekaempfung-des-Menschenhandels.html= socialmedia.email.sharebutton (abgerufen am: 24.6.2019).

4 Im aktuellen UNHCR Trafficking Report nimmt Schweden wieder einmal den Platz 1 im weltweiten Ranking ein. Vgl. United States Department of State, 2018 Trafficking in Persons Report – Sweden, Washington D.C. 2018, online: www.refworld.org/docid/5b3e0a6ca.html (abgerufen am: 7.5.2019).
5 https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/bordell-deutschland-milliardengeschaeft-prostitution-102.html (abgerufen am 14.10.2019)
6 Vgl. die Initiative TraumatherapeutInnen gegen Prostitution, initiiert durch Dr. Ingeborg Kraus und Michaela Huber, Der Apell, 2014, online: www.trauma-and-prostitution.eu/der-appell/ (abgerufen am: 8.5.2019);

Zum weiteren Stand internationaler Forschung zu Prostitution und Trauma: Vgl. Melissa Farley, Prostitution and Traficking in Nine Countries: An Update on Update on Violence and Posttraumatic Stress Dissorder, 2004, online: www.trauma-and-prostitution.eu/2014/12/04/studie-von-melissa-farley-zu-prostitution-und-menschenhandel/ (abgerufen am: 8.5.2019); Sybille Zumbeck, Die Prävalenz traumatischer Erfahrungen, Posttraumatischer Belastungsstörung und Dissoziation bei Prostituierten. Eine explorative Studie, 2001; Ross, Colin Ross / Melissa Farley / Harvey Schwartz, Dissociation Among Women in Prostitution, in: Journal of Trauma Practice, 2/2004, 199-212; Katherine Cascio, Providing trauma-informed care to women exiting prostitution: assessing programmatic responses to severe trauma, 2018, online: https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/ 15299732.2018.1502713 (abgerufen am: 8.5.2019).

7 Vgl. hierzu die Spezialsendung Aktenzeichen XY vom 27.03.2019, online: www.trauma-and-prostitution.eu/category/wissenschaftliche-texte/gewalt/ (abgerufen am: 8.5.2019) und Frank Rauscher, „Bordell Deutschland“: diese TV-Doku wird für Aufsehen sorgen, 2017, online: www.prisma.de/news/TV-Doku-Bordell-Deutschland-Prostitution-gefaehrlicher-als-Krieg,15989489 (abgerufen am: 8.5.2019) sowie: Ärzte Zeitung, Prostituierte haben überdurchschnittlich oft Angststörungen und Depressionen, 2010, online: www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/neuro-psychiatrische_krankheiten/depressionen/article/ 587330/prostituierte-ueberdurchschnittlich-oft-angststoerungen-depressionen.html (abgerufen am: 8.5.2019).
8 Vgl. hierzu die Spezialsendung Aktenzeichen XY vom 27.03.2019, online: www.trauma-and-prostitution.eu/category/wissenschaftliche-texte/gewalt/ (abgerufen am: 8.5.2019) und Frank Rauscher, „Bordell Deutschland“: diese TV-Doku wird für Aufsehen sorgen, 2017, online: www.prisma.de/news/TV-Doku-Bordell-Deutschland-Prostitution-gefaehrlicher-als-Krieg,15989489 (abgerufen am: 8.5.2019) sowie: Ärzte Zeitung, Prostituierte haben überdurchschnittlich oft Angststörungen und Depressionen, 2010, online: www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/neuro-psychiatrische_krankheiten/depressionen/article/ 587330/prostituierte-ueberdurchschnittlich-oft-angststoerungen-depressionen.html (abgerufen am: 8.5.2019).
9 Die kleine Anfrage der FDP-Fraktion hat 2019 ergeben, dass das Prostituiertenschutzgesetz der Bundesrepublik Deutschland weitgehend wirkungslos ist. Vgl. Süddeutsche Zeitung, Gesetze zum Schutz von Prostituierten weitgehend wirkungslos, München 2019, online: www.sueddeutsche.de/politik/prostitution-sozialversicherung-schutz-wirkung-1.4334659 (abgerufen am: 8.5.2019).
10 Diese Position setzt sich bewusst ab von der Auslegung des Artikel 1 durch das Berliner Verwaltungsgericht: „[…] die staatliche Verpflichtung zum Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG) darf nicht dazu missbraucht werden, den Einzelnen durch einen Eingriff in die individuelle Selbstbestimmung gleichsam vor sich selbst zu schützen.“ (Berlin, Urteil vom 1. Dezember 2000, VG 35 A 570.99). Diese restriktive Auslegung des Artikel 1 bedarf aus einer ethischen Perspektive dringend der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht, zumal im Fall der Prostitution eine Kombination von Selbstschädigung und Fremdschädigung bzw. Instrumentalisierung vorliegt.

11 Vgl. Lea Ackermann, Vorsitzende von Solwodi e.V. (Solidarity for women in distress), online: solwodi.de.
12 Vgl. United Nations Security Council, Resolution 2467, New York 2019, online: www.un.org sexualviolenceinconflict/wp-content/uploads/2019/04/resolution/resolution-2467-2019/S_RES_24672019_E.pdf (abgerufen am: 20.5.2019).
13 Vgl. Dowideit / Mülher, USA kritisieren Deutschland, Berlin 2019, online: www.welt.de/politik/ ausland/article195614955/Kriminalitaet-USA-kritisieren-Deutschland-wegen-mangelnder-Bekaempfung-des-Menschenhandels.html?wtrid=socialmedia.email.sharebutton (abgerufen am: 24.6.2019).
14Vgl. Consulta online, Sentenza 141, 2019, online: www.giurcost.org/decisioni/2019/0141s-19.html (abgerufen am: 24.6.2019).

15 Vgl. Terre des femmes (Menschenrechte für die Frau e.V.), Französisches Verfassungsgericht erklärt Sexkaufverbot als verfassungskonform!, 2019, online: https://www.frauenrechte.de/unsere-arbeit/themen/frauenhandel/aktuelles/3635-franzoesisches-verfassungsgericht-erklaert-sexkaufverbot-als-verfassungskonform (abgerufen am: 22.6.2020).
16Vgl. Europäisches Parlament, Bericht über sexuelle Ausbeutung und Prostitution und deren Auswirkung auf die Geschlechter, 1. und 32., Brüssel 2014, online: www.europarl.europa.eu/sides/ getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+REPORT+A7-2014-0071+0+DOC+XML+V0//EN (abgerufen am: 25.6.2019).