"Wir wollen menschliches Verhalten verstehen, um Gesundheit zu fördern, das Klima und die Umwelt zu schützen"

Gastbeiträge , Klimawandel und Energiewende , Vorgestellt
Weltkugel mit Stetoskop

An der Universität Erfurt wurde im Dezember 2022 das Institute für Planetary Health Behaviour (Institut für klimagesundes Verhalten, kurz: IPB) als neue zentrale wissenschaftliche Einrichtung gegründet. Nun hat das IPB seine Arbeit aufgenommen – mit dem Ziel, künftig Forschung zu klimagesundem Verhalten voranzutreiben und die Ergebnisse für die Öffentlichkeit und Politik einfach zugänglich zu machen. "WortMelder" hat bei der Gründungsdirektorin Prof. Cornelia Betsch und der Geschäftsführerin Dr. Mirjam Jenny einmal genauer nachgefragt, was eigentlich klimagesundes Verhalten meint und welchen Beitrag das neue Institut for Planetary Health Behaviour an der Universität Erfurt dazu beitragen kann. Hier kommt ihre Antwort: 

Klimagesundes Verhalten bedeutet, dass man Dinge tut, die sowohl das Klima und die Umwelt schützen, als auch die eigene Gesundheit fördern. Klimawandel und Umweltzerstörung gelten als die größte Gesundheitskrise der kommenden Jahrzehnte. Sie führen zu verschiedenen gesundheitlichen Problemen und Krisen wie Pandemien, einer reduzierten Lebensmittelverfügbarkeit und -qualität, Atemwegserkrankungen oder psychischen Krankheiten (Romanello et al., 2022). Langfristig schützen wir also mit mehr Klimaschutz auch unsere Gesundheit. Am Institute for Planetary Health Behaviour wollen wir menschliches Verhalten verstehen, um Gesundheit zu fördern und das Klima und die Umwelt zu schützen. Dabei rücken wir neben individuellem Verhalten auch die Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen in das Zentrum des Interesses und die Bereitschaft, sich klimapolitisch einzubringen.

Warum es für die Erforschung und Förderung von klimagesundem Verhalten ein eigenes Institut braucht? Das liegt an der Größe und Komplexität der Aufgaben. Weder Klimaschutz noch Gesundheitsförderung können durchdrungen werden, indem sie durch die Linse einer einzigen Disziplin betrachtet und verstanden werden. Deshalb schließen wir uns am IPB fachübergreifend zusammen, um klimagesundes Verhalten aus psychologischer, kognitionswissenschaftlicher, soziologischer, bildungswissenschaftlicher und kommunikationswissenschaftlicher Perspektive zu untersuchen. Darüber hinaus bilden wir über bestehende und neue Netzwerke Brücken in die Klima- und Umweltwissenschaften, die Medizin und Gesundheitsforschung, die Ökonomie, die Politikwissenschaften und andere relevante Forschungsbereiche. Diese multidisziplinäre Herangehensweise ist dabei nicht selbstverständlich. Der politische Umgang mit Krisen, die stark von unserem individuellen Verhalten und den gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen auf Systemebene abhängen, wird typischerweise vor allem aus genau diesen Perspektiven betrachtet. Das äußert sich z.B. darin, dass Beratungsgremien der Politik selten über verhaltens- und kommunikationswissenschaftliche Expertise verfügen, wie eine aktuelle Analyse von klimafakten.de zeigt. Neue politische Maßnahmen werden deshalb oft v.a. dahingehend untersucht, ob sie politisch erreichbar, ökonomisch sinnvoll oder juristisch abgesichert sind. Dies lässt aber eine wichtige Perspektive außer Acht: die systematische Betrachtung des Menschen in seiner Umwelt – was er fühlt, denkt, weiß, will und wie er handelt. Diese eng fokussierte Herangehensweise führt auch dazu, dass eine begleitende Kommunikation oft nicht von Anfang an mitgedacht, sondern eher hinten angestellt wird. 

Die Wissenschaftler*innen des IPB sind davon überzeugt, dass Klimaschutz und Gesundheitsförderung zusammen und vom Menschen her geplant und wirksam kommuniziert werden müssen. Maßnahmen sollten so gestaltet werden, dass die Gesellschaft sie langfristig trägt, dass Bürger*innen Strategien und Lösungen aktiv mitgestalten können. Und damit dies gelingt, müssen Maßnahmen zum Schutz von Klima und Gesundheit verhaltenswissenschaftlich durchdacht sein (Graalmann et al., 2023; Jenny & Betsch, 2022). Das IPB möchte den wissenschaftlichen Austausch in diesem Bereich fördern und die Politik und Kommunikator*innen mit Erkenntnissen unterstützen.

