Nachgefragt: "Was genau sind die Ursachen von Islamfeindlichkeit in Deutschland und Sachsen, Herr Professor Hafez?"

Gastbeiträge
Eine Moschee

Anlässlich der Eröffnung der deutschen Internationalen Wochen gegen Rassismus hat Kai Hafez, Professor für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Vergleichende Analyse von Mediensystemen/ Kommunikationskulturen an der Universität Erfurt, in dieser Woche in Rathaus Dresden einen Leitvortrag über die Formen und Ursachen der Islamfeindlichkeit in Deutschland und Sachsen/Thrüringen gehalten. Anwesend waren dabei auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth und der Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert. Hafez appellierte an den politischen Raum und die Gesellschaft, dass wer Rechtspopulismus erfolgreich bekämpfen wolle, zuvorderst die verbreitete Islamfeindlichkeit bekämpfen müsse. „WortMelder“ hat nachgefragt: „Was genau sind denn die Ursachen, Herr Professor Hafez?“

Prof. Dr. Kai Hafez
Kai Hafez

„Vielleicht zunächst zu einer Diagnose: Islamfeindlichkeit ist in Deutschland – ähnlich wie anderen Ländern Europas – stark verbreitet. Dabei sind nicht nur Wähler der AfD oder die Anhänger von Pegida betroffen. Das Potenzial reicht weit über darüber hinaus in die Mitte der Gesellschaft. Der Bertelsmann Religionsmonitor zeigt uns, ähnlich wie zahlreiche andere Studien, dass im statistischen Durchschnitt – je nach Jahrgang – zwischen 50-60% der Bundesbürger den Islam generell für eine Bedrohung und nicht für eine Bereicherung und für gewaltsamer als andere Religionen halten. Genauso viele meinen, der Islam passe prinzipiell nicht in die westliche Welt. Beide Kriterien zusammen – Islam passt nicht zu mir und er ist eine Gefahr – erfüllen die Grundkriterien der Definition eines ‚Feindbildes Islam‘. Diese Tendenz begann lange vor den Attentaten von 2001 – sie ist eine kulturelle Konstante bei uns, ein kulturelles Erbe von Jahrhunderten. Eigentlich selbstverständliche Aussagen wie ‚Der Islam gehört zu Deutschland‘ finden trotz der Anwesenheit von mehr als vier Millionen Muslimen in Deutschland keine Mehrheit. Wir haben ein wunderbares demokratisches System aufgebaut – den Rassismus haben wir aber noch nicht besiegt. Immerhin, die Hälfte der deutschen Bevölkerung zeigt sich toleranter. Es geht ein Bruch durch unsere Gesellschaft, man kann auch von einem Kulturkampf sprechen. Ich denke, wir spüren ihn in diesen Tagen sogar in unseren Familien und Freundeskreisen, wenn es um den Umgang mit der AfD geht.

Noch wählt nur ein kleiner Teil derjenigen, die das Feindbild Islam hegen, die Rechtspopulisten. Diese aber haben das Potenzial erkannt: Rechtspopulisten wollen unser System umbauen: von der liberalen zu hegemonialen Demokratie – statt gleicher Grundrechte für alle eine ‚Diktatur der Mehrheit‘. Sie nutzen das Feindbild Islam als einigendes Band für eine sonst widersprüchliche Programmatik. Wer den Rechtspopulismus bremsen will, muss also Islamfeindlichkeit bekämpfen. Islamfeindlichkeit ist dabei kein reines Problem der neuen Bundesländer. Statistisch ist Islamfeindlichkeit hier ca. zehn Prozent höher als im Westen (55% zu 66%). Aber sie ist im Süden auch höher als im Norden. Allerdings sind in Mitteldeutschland – Thüringen und Sachsen – die Zahlen erschreckend hoch. Nach dem Religionsmonitor von Bertelsmann sehen 78% der Sachsen den Islam als bedrohlich und gewaltsam, gegenüber ’nur‘ 46 % in NRW. Gemäß Sachsen-Monitor halten hier 58% Deutschland für überfremdet, gegenüber ca. 30% im deutschen Durchschnitt. Sachsen und Thüringen sind Spitzenreiter bei der Fremden- und Islamfeindlichkeit.

