Viele Jahre hatte er die Professur für Makroökonomie an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt inne. Inzwischen ist Tobias F. Rötheli im Ruhestand. Die Makroökonomie ist seine Leidenschaft geblieben. Jetzt hat er unter dem Titel „Did Two Banks Form a Herd? JP Morgan and the Bank of America” im Journal of Applied Finance & Banking, einen neuen Artikel veröffentlicht, in dem er das Wettbewerbsverhalten der beiden größten US-Banken vor und nach der Finanzkrise, die 2007 begann, untersucht. In seinem Gastbeitrag für unseren Forschungsblog beschreibt er, was wirtschaftliche Entwicklungen und Herdenverhalten gemeinsam haben…
Im Zentrum meiner heutigen Geschichte stehen Herden. Mit dem Konzept der Herde verbinden wir die Vorstellung, dass einzelne (beispielsweise) Tiere sich in ihrem Handeln am Verhalten anderer orientieren. Oft – aber nicht immer – ist es ein Leittier, wie die Leitkuh, das den Weg vorgibt. Viele dieser Verhaltensweisen haben gute Gründe und Vorteile für alle. Die Leitkuh ist sehr erfahren und kennt sichere Wege zu Wasser und Futter. Allerdings gibt es auch im Tierreich das Phänomen des kollektiven Irrweges beispielsweise in Massenfluchten, bei dem viele Tiere in den Tod rennen.
Herdenverhalten spielt auch eine wichtige Rolle in Versuchen das Auf und Ab der Wirtschaftsentwicklung zu erklären. Der sogenannte Kreditzyklus beschreibt das Phänomen, dass Banken in guten Zeiten gern und billig Kredite vergeben und das Risiko aus den Augen verlieren, dass Kredite möglicherweise nicht zurückbezahlt werden. Erst wenn der Optimismus der sich verschuldenden Unternehmer auf die harte Realität trifft, dass Projekte nicht die erwarteten Erträge erwirtschaften, kommt es zu massenhaften Zahlungsausfällen. Oft entwickeln sich daraus richtige Bankenkrisen, die Kreise ziehen und enorme Summen von Steuergeldern für Bankenrettungen verschlingen. Dass Herden- oder Nachahmungsverhalten unter Banken hinter dieser Dynamik steckt, ist mittlerweile wissenschaftlich recht gut belegt. Wie in der Tierwelt folgt das wirtschaftliche Herdenverhalten jedoch einer Logik. Dabei spielt Reputation eine wichtige Rolle. Im Aufschwung ist es schwer, sich einer optimistischen Dynamik zu widersetzen. Im Crash ist es dann auch viel einfacher, mit anderen den Irrtum zu teilen, als allein dazustehen.
Gut 20 Jahre nach meiner ersten Untersuchung zu diesem Thema fand ich im Sommer 2024 die Zeit, diese Fragestellung weiter zu vertiefen. Zwischenzeitlich gibt es Studien aus einer Vielzahl von Ländern. Wenig Konkretes ist hingegen über das Verhalten von sehr großen Banken bekannt. Das hängt auch damit zusammen, dass zwar zu Aufsichtszwecken Daten zentral erhoben, aber nicht für einzelne Banken publiziert werden. Niemand will sich da so genau in die Karten schauen lassen. Damit fehlt in der Regel die Basis für empirische Forschung in diesem Bereich. Umso besser triff es sich, dass die amerikanische Börsenaufsicht den Banken abverlangt, quartalsmäßig ihre Bilanzen publik zu machen. So ist es heute mit viel Durchhaltewillen möglich, sich Zahlenreihen der Kreditvergabe einzelner Banken selbst zu erarbeiten. Als Kandidaten für eine solche Untersuchung drängen sich die zwei größten amerikanischen Banken, die Bank of America und die JP Morgan Chase Bank, auf.
Was hat nun die empirische Auswertung dieser Fleißarbeit bei der Datenerhebung gebracht? Die statistischen Auswertungen zeichnen ein eindeutiges Bild: Die anfänglich kleinere der beiden Bankgiganten, die JP Morgen Chase, hat beginnend in den frühen 2000er-Jahren rund zehn Jahre lang klar das Ziel verfolgt, ihren dominanten Konkurrenten in der Kreditvergabe einzuholen. Sie setzte es sich zum Ziel, den Abstand zum „Leithammel“ systematisch zu reduzieren. Die Bank of America ihrerseits hat auf diesen Wettbewerb um die Größe des Kreditbuches nicht mit einer quantitativen Eskalation reagiert. Stattdessen orientierte sich diese anfangs größte Bank auf technische Verbesserungen und eine Verbreiterung ihrer Geschäftstätigkeit. Im Resultat war daher JP Morgan Chase erfolgreich und wurde zum größten privaten Kreditgeber Amerikas.
Simulationen zeigen nun, dass die Bank of America mit einer anderen als ihrer vorsichtigen Reaktion auf den Herausforderer JP Morgan die amerikanische Wirtschaft schon wenige Jahre nach der Finanzkrise von 2009 in einen neuen Kreditboom hätte führen können. Zumindest für die untersuchte historische Periode gilt somit nicht, dass schon zwei Banken eine Dynamik entfachen, der weitere Banken folgen und damit ein kollektives Herdenverhalten auslösen. Für die Finanz- und Geldpolitik auch in Europa folgt aus der dieser Analyse Folgendes: Zum einen, ja, wir sollten solche Dynamiken auch in der Entstehung genau verfolgen und hinterfragen. Daraus folgt allerdings nicht, dass jede starke Expansion a priori negativ ist, selbst wenn sie von ganz großen Banken kommt. Auch dem Wettbewerb zwischen unternehmerisch denkenden Akteuren muss in einem freiheitlichen Wirtschaftssystem eine zentrale Rolle bei der Auswahl von erfolgreichen Strategien zugebilligt werden.
Lesen Sie hier den gesamten Artikel von Tobias F. Rötheli im Journal of Applied Finance & Banking!