„Literatur ist ein Werkzeug“ – Mahtab Dadkhah forscht an der Uni Erfurt zum Thema Medien und Migration

Vorgestellt
Aufgeschlagenes Buch

Wer Mahtab Dadkhah kennt, weiß, sie ist ein Bücherwurm. Aber nicht einfach einer, der gern liest, sondern vor allem einer, der schnell liest. Sie verschlingt Romane geradezu und taucht so alle zwei Tage in eine neue literarische Welt ein. Über 1.000 Bücher hat die gebürtige Iranerin schon gelesen und da verwundert es irgendwie nicht, dass sich ihre private Leidenschaft auch auf ihre akademische Laufbahn ausgewirkt hat. So hat sie nicht nur ihren Bachelor und Master in Literaturwissenschaft absolviert. Seit 2019 erforscht die 29-jährige Wissenschaftlerin im Rahmen ihrer Promotion zudem, welche Rolle englischsprachige Erzählungen bei der Migration aus dem Commonwealth, vor allem aus Afrika und Indien, nach Deutschland spielen. Dabei untersucht sie den Einfluss filmischer Erzählungen und den von – genau: Büchern. „WortMelder“ hat sie mehr über ihre Forschung erzählt und darüber, was Literatur für die Gesellschaft tun kann und wie das Leben zwischen zwei Kulturen für sie ist.

Mahtab Dadkhah
Mahtab Dadkhah

„Freunde von mir, die meine Leidenschaft für Bücher natürlich kennen, haben oft mit mir über die gesellschaftliche Bedeutung von Literatur diskutiert“, erinnert sich Mahtab Dadkhah. „Sie vertraten meist die Meinung, dass Literatur keinen Einfluss auf das wirkliche Leben habe, anders als beispielsweise die Naturwissenschaften. Das sehe ich natürlich nicht so. Aber ich wollt es auch beweisen.“ Um diesen Beweis anzutreten, wählte Dadkhah ein Forschungsthema, das genau das untersuchen sollte. „Literatur kann Bewegungen, Identitätsbildung und Integration bewirken und so gesellschaftliche Strukturen beeinflussen. Mit meiner Dissertation möchte ich zeigen, wie wichtig Literatur ist. Und da Migration ein großes Thema in vielen Gesellschaften ist, habe ich mich entschieden, diese beiden Aspekte zu verbinden.“ In ihrer Forschung wollte sich die Iranerin deshalb auf den Einfluss von literarischen Narrativen auf die kulturelle Identitätsbildung von Migranten konzentrieren. Ihre Probanden sollten Migranten aus dem Commonwealth sein, die sich mittels englischsprachiger Kulturprodukte ihrer einstigen Kolonialmacht eine genaue Vorstellung von der westlichen Welt machen, die letztlich der Anreiz ist, in eines dieser Länder auszuwandern. Als Forschungslücke identifizierte Dadkhah die Untersuchung von Migration aus dem Commonwealth nach Deutschland. „Ausgangspunkt meiner Forschung ist dabei, dass Migranten aus Commonwealth-Ländern meist wegen ihrer Vertrautheit mit der englischen Sprache und Kultur in das Vereinigte Königreich einwandern. Für diejenigen, die sich für Deutschland entscheiden, wird die Identitätsbildung jedoch von einer zusätzlichen Kultur geprägt. Hier vermischen sich anglophone, deutsche und einheimische Sprache und Kultur.“ Für die genauere Untersuchung dieses Aspektes entschied sich die Forscherin, nicht nur Bücher, sondern auch andere Medien einzubeziehen. Diese Entscheidung führte sie schließlich an die Universität Erfurt, denn hier fand sie aus beiden Bereichen je einen Gutachter und damit einen wissenschaftlichen Mentor für ihre Arbeit – Prof. Dr. Kai Merten aus der Literaturwissenschaft und Prof. Dr. Kai Hafez aus der Kommunikationswissenschaft.