Ein anderer Zusammenhang ist erschreckend: der sprunghafte Anstieg fremdenfeindlicher Gewalt. Die meisten Islamfeinde sind nicht gewaltsam – aber ein wachsender Teil ist es. Erneut entfällt ein überproportionaler Anteil auf Sachsen und andere neue Bundesländer. Der Staat scheint hier teilweise die Kontrolle verloren zu haben.

Aber zu den Ursachen: Islamfeindlichkeit ist ein gesamtdeutsches Problem. Aber ein Bündel von Faktoren kommt in Mitteldeutschland gehäuft vor und erzeugt eine gefährliche Mischung. Sind die Muslime selbst Schuld am Feindbild Islam? Eher nicht! Dagegen spricht, dass das Feindbild in den Bundeländern am stärksten ist, in denen die wenigsten Muslime leben. Nur etwa 1% der Muslime in Deutschland gilt dem Verfassungsschutz als Radikale, der Anteil der Terroristen ist noch weit geringer. Die meisten Integrationsfaktoren von Muslimen sind besser als ihr Ruf.  Es gibt Bildungsrückstände zum Beispiel etwa bei türkischen Einwanderern. Aber Muslime sind nicht radikaler als manch andere in diesem Land. Warum also hält man den Islam für gewaltsam? Die Mehrheit der Muslime leidet unter dem negativen Image ihrer Religion. Ja, die islamische Welt steckt in einer tiefen Krise. Aber das tat Deutschland auch noch bis vor 73 bzw. 29 Jahren – kein Grund zum Hochmut also.

Auch die Medien sind mitverantwortlich für Islamfeindlichkeit. Es gibt viele gute Beiträge, aber eine falsche Schwerpunktsetzung, was wie ein Vergrößerungseffekt wirkt. Es ist statistisch klar nachgewiesen, dass Negativaspekte des Islam in den Medien überbetont werden. Radikale Probleme von wenigen erscheinen als typische Merkmale des Islam. Sind die Salafisten verantwortlich? Es sind ’nur‘ wenige Hundert. Die Sharia in Deutschland? Eher ein Schlagwort. Die Burka? Gibt es kaum. Probleme mit Kopftuch tragenden Lehrerinnen? Ebenfalls nicht. Medien überbewerten übrigens auch den Rechtspopulismus, der von den Medien zwar kritisch beäugt wird, dessen Agenda aber längst übernommen worden ist. Es gab 2016 mehr als 50 Talkshows über Flüchtlinge – keine einzige zum deutschen Abgasskandal. Rechtpopulismus ist in Wahrheit ein gutes Geschäft für die Medien. Ich bin gegen eine pauschale Medienkritik, die für uns alle wichtige Dienste leisten, aber für ein Nachdenken über Strukturen.

