„Das kann man den Wählerinnen und Wählern keine zwölf Monate mehr antun“

Einblicke
Prof. Dr. André Brodocz

Das hat deutschlandweit für Diskussionen gesorgt: In Thüringen hatten am vergangenen Donnerstag CDU, AfD, FDP und Fraktionslose eine Absenkung der Grunderwerbssteuer von 6,5 Prozent auf 5 Prozent beschlossen – gegen den Willen der rot-rot-grünen Regierungskoalition. „Damit sind CDU-geführte Minderheitsregierungen, ob von der AfD toleriert oder akzeptiert, realistische Szenarien geworden“, sagt André Brodocz, Professor für Politische Theorie an der Universität Erfurt und warnt zugleich vor einem weiteren Verlust des Vertrauens in die Demokratie.

Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken sprach am Freitag im Deutschlandfunk von einer "Verrücktheit im Parlamentarismus" und vom "schwärzesten Tag" in seinem parlamentarischen Leben. "Was da gerade geschieht, schadet am Ende dem Funktionieren der Demokratie sehr“, erklärte Brodocz gegenüber den Medien. „Man kann nur hoffen, dass das, was wir am Donnerstag erlebt haben, ein Einzelfall war. Wenn wir in den nächsten Monaten beobachten sollten, dass wir eine regierende Opposition haben und eine Regierung, die quasi in oppositioneller Haltung zu den Gesetzen, diese ausführen muss, wird sich der massive Vertrauensverlust in das Funktionieren von Demokratie weiter verstärken.“ Denn am Ende würden die Parteien, die mit der Demokratie am wenigsten anfangen könnten, am stärksten davon profitieren.

Im September 2024 wird in Thüringen ein neuer Landtag gewählt. Schon jetzt aber sieht sich Bodo Ramelows rot-rot-grüne Minderheitsregierung immer wieder mit Mehrheiten aus der Opposition mit der AfD konfrontiert. Brodocz sieht vor diesem Hintergrund Handlungsbedarf: „Das kann man den Wählerinnen und Wählern keine zwölf Monate mehr antun“. Wenn sich so etwas wie in dieser Woche im Parlament wiederhole, müssten die Parteien etwas tun. Die CDU agiere in Thüringen aus einer Oppositionsrolle heraus, sei aber offensichtlich in der Lage, zusammen mit der AfD Mehrheiten gegen die Minderheitsregierung herzustellen. Die Verfassung sehe für solche Fälle das konstruktive Misstrauensvotum vor. Denn „die politische Stabilität unserer Demokratie beruht darauf, dass die Regierung eine stabile Mehrheit im Parlament hat“, erklärt der Politikwissenschaftler. Zugleich müsse sich auch der Ministerpräsident unter diesen Bedingungen fragen lassen, ob er nicht die Vertrauensfrage stellt.

Brodocz sieht die AfD im Thüringer Landtag nun noch einmal deutlich gestärkt. Sie bleibe weiter im Gespräch, zudem sei ihre politische Bedeutung durch die Verabschiedung des Gesetzes erneut gefestigt und könne in Einzelfragen zusammen mit der CDU de facto regieren. „Damit geraten auch mögliche CDU-geführte Landesregierungen, die sich von der AfD in irgendeiner Weise tolerieren lassen könnten, auf die Agenda.“

Hintergrund:

Ministerpräsident Bodo Ramelows Koalition aus Linke, Sozialdemokraten und Grünen hat im Thüringer Parlament keine Mehrheit. Dafür fehlen ihr vier Stimmen. Dennoch gelang es ihr in der Vergangenheit oft, Mehrheiten zu organisieren – meist mit Stimmen der CDU. Gleichwohl ist das Modell stets wackelig. Mit Hilfe der AfD haben die Thüringer Christdemokraten nun erneut ein Gesetz „durchgedrückt“ – in diesem Fall die Senkung der Grunderwerbssteuer, was schließlich auch Auswirkungen auf den Haushalt des Freistaats hat. Am Ende ein weiterer Erfolg auch für die Thüringer AfD, die hier vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird.

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