Nachgefragt: "Ist Enteignung wirklich ein probates Mittel, um Mietpreissteigerungen in Deutschland einzudämmen, Herr Prof. Wegner?"

Gastbeiträge
Ein Hausschlüssel

Der Ruf nach einer Mietpreisbremse in Deutschland wird immer lauter. In Berlin gibt es aktuell ein Volksbegehren, das es sich zum Ziel gesetzt hat, große Wohnungskonzerne zu enteignen. Während Grünen-Chef Robert Habeck eine solche Enteignung offenbar für denkbar hält, zeigen sich CDU und CSU empört über derlei Vorstöße. „WortMelder“ hat bei Prof. Dr. Gerhard Wegner, Professor für Institutionenökonomie und Wirtschaftspolitik an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Uni Erfurt, nachgefragt: „Wäre Enteignung wirklich ein probates Mittel, um die besonders in den Ballungsräumen stetig steigenden Mietkosten zu bremsen oder ist der Vorschlag doch nur Mittel zum Zweck, die Debatte um die Mietpreise in den Blick der Öffentlichkeit zur rücken?“

Prof. Dr. Gerhard Wegner
Prof. Dr. Gerhard Wegner

„Als die Väter und Mütter des Grundgesetzes den Artikel 15 ins Grundgesetz aufnahmen, herrschte in der westlichen Trizone ein tiefes Misstrauen gegen den Kapitalismus, teilweise auch unter den westlichen Besatzungsmächten selbst. Dass ‚Grund und Boden, …, Produktionsmittel … zum Zwecke der Vergesellschaftung in Gemeineigentum überführt werden‘ können, spiegelt dieses Misstrauen wider. Falls die Marktwirtschaft scheitern sollte, hätte man eine Handhabe für ein wie auch immer beschaffenes sozialistisches Ordnungsexperiment. Dem stehen allerdings die grundgesetzlich ebenfalls geschützte Eigentumsgarantie und auch die Vertragsfreiheit entgegen. Dass von Artikel 15 noch nie Gebrauch gemacht wurde, ersparte dem Bundesverfassungsgericht die schwierige Frage, wie eine ordnungspolitische in sich inkonsistente Verfassung überhaupt auszulegen wäre. Denn eine Verfassung, die Eigentümern mit dem Damoklesschwert der Enteignung ‚zum Zwecke der Vergesellschaftung‘ droht, entzieht ihnen den gleichfalls zugesagten Schutz des Eigentums. Der Zweck der Vergesellschaftung ist jedenfalls nicht an irgendein missbräuchliches Verhalten der Eigentümer geknüpft – Gewinnstreben wäre zulässig und wird ja auch sonst akzeptiert. Vielmehr wollte das Grundgesetz Experimente mit einer alternativen Wirtschaftsordnung offen halten. Dass eine Marktwirtschaft zu allgemeinem Wohlstand führen könne, konnte sich 1949 niemand vorstellen.

Mit dem wirtschaftshistorisch beispiellosen Wirtschaftswunder auf der Basis einer marktwirtschaftlichen Ordnung hatte sich jedoch Artikel 15 im Grunde erledigt. Mit ihrem Godesberger Programm nahm auch die SPD 1959 endgültig Abschied von sozialistischen Ordnungsvorstellungen. So steht Artikel 15 heute im Grundgesetz wie ein altes Möbelstück in einem großen Haus, das niemanden mehr stört und das man deswegen einfach vergessen hatte, zu entsorgen.

Die überraschende Aktivierung von Artikel 15 durch eine Berliner Initiative birgt enorme gesellschaftspolitische Risiken. Zunächst einmal steigen die Mieten in Städten wie Berlin aufgrund einer steigenden Nachfrage nach Wohnraum. Das nutzen die Anbieter von Wohnraum aus. Dazu zählen große Immobiliengesellschaften genauso wie Einzelpersonen, die ihr Wohneigentum vermieten. Selbst Genossenschaften wie etwa Volks- und Raiffeisenbanken als Wohneigentümer haben ein Interesse, Mieten zu erhöhen, um den wirtschaftlichen Vorteil ihrer Mitglieder zu erhöhen; an billigem Wohnraum für alle haben auch sie kein wirtschaftliches Interesse. Ursache der steigenden Mieten ist die Verknappung von Wohnraum durch steigende Nachfrage bei schleppender Bautätigkeit. Hier kommen die staatlichen Entscheidungsträger ins Spiel, die mit ihren Genehmigungsprozeduren, aber auch kostentreibenden Regulierungen die Bautätigkeit verzögern.

