Arbeitswelten der Zukunft #1: Prof. Dr. Regina Möller – Zur Rolle der universitären Ausbildung für zukünftige Arbeitsfelder

Gastbeiträge

Das neue Wissenschaftsjahr des Bundesministeriums für Bildung und Forschung widmet sich 2018 dem Thema „Arbeitswelten der Zukunft“. Es soll „erkunden, welche Chancen sich eröffnen und vor welchen Herausforderungen wir stehen“. Forschung, Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur suchen gemeinsam nach Antworten auf Fragen zu den Arbeitsplätzen von übermorgen. Auch die Universität Erfurt beteiligt sich mit einer Beitragsreihe wieder am Themenjahr des BMBF und geht dabei aus geisteswissenschaftlicher Sicht der Frage auf den Grund, wie sich zukünftige Arbeitswelten gestalten werden. Welche Ängste bringen Digitalisierung und Robotik mit sich? Wie haben sich Berufe gewandelt, beispielsweise der Lehrberuf, die Arbeit in Bibliotheken und Archiven oder die Tätigkeit des Forschers selbst? Was ist Arbeit überhaupt, etwa lediglich die Erwerbstätigkeit oder nicht doch alles, was uns im Leben prägt, von familiären und freundschaftlichen Beziehungen bis hin sogar zur Muße? Welche Rolle spielen zukünftig Internationalisierung, Ehrenamt, ständige Leistungssteigerung und Work-Life-Balance? Und wie müssen sich Unternehmen verändern, um zukunftsfähig zu bleiben? Diese und weitere Fragen sollen in der Textreihe „Arbeitswelten der Zukunft – Beiträge der Universität Erfurt zum Wissenschaftsjahr 2018“ diskutiert werden.

Den Auftakt macht Prof. Dr. Regina Möller, Vizepräsidentin für Studienangelegenheiten, Gleichstellung und Diversität. Am Beispiel der Uni Erfurt zeigt sie auf, wie Hochschulen ihre Studierenden auf deren zukünftiges Arbeitsleben vorbereiten müssen:

Prof. Dr. Regina Möller
Prof. Dr. Regina Möller

Das Thema des BMBF-Wissenschaftsjahrs 2018 „Arbeitswelten der Zukunft“ gibt Anlass, über die Rolle der Universität Erfurt als einen Ort der Bildung in Bezug auf das spätere Berufsleben zu reflektieren. Tatsächlich ist ja jede Bildungsstätte ein Ort für in die Zukunft gerichteten Kompetenzerwerb.

Im Thüringer Hochschulgesetz (§ 40 Ziele des Studiums) heißt es u. a. dazu „Lehre und Studium sollen die Studierenden auf eine berufliche Tätigkeit einschließlich unternehmerischer Selbständigkeit vorbereiten…“. Die Aufgabe der Universität Erfurt liegt also nicht generell in einer spezifischen Berufsausbildung für bestimmte Arbeitsfelder, sondern darin, auf mögliche, sicher heute in vielen Fällen nicht im Einzelnen benennbaren Arbeits- und Wirkungsfelder, bestmöglich vorzubereiten. Das bedeutet, solche Kompetenzen in der Lehre im Fokus zu haben, die die Studierenden später befähigen, auch Neuem kompetent zu begegnen.

Universitäten sind, historisch gewachsen, per se Orte der Bildung. Allerdings stellen moderne Tendenzen das Theorie-Praxis-Problem so weit in den Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit, dass die Theorie, für sich genommen, oft nur noch als ein unvollständiger Teil des Ganzen betrachtet wird. Damit einher geht häufig die Vorstellung, ohne Praxisbezug sei auch akademische Lehre unzureichend.

Nach wie vor sind Universitäten jedoch keine Orte, an denen die akademische Lehre das primäre Ziel verfolgt, auf bestimmte Berufe hin auszubilden. Vor dem Hintergrund komplexer werdenden Alltags könnte man im Gegenteil den Standpunkt einnehmen, dass besagte zunehmende Komplexität aller Lebensbereiche dafürspricht, den theoretischen Wissensbestand in den Studienfächern zu erweitern. Denn dadurch würde man zum einen junge Menschen dazu befähigen können, auf der Basis eines breiteren Fundaments künftigen Arbeitswelten zu begegnen. Auf der anderen Seite könnte man in Form von Spezialisierungen sicherstellen, dass Studierende sich auch auf sehr spezielle und Expertenwissen voraussetzende Berufe vorbereiten können.