Deshalb untrersuchen wir aus interdisziplinärer Perspektive u.a. folgende Fragen:

  • Wie können wir die Handlungsbereitschaft gegen die Klimakrise verstehen und verändern? Welche Rolle spielen erlebte Risiken, soziale Normen, Leugnung, andere kognitive Prozesse, Routinen? Welche Rolle spielen Konsequenzen für die eigne Gesundheit vs. die Gesundheit Anderer bei Gesundheitsentscheidungen? Wie erklärt es sich, dass Menschen nicht handeln, obwohl sie dazu bereit sind? 
  • Wie wirken politische Maßnahmen zum Klima- und Gesundheitsschutz, wie werden sie akzeptiert und welche möglichen sozialen oder psychologischen Folgen gibt es?
  • Wie kann man professionelle Gespräche von Multiplikator*innen (z.B. Ärzt*innen) verbessern, z.B. in der Aufklärung über wissenschaftliches Wissen, Klimaschutz, aber auch hinsichtlich der Entkräftung von Falschinformationen?
  • Wie kann man Falschinformationen entkräften, die Resilienz dagegen stärken und Wissenschaftskompetenz schon ab dem Schulalter fördern? Wie kann anti-aufklärerischen Tendenzen in der Gesellschaft entgegengewirkt werden?
  • Welche Rolle spielen die Medien - z.B. das durch soziale Medien veränderte Verhältnis zwischen Journalismus und Publikum bei der gesellschaftlichen Polarisierung?

Unsere Forschung soll zur Theoriebildung im Bereich klimagesundes Verhalten und -kommunikation beitragen. Sie soll kommunikations-, sozial- und verhaltenswissenschaftliche Evidenz zu Klima- und Gesundheitsverhalten liefern. Diese Evidenz stellen wir der Wissenschaft und Öffentlichkeit zur Verfügung. Zusätzlich ermöglichen wir durch systematische Wissenschaftskommunikation die Verwendung der Evidenz in der Maßnahmengestaltung und Kommunikation.

Die am Institut beteiligten Wissenschaftler*innen sind zum Teil auch am Master-Studiengang Gesundheitskommunikation beteiligt – Studierende werden so stets in aktuelle Forschungsarbeiten und Themenbereiche einbezogen. Neben den klassischen Bereichen der Lehre und Forschung arbeiten wir am IPB zusätzlich mit Politik und Gesellschaft zusammen, um Gesundheitsförderung und Klimaschutz zusammen und vom Menschen her planbar zu machen. Science2Society bildet am IPB eine eigene Säule mit dem Ziel, den Wert von Wissenschaft als politische und gesellschaftliche Entscheidungsgrundlage zu stärken und Austausch-Prozesse zwischen Journalist*innen, Politiker*innen, Bürger*innen und Wissenschaftler*innen zu fördern. Das IPB schlägt damit die Brücke zu wissenschaftlichen Einrichtungen, die naturwissenschaftliche und biomedizinische Forschung zu Klima und Gesundheit betreiben, und Allianzen, die Klima- und Gesundheitsschutz politisch platzieren. Wir stellen diesen Akteuren verhaltenswissenschaftliche Werkzeuge bereit, um zu einer klimagesunden Zukunft beizutragen.

Quellen
  • Graalmann, J., Hirschhausen, E. von, & Blum, K. (Hrsg.). (2023). Jetzt oder nie: Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen: Ökologisch. Ökonomisch. Menschlich. Digital. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.
  • Jenny, M. A. & Betsch, C. (2022). How large-scale behavioural data can support climate action and system-level change.
  • Romanello, M., Di Napoli, C., Drummond, P., Green, C., Kennard, H., Lampard, P., Scamman, D., Arnell, N., Ayeb-Karlsson, S., Ford, L. B., Belesova, K., Bowen, K., Cai, W., Callaghan, M., Campbell-Lendrum, D., Chambers, J., van Daalen, K. R., Dalin, C., Dasandi, N., … Costello, A. (2022). The 2022 report of the Lancet Countdown on health and climate change: Health at the mercy of fossil fuels. The Lancet, 400(10363), 1619–1654. doi.org/10.1016/S0140-6736(22)01540-9