Nun können auch im Prenzlauer Berg kaum 300.000 neue Wohnungen geschaffen werden, obwohl dazu vielleicht Nachfrage besteht. Die Mieten werden deshalb immer höher sein als in der Peripherie. Aber die Berliner Aktivistenszene sollte sich schon selbstkritisch fragen, warum sie erst vor kurzem gegen die vom Berliner Senat geplante Bebauung des Tempelhofer Feldes mobilisiert hatte. Die Bebauung einer zentral gelegenen Freifläche hätte zu einer preisdämpfenden Angebotsvermehrung beigetragen. Es ging gerade nicht um eine ästhetisch und ökologisch problematische Nachverdichtung, in der nicht nur die Berliner Stadtpolitik gegenwärtig das Heil für mehr Wohnraum zu erblicken glaubt. Zur Verknappung von Wohnraum hat die Berliner Aktivistenszene selbst beigetragen, ohne ihr damaliges Engagement kritisch zu hinterfragen. Dabei kann nur der Bau von Wohnungen helfen.

Die gegenwärtige Enteignungsdebatte liefert ein neuerliches Beispiel für die konfrontative und polarisierende Suche nach Sündenböcken, die von eigenen Fehlern und der konstruktiven Suche nach Handlungsalternativen ablenkt. Eine Enteignung von einzelnen Unternehmen, wie die Bürgerinitiative ‚Deutsche Wohnen Enteignen‘ fordert, ist durch das Verbot von Einzelfallgesetzen (Art 19 GG) ohnehin unmöglich. Es müssten also irgendwelche allgemeinen Kriterien gefunden werden, die auf eine Vielzahl von Wohnungsbesitzern oder Immobilienunternehmen gleichermaßen angewendet werden. Gegen eine Eingrenzung nach einer willkürlich festgelegten Zahl der Wohneinheiten im eigenen Besitz werden sich die Immobiliengesellschaften gerichtlich wehren. Eine juristische Prüfung wird Jahre dauern. Vor allem werden die Enteigneten nicht hinnehmen, ‚deutlich unter Marktwert‘ entschädigt zu werden, wie die Berliner Bürgerinitiative fordert. Der Senat schätzt die Entschädigungssumme auf bis zu 36 Mrd. Euro. Diese Summe wäre also aus dem Haushalt in einem längeren Zeitrahmen einzusparen. Das wird an Universitäten, Schulen, Kitas und Infrastruktur nicht spurlos vorübergehen, wie die Unterstützerszene jetzt noch hoffen mag. Die Allgemeinheit zählt zu den Verlierern, das verschweigen die Protagonisten. Lediglich die Mieter könnten sich Vorteile ausrechnen. Zweifelhaft bliebe aber, ob sich die Stadt Berlin als neue Wohneigentümerin angesichts einer gewaltigen Haushaltslücke gegenüber ihren Mietern so generös verhalten wird, wie sich das die Berliner Bürgerinitiative denkt. Es wäre eine bittere Ironie, wenn die Mieter am Ende selbst zur Entschädigung beitragen müssten.  

Neue Wohnungen entstehen durch die Enteignung nicht. Vor allem aber könnte ein Teil der Entschädigungssumme für die Erschließung neuer Wohnflächen, zum Bau von Wohnungen und (durch Bundesgesetzgebung) selbst für Wohngeld genutzt werden. Begleitend kann man die ‚windfall profits‘ der Wohneigentümer in gesuchten Wohnlagen durch verbesserten Mieterschutz und verschärfte Mietpreisbremse begrenzen. Man muss sich aber auch hier im Klaren sein, dass der knappe Wohnraum dann anders rationiert wird. Instruktiv ist das immer wieder zitierte Beispiel der Stadt Wien, die über einen großen kommunalen Wohnbestand verfügt: Alteingesessene werden durch (z.T. vererbbare) Mietverträge begünstigt und neu Hinzuziehende besitzen die geringsten Chancen auf dem Wohnungsmarkt. Schwarzmärkte mit horrenden Abschlagszahlungen für Nachmieter sind nur eine der Folgen. Eine rationale Debatte über Gewinner und Verlierer wäre in jedem Fall wünschenswert.

Fazit: Die Berliner Initiative zur Enteignung verfolgt nur vordergründig das Allgemeinwohl, sie möchte für ihre Partikularinteressen die Allgemeinheit zahlen lassen. Die ökologisch schonende Erschließung neuer Wohnflächen und regulatorische Begrenzung von ‚windfall profits‘ aller Wohneigentümer wären die bessere Alternative.“