Aber auch Erfurt als Stadt faszinierte sie gleich, denn sie fand viele Parallelen zu ihrer iranischen Heimatstadt Isfahan – ebenfalls eine Stadt mit langer Geschichte. So ließ sie ihr Leben bei ihren Eltern im Iran und ihre Tätigkeit als Dolmetscherin und Lehrerin zurück und kam 2019 mit ihrem Mann in die Thüringische Landeshauptstadt. Interviews mit Migranten, die meist einen akademischen Hintergrund haben und zunächst zum Studium nach Deutschland kommen, führen sie im ganzen Land herum und bilden die Grundlage für ihre Forschung. „Ihre Lebensgeschichten leiten meine Forschungstheorie“, sagt Mahtab. Sie findet heraus, dass Deutschland für die meisten ihrer Befragten eher eine Durchgangsstation ist, die aufgrund guter Studier- und Lebensbedingungen ausgewählt wird. Ein Teil der Migranten zieht schließlich doch weiter nach Großbritannien, ein anderer Teil kehrt in seine Heimat zurück. „Interessant ist, dass man den Weg, den sie einschlagen werden, schon an den in Deutschland weiter konsumierten kulturellen Produkten absehen kann. Die einen verfolgen weiter englischsprachige Narrative, die anderen die ihrer Herkunftsländer. Ihre narrativen Konsummuster hängen also direkt zusammen mit ihrem Umgang mit der Migration und ihren Entscheidungen für die Zukunft. Der Einfluss der deutschen Kultur ist damit nur vorübergehend.“

Dennoch möchte Mahtab Dadkhah mit ihren Forschungsergebnissen beiden helfen: Migranten, die nach Deutschland kommen, soll ihre Forschung helfen, eine ausgewogene kulturelle Identität zu bilden, und Deutschen möchte sie dabei unterstützen, anglophone Migranten besser zu verstehen. So soll das gesellschaftliche Zusammenspiel von anglophoner und deutscher Kultur zu einer positiv aufgeladenen Interaktion zwischen Migranten und Einheimischen führen. Und natürlich möchte die Literaturliebhaberin noch einmal die gesellschaftliche Bedeutung von Büchern hervorheben. „Literatur kann ein Werkzeug sein, um ganz unterschiedliche Ziele zu erreichen, von Identitätsbildung bis zu den verschiedenen Herausforderungen, die eine Gesellschaft für die Menschen bereithält, wie Migration beispielsweise. Meine Untersuchungen zeigen auch, dass die Lösung für ganz viele Probleme häufig in Romanen zu finden ist.“ 

Für Dadkhah selbst ist Literatur nicht nur ein Forschungsgegenstand, sondern auch ein kleiner Zufluchtsort. Sie liebt Erfurt und den Campus der Universität, auf dem sie lebt. Und sie ist dankbar für ihr Promotionsstipendium und die Workshops und Seminare, die ihr akademisches Leben bereichern – und natürlich dafür, dass ihr Mann ebenfalls in Erfurt studieren kann. Dennoch erfasst sie immer wieder das Heimweh, denn bis sie nach Thüringen kam, hatte sie bei ihren Eltern gelebt. Gerade jetzt in Pandemie-Zeiten fehlt ihr die Familie sehr. „Ich habe zwei junge Familienmitglieder durch Corona verloren und konnte nicht in den Iran reisen, um an den Trauerfeiern teilzunehmen und mich zu verabschieden. Das war schon eine harte Zeit und meine Trauer habe ich noch nicht bewältigt. Aber wir versuchen, eine Balance zwischen dem Leben hier und der Heimat zu finden. Wir haben deutsche und iranische Freunde, wir kochen deutsch und iranisch, wir versuchen an der deutschen und iranischen Literatur und Kultur teilzuhaben. Und ich lerne durch meine Patin von ‚Fremde werden Freunde ‘ deutsch.“ Egal, wo es sie nach Abschluss ihrer Arbeit also hinziehen wird, Mahtab Dadkhah ist sich schon jetzt sicher, dass sie mit Erfurt und der Universität Erfurt für immer verbunden sein wird – und dass sie mit ihrer Forschung auch der deutschen Gesellschaft etwas hinterlässt.