Geisteswissenschaften erscheinen insbesondere dann diskussionswürdig, wenn sie sich in der Krise befinden. Beklagt wird, was ihnen fehlt, was sie nicht tun oder nicht leisten. Was aber passiert tatsächlich Tag für Tag am Schreibtisch? In den Seminarräumen und Vorlesungssälen? In Bibliotheken und Archiven? In den Büros und Sekretariaten? In ihrem Buch über Geistesarbeit (Suhrkamp, 2022) suchen Steffen Martus und Carlos Spoerhase alternative Zugänge zum Alltag geisteswissenschaftlicher Aktivitäten, um die soziale Dimension der nur scheinbar einsamen Forschungstätigkeit besser zu verstehen. Sie legen Wert auf Spielräume, die bei der Ausgestaltung und vor allem auch bei der Bewertung von wissenschaftlicher ‚Geistesarbeit‘ ständig genutzt werden. Die Studie basiert auf bislang unbekannten Archivmaterialien und zieht eine Linie von der Modernisierung der Universität in den 1960er Jahren bis zu den Debatten der Gegenwart. Im Ergebnis wird die unscheinbare Geistesarbeit der Geisteswissenschaften als ein ebenso voraussetzungsreiches wie empfindliches Gefüge von Praktiken erkennbar.