Friedrich Jacobs: „Ein Meister der Wissenschaft … und ein ganzer Mensch“

Außenansicht der Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt

Wenn Deutschlands renommiertester Bibliothekar, der im vergangenen Jahr verstorbene Paul Raabe, die Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt in eine Riege stellt mit den großen historischen Bibliotheken in München, Berlin und Wolfenbüttel, dann ist das auch ein Verdienst von Christian Friedrich Wilhelm Jacobs. Der beinahe in Vergessenheit geratene Gothaer Philologe hat sich von 1810 bis 1842 als Leiter des Münzkabinetts und der Bibliothek auf Schloss Friedenstein verdient gemacht. In 32 Jahren Dienstzeit überdauerte er drei Herzöge und acht Bürgermeister und folgte unermüdlich seinem philologischen Verlangen zu schreiben, zu lesen, zu übersetzen, zu lehren – ein Leben „am Schreibtisch unter geliebten Büchern“. Wäre er seinerzeit in München geblieben oder hätte er einen Ruf an die damals gerade gegründete Universität Berlin oder auch nach Göttingen angenommen, würden heute sicher mehr Menschen seinen Namen kennen. Jacobs aber blieb letztlich in seiner Geburtsstadt Gotha – was seinen Leistungen keinen Abbruch tat, im Gegenteil: In der von ihm liebevoll zum „Paradies“ ernannten Residenzstadt fand er selbst in turbulenten Zeiten Ruhe und Rückhalt zum Arbeiten.
 

Jacobs‘ Nachlass ist nahezu vollständig in der Forschungsbibliothek Gotha erhalten und zeugt auch heute noch von seinem Leben und Wirken. Der am 6. Oktober 1764 in Gotha geborene Sohn eines Juristen besuchte nach Privatunterricht das Gymnasium illustre und hatte bereits in jungen Jahren sprachliches Talent bewiesen. "Zwar liest man in seinem Zeugnis heute vor allem durchschnittliche Leistungen", sagt Dr. Sascha Salatowsky, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsbibliothek Gotha und Kurator der dortigen Ausstellung Ein Meister der Wissenschaft. Zum 250. Geburtstag des Gothaer Gelehrten Friedrich Jacobs. "Aber da die Schüler zu dieser Zeit nicht nach ihrem Alter, sondern nach ihren Leistungen eingestuft wurden, besuchte der 13-jährige Friedrich mit 19- und 20-Jährigen eine gemeinsame Klasse." Es war eine Zeit, in der sich das Bildungswesen langsam wandelte und ein Neuhumanismus das höhere Schulwesen zunehmend prägte. Diese Entwicklungen kamen auch Jacobs, seiner sprachlichen Bildung in Griechisch und Latein, damit auch seiner weiteren akademischen Laufbahn und schließlich seinem Verständnis von Wissenschaft zugute. "Nach einem Theologie-Studium in Jena, ging Jacobs seinem eigentlichen Wunsch nach, Philologe zu werden, und nahm ein weiteres Studium in Göttingen auf", erklärt Salatowsky. Zurück in Gotha war er zunächst Gymnasiallehrer, später auch Bibliothekar in der öffentlichen Bibliothek. Schon zu dieser Zeit war er ein beliebter Mentor und rastloser Wissenschaftler, der vor allem in Herzog Ernst II. einen Freund und Förderer fand. "Ihn und Jacobs verbanden ein aufgeklärtes Denken und eine Ablehnung jeglicher religiöser Dogmatik", weiß Sascha Salatowsky. Jacobs war ein Verfechter des freien Denkens und der Freiheit der Wissenschaft – ein Liberaler, der in Gotha seinen wissenschaftlichen Freiraum fand. Dennoch folgte er 1807, drei Jahre nach dem Tod Ernst II., dem verlockenden Ruf von König Maximilian IV. nach Bayern. Dort war er Lehrer am Münchner Lyceum sowie Privatlehrer des bayerischen Kronprinzen und wurde als ordentliches Mitglied in die Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Als solches rief Friedrich Jacobs schnell Neider auf den Plan und geriet zunehmend in die immer stärker anschwellenden Konflikte zwischen Katholiken und Protestanten. "Genervt" von den Münchener Umständen kehrte er 1810 in seine Heimatstadt zurück und schlug auch Rufe nach Göttingen und Berlin aus. Als Oberbibliothekar und Leiter des Münzkabinetts konnte er im beschaulichen Gotha nun wieder beruhigt seiner wissenschaftlichen Arbeit nachgehen.

So arbeitete der Humanist unermüdlich an der Erschließung und Katalogisierung der Handschriftensammlung der Herzoglichen Bibliothek, erstellte ein vollständiges Verzeichnis – und setzte damit Beschriftungsstandards, nach denen in den meisten Bibliotheken heute noch gearbeitet und katalogisiert wird. Zudem war er einer der ersten Wissenschaftler, der sich für die Herkunft von Schriften interessierte und der Provenienzbeschreibungen verfasste. Jacobs publizierte außerdem Übersetzungen, schrieb Schulbücher für den Griechisch- und Latein-Unterricht, Werke für eine angemessene Ausbildung von Frauen sowie Erzählungen, die Kindern und Jugendlichen anhand von unterhaltsamen Geschichten abstrakte Begrifflichkeiten wie Freiheit näherbringen sollten. Seine größte Leistung bleiben jedoch seine textkritischen Editionen: "In der Anthologia Graeca edierte er 3.700 Epigramme aus 16 Jahrhunderten", betont Salatowsky. In diesen handschriftlich überlieferten Texten schloss er mit sprachlichem Geschick Lücken, besserte Fehler aus und fügte Anmerkungen hinzu. In dreizehn Bänden publizierte Jacobs zwischen 1794 und 1814 die Anthologia Graeca, um sich anschließend gleich an die zweite, überarbeitete Auflage des Sammelwerkes zu machen.

"Im Prinzip musste er sein ganzes Leben lang 24 Stunden am Tag am Schreibtisch gesessen und geschrieben haben", lacht Dr. Salatowsky. "Anders ist dieses Leistungsvolumen ja kaum zu schaffen." Programmatisch ist also eines der ganz wenigen überlieferten Bildnisse von Jacobs, das ihn tatsächlich am Schreibtisch sitzend zeigt, mit Feder und Tusche über jene "geliebten Bücher" gebeugt. Als Friedrich Jacobs am 30. März 1847 in seiner Geburtsstadt stirbt, würdigt man ihn in seiner Grabrede zurecht als "Meister der Wissenschaft … und ganzen Menschen". Mit der Sonderausstellung in der Forschungsbibliothek Gotha anlässlich Jacobs‘ 250. Geburtstages möchte Sascha Salatowsky genau das noch einmal in Erinnerung rufen.

Die Ausstellung "Ein Meister der Wissenschaft. Zum 250. Geburtstag des Gothaer Gelehrten Friedrich Jacobs" ist im Rahmen der öffentlichen Führungen durch die Schauräume der Forschungsbibliothek Gotha am 22. und 29.Oktober um 15 Uhr sowie zu einer Sonderführung am 30. Oktober um 16 Uhr zu sehen.