Auf der Folie vorhandener Studienrichtungen und die Zukunftsfähigkeit unserer Absolventen im Blick, kann folgende Schlussfolgerung gelten: Die Universität Erfurt bereitet nur insofern auf die zukünftigen Arbeitswelten vor, als sie solche Schlüsselkompetenzen im Studium in dem Mittelpunkt stellt, die der immer größer werdenden Komplexität Rechnung tragen. Weiterhin muss ein Studium Zeit für Reflexionen bieten, um die Befähigung zu diesen überhaupt zu erwerben und zu vertiefen. Die in Seminaren über den gegenseitigen Austausch zu erreichende vertiefte Bewusstwerdung unterstützt dieses Ziel.

Die Universität Erfurt ermöglicht es ihren Studierenden jedoch auch bereits im Studium, Theorie und Praxis in bestimmten Arbeitsfeldern kennenzulernen.
Dazu gehören das Studium Fundamentale (StuFu), das Komplexe Schulpraktikum (KSP), das Global Communication Projekt (GlobCom), Model United Nations (MUN) und auch die Praktika im Landtag:

Beim Studium Fundamentale handelt es sich um ein spezifisches Merkmal der Universität Erfurt, denn im Bachelor-Studium werden neben den Haupt- und Nebenstudienrichtungen Lehrveranstaltungen angeboten, die eine breite Wissensbasis vermitteln. Das Angebot reicht von methodisch-theoretischem Grundlagen- und Vermittlungswissen über ästhetisches Wahrnehmungsvermögen und selbstorganisierte Studieneinheiten. Die Inhalte des StuFus sind darauf ausgerichtet, Grundlagen zu erlernen, den Horizont zu erweitern und zu einer Einordnung des Gelernten im Sinne einer kompetenten Urteilsbildung zu befähigen.

Im Komplexen Schulpraktikum können die Studierenden der lehramtsrelevanten Masterstudiengänge bei der Teilnahme und Mitgestaltung des schulischen Alltags ihre fachwissenschaftlichen, fachdidaktischen und bildungswissenschaftlichen Kompetenzen vertiefen und erweitern. Die zu haltenden Unterrichtsstunden eröffnen den Studierenden die Möglichkeit, theoriebasiert Lernprozesse zu initiieren sowie Lehrprozesse zu planen, durchzuführen und deren Erfolg zu reflektieren. Die angebotene Begleitung unterstützt dabei die Reflexionsprozesse. Die Möglichkeit, das KSP auch im Ausland zu absolvieren, eröffnet einen weiteren Erfahrungshorizont in Studiengängen, die wegen ihres konkreten Berufsbezugs bisher sehr fokussiert erschienen.

Beim Global Communication Projekt, das neben der Universität Erfurt von 15 anderen Universitäten, auch auf anderen Kontinenten, angeboten wird, haben die Studierenden die Gelegenheit, die Arbeitswelt der Public Relations möglichst realistisch zu erfahren. Dabei erhält jedes Team dasselbe Briefing, in dem sich ein realer Kunde vorstellt und sein reales Kommunikationsproblem umreißt, für das er eine PR-Lösung sucht. Nach dem Briefing haben die Teams drei Monate Zeit, um kreative Taktiken in globaler Kooperation zu entwickeln. Die dazu benötigten PR-Tools haben sie in einem vorangegangenen Semester in einem vorbereitenden Seminar kennengelernt. Nach Abgabe der Präsentationen richtet eine teilnehmende Universität die Abschlusskonferenz aus.

Im Rahmen der Model United Nations kommen Studierende vieler Nationen jährlich zusammen und diskutieren konkrete und aktuelle Themen von internationalem Belag miteinander. Diese Konferenzen finden u. a. in Erfurt statt, erleben über die Jahre immer mehr Zulauf und eröffnen den Studierenden die Chance, in englischer Sprache Themen zu bearbeiten, die von globaler Bedeutung sind. Diese Themen verweisen auf weltweite Probleme in Umwelt und Wissenschaft hin und bieten auf diese Weise eine Perspektive auf zukünftige Arbeitsfelder.

