Sie ist uns seit frühester Kindheit vielen von uns vertraut und war lange Zeit aus dem Geografie-Unterricht in der Schule kaum wegzudenken: die Weltkarte mit ihren Meeren und Kontinenten. Was dabei viele nicht wissen: Die Karte ist verzerrt dargestellt. Warum das so ist, das haben wir Prof. Dr. Iris Schröder gefragt. Die Historikerin ist Leiterin des Forschungskollegs Transkulturelle Studien / Sammlung Perthes an der Universität Erfurt und forscht seit vielen Jahren an und mit Karten.
Frau Prof. Schröder, was genau ist in den klassischen Weltkarten, wie wir sie noch aus der Schule oder aus Zeitungen oder Nachrichtensendungen kennen, verzerrt dargestellt und warum ist das so?Weltkarten bergen ein großes Problem: Hier muss die Kugelgestalt der Erde in die Fläche projiziert werden. Es gibt dafür verschiedene Verfahren, historisch aber war lange Zeit die Mercator-Projektion am häufigsten gebräuchlich. Diese Projektion, bei der gewissermaßen ein Zylinder der Erde übergestülpt wird, verdankt ihren Namen ihrem „Erfinder“ Gerhard Mercator, einem frühneuzeitlichen gelehrten Kartografen des 16. Jahrhunderts. Sie ist winkeltreu, d.h. sie war vor allem für die Navigation geeignet und für den seinerzeit aufblühenden Welthandel sehr förderlich. Zugleich aber verzerrte sie die Flächen der Kontinente, wie im Übrigen auch der Ozeane, ungemein, d.h.: Die fern des Äquators gelegenen Weltregionen wurden über alle Maßen vergrößert dargestellt. Gut erkennbar ist diese Verzerrung gleich auf den ersten Blick an der aufgeblasenen Darstellung Grönlands, während der afrikanische Kontinent vergleichsweise „klein“ daherkommt. Hinzu kommt – und das ist ein weiterer problematischer Punkt vieler Weltkarten: Diese Karten sind oft großformatig. Europa ist auf der Mittellinie, oben in guter zentral auszumachender Position platziert.
Alle drei Faktoren – die verzerrte, vergrößerte Darstellung der Nordhalbkugel, die vergleichsweise verkleinerte Darstellung der äquatornahen tropischen Regionen und die zentrale Positionierung Europas konstruieren ein Weltbild, das sich im Laufe der Jahrhunderte auch in den Köpfen festgesetzt hat.
Was steckt denn hinter den verschiedenen Projektionen, sollen Karten nicht immer die Realität abbilden?
Karten geben vor, die Welt genau abzubilden, und wir tendieren dazu, ihnen das einfach zu glauben. Tatsächlich aber sind alle Karten konstruiert. Kartograf*innen treffen Entscheidungen, die das spätere Kartenbild bestimmen: Sie entscheiden sich für eine Projektion, sie entscheiden sich dafür, bestimmte Weltteile in der Kartenmitte gut sichtbar zu platzieren und sie entscheiden, welche Informationen sie auf das Kartenblatt setzen und welche sie weglassen. Es ist also nicht die Projektion allein, die uns skeptisch machen sollte: Bei allen Karten ist es gut, wenn wir sie kritisch lesen.
Nun haben sich verschiedene afrikanische Aktivisten z.B. der beiden NGOs „Speak up Africa“ und „Africa No Filter“ zu Wort gemeldet, die das ändern möchten. Sie fordern ein Ende der Sterotype und die Korrektur der Weltkarte, in der die USA und Europa „aufgeblasen“ und Afrika verkleinert wird. Was halten Sie davon, haben Sie Verständnis für diese Forderung?
Die jüngst wieder einmal vorgebrachte Forderung nach einer besseren Weltkarte ist nicht nur sehr verständlich, sondern sie ist auch überfällig. Bislang ist Kartenkritik immer ein Spezialgebiet der Kartograf*innen selbst gewesen: Schon im 19. Jahrhundert haben Gothaer Kartografen die Mercator-Projektion kritisiert und sie dann doch immer wieder für ihre eigenen Produkte genutzt, wie die „Chart of the World“, die – in Mercator-Projektion – zu einem der historischen Bestseller des Verlagshauses avancieren sollte. An dieser Karte lässt sich exemplarisch aufzeigen, wie eng die Karten in Mercator-Projektion im 19. Jahrhundert mit kolonialen Ambitionen der Europäer verknüpft waren: Es ging darum, die vielen Möglichkeiten des expandierenden Welthandels auf dem Kartenbild zu zeigen und das verknüpfte sich eng mit der Vorstellung, dass sich die europäischen Mächte zu ihren Zwecken aneignen sollten. Dass Afrika auf den Karten dabei als vergleichsweise klein und beherrschbar erschien, war Teil dieser Vorstellung einer von Europa dominierten kolonialen Welt – mit der man im Übrigen auch bei Justus Perthes Gotha gute Geschäfte verknüpfen sollte. Das damit verbundene Weltbild sollten wir zweifellos nicht weiter reproduzieren – im Gegenteil.
Also geht es am Ende eigentlich um viel mehr als um Karten...?
Ja, es geht um die Weltbilder, die sich mit den Karten unmittelbar verknüpfen und es geht darum, dass wir uns von genau diesen Weltbildern verabschieden. Insofern ist die derzeitige Publicity zu begrüßen, die sich jetzt mit der Debatte um eine mögliche korrektere Weltkarte verknüpft. Wir müssen mit Karten, die immer spezifische Weltbilder vermitteln, lernen umzugehen. Wir müssen sie verstehen in ihrer Machart und in ihrer Parteilichkeit. Und das ist vielleicht heutzutage noch wichtiger, wo Karten immer mehr aus unserem Alltag verschwinden, wir also unsere Orientierung mittels Smartphone suchen oder über Google Earth zu unseren nächsten Reiseziele navigieren und dabei oft gar nicht mehr wissen, wo wir sind.
Mit Blick auf die Kampagnen von „Speak up Africa“ und „African no Filter“ sollten wir endlich afrikanischen Stimmen in den globalen Wissenssystemen einen weitaus prominenteren Platz zugestehen. Das ist auch historisch wichtig und das auch, aber nicht nur, wegen der kolonialen Vergangenheit. Die Geschichte Afrikas ist weitaus breiter, vielfältiger und diverser. Sie betrifft sowohl die Zeit vor als auch die Zeit nach der europäischen Kolonialherrschaft. Wir sollten sie nicht aus europäischer Sicht erzählen, sondern stattdessen auf die vielen Verzerrungen achten, die sich mit den Meistererzählungen der (ehemaligen) Kolonialherren verbinden, die ihre Gewaltherrschaft oft zu kaschieren wussten. Auch hier gibt es also noch viel zu tun…