Unsere Gruppenpraktika im Landtag eröffnen Einblicke in die Landtagsverwaltung. So gewinnen die Teilnehmer praktische Berufserfahrung anhand vieler Beispiele politischer Willensbildung als Ergänzung zur akademischen Ausbildung in den Staatswissenschaften.

All dies sind Beispiele dafür, wie an der Universität Erfurt theoretisches Wissen um Praxisperspektiven erweitert werden kann.

Die Arbeitsfelder, die nach den Abschlüssen für die Absolventen der Universität zu Wahl stehen, sind sehr unterschiedlich und haben ganz verschiedene inhaltliche und formale Ausrichtungen. Auch unterliegen die Arbeitswelten seit Langem dem Credo des Fortschritts, was damit zusammenhängt, dass technologische Entwicklungen in alle Bereiche Einzug gehalten haben und sie immer weiter beeinflussen werden. Die den modernen Industrienationen gewissermaßen eingebaute Dynamik, die fortschrittliche Technologien seit Langem, aber mindestens seit der Industrialisierung als Errungenschaften ansieht und deshalb auch ihr Motor ist, wird in absehbarer Zeit nicht nachlassen, sondern sich eher verstärken. Es zeigen sich allerdings auch Tendenzen, die die Komplexität des einhergehenden Alltags monieren oder zumindest kommentieren, was dies für die Zukunft bedeuten könnte.

Tatsächlich lassen sich immer schneller aufeinanderfolgende Umbruchphasen in der Struktur der Arbeitsfelder beobachten, die sowohl durch die Digitalisierung als auch durch die Globalisierung beeinflusst werden. Beide weltumspannenden Megatrends sind oktroyierende Phänomene, die auf die deutsche, europäische und globale Wirtschaft und bis weit in den Alltag Einfluss nehmen, und auf die stets reagiert werden muss, um nicht ins Hintertreffen zu geraten (was bei der Digitalisierung im Vergleich zu anderen Staaten bereits passiert ist).

Ein weiterer Megatrend, der etwas leiser daherkommt und noch nicht so sichtbar ist, stellt die Algorithmisierung dar, die hinter der sogenannten „digitalen Welt“ steht. Algorithmen prägen unseren Alltag bereits in großem Maße: Welche Songs Spotify uns vorschlägt, was auch immer unsere Google Suche ergibt oder was beim Facebookstream erkennbar ist, wird durch Algorithmen bestimmt. Mit Daten, die ohne viel Nachdenken preisgegeben und gesammelt werden können, bewegen wir uns jetzt bereits in einer digitalen Filterblase, die sich noch verstärken wird. Je mehr Daten die Algorithmen über uns gesammelt haben, desto mehr kann die „Welt“ auf uns zugeschnitten werden.

Für die Arbeitswelt bedeutet die Algorithmisierung eine ungeheure Veränderung von möglichen Aufgabenfeldern. Es gibt bereits Software, die weitere Software programmieren kann und dieser Trend wird sich fortsetzen. Das bedeutet, dass algorithmisierbare Arbeitsvorgänge durch Digitalisierung ersetzt werden. Übrig bleiben dann solche Arbeiten, die wesentlich komplexer sind. Es lässt sich gut ausmalen, was das für viele bestehende Arbeitsfelder bedeutet und welche Kompetenzen künftig gefordert werden. Daraus resultiert auch, dass sich der Zulauf zu Universitäten verstärken und mit einer weiter zunehmenden Heterogenität der Studierendenschaft zu rechnen sein wird.

Allein diese drei genannten Megatrends werden zu einer Fragmentierung führen, denn die globale, digitalisierte Welt wird so an Komplexität zunehmen, dass es wertvoll erscheinen wird, einer Teilgesellschaft anzugehören. Soziale Gruppierungen gleich welcher Couleur werden dieser Fragmentierung entgegenwirken, um dem Einzelnen Halt durch Gleichgesinnung zu geben.

Aus diesen knapp gehaltenen Beobachtungen, die sich durchaus erweitern und vertiefen lassen, ergeben sich Anforderungen an den Menschen in zukünftigen Arbeitswelten und an sein Startkapital, was das dafür notwendige Wissen angeht. Dies müssen wir als Universität stets im Blick behalten.