Aber wir sollten auch einen Blick auf die politische Kultur in Deutschland werfen: Denn Islamfeindlichkeit findet sich längst nicht nur im rechtpopulistischen Wählermilieu. Es ist ein Problem der gesellschaftlichen Mitte, zum Teil sogar der Linken. Darum ist auch ein weiterer Rechtsrutsch in diesem Land möglich. Der moderne liberale Kurs von Kanzlerin Merkel ist nicht Konsens und weder SPD noch CDU wenden sich in ihren Programmen gegen Islamfeindlichkeit – anders als die Grünen. Die Mitte ist in ihrer Haltung zu den Muslimen zerrissen – dieses Vakuum füllt die politische Rechte. Das eigentliche Problem ist auch in Sachsen nicht das Bekenntnis zur Demokratie – dies ist statistisch gesehen in der Breite durchaus vorhanden. Es geht eher im die Frage: welche Demokratie? Die liberale Demokratie oder die „Diktatur der Mehrheit“? In Sachsen zeigt sich eine ungewöhnliche Skepsis gegenüber den Eliten und dem System der repräsentativen Demokratie. Nur die repräsentative Demokratie aber ist in der Lage, die liberalen Menschen- und Grundrechte zu sichern. Eine plebiszitäre Demokratie ist dies nicht – und schon gar nicht eine selbsternannte ’soziale Bewegung‘ wie Pegida. Will die Politik Islamfeindlichkeit und Rechtspopulismus bekämpfen, muss sie hier noch klarer werden im Bekenntnis gegen Islamfeindlichkeit und in der politischen Bildung.

Und wie sieht es im Bereich des Sozialen aus? Islamfeindlichkeit hat gemäß dem Religionsmonitor von Bertelsmann nicht primär sozio-ökonomische Ursachen. Sie ist ein Problem der Mittelschichten. Weniger Einkommensdefizite als vielmehr Deprivationsängste und Lebensunzufriedenheit spielen eine Rolle. So sind junge Menschen auch weniger islamfeindlich, weil sie weniger unglücklich sind. Interessant ist auch, dass ein generelles Vertrauen in religiöse Menschen die Islamfeindlichkeit erheblich dämpft. Dies wirkt sich in Ostdeutschland wegen der starken Entkonfessionalisierung negativ aus. Hinzu kommt in den neuen Bundesländern eine besondere Form der Unzufriedenheit, die man als ‚fraternale Deprivation‘ bezeichnet. Im Thüringen-Monitor etwa sagen die meisten Menschen, nicht ihnen selbst gehe es schlecht, sondern ihrer Gruppe. Ich bin nicht sicher, ob die antifaschistische Erziehung der DDR gescheitert ist, wie manche sagen. Klar scheint aber, dass in den noch heute aktuellen Konflikten zwischen Ost und West der Westen nicht direkt kritisiert wird, sondern die Muslime als Sündenböcke herhalten müssen.

Eines der größten Probleme der Islamfeindlichkeit ist gemäß dem Bertelsmann Religionsmonitor mangelnder direkter Kontakt mit Muslimen – nicht nur in Ostdeutschland. Der alte Satz ‚Stadtluft macht frei‘ stimmt insofern, als in Großstädten Menschen auf Grund ihrer Gewöhnung an Muslime eine deutlich geringere Bedrohungswahrnehmung zeigen. Allerdings funktioniert das im Osten nur bedingt, da außer in Berlin selbst in Großstädten wie Leipzig zu wenige Muslime leben. Und auch im Westen sinkt zwar die Bedrohungswahrnehmung in Großstädten, nicht aber die Unverträglichkeitswahrnehmung, weil die meisten Menschen Muslime nur aus dem Stadtbild kennen. Es sei denn, Menschen haben intensivere Kontakte am Arbeitsplatz und in der Freizeit, dann geht Islamfeindlichkeit massiv zurück. Das demoskopische Problem im Osten ist schwer zu lösen – wir brauchen aber Maßnahmen für mehr Kontakte mit Muslimen.

Welche Rolle spielt bei dieser Thematik Bildung? Sie ist in der Regel ein dämpfender Faktor gegen Rassismus – dies gilt aber, gemäß dem Religionsmonitor, nur bedingt bei der Islamfeindlichkeit, denn auch gebildete Menschen sind oft islamfeindlich. Der Grund ist, dass die meisten Menschen weder durch Schul- noch durch Hochschulbildung – außerhalb der Spezialfächer – und schon gar nicht durch die Medien fundiertes Wissen über die islamische Welt bekommen. Die Lehrpläne für Thüringen Schulen bieten hier fast gar nichts – ist das in Sachsen besser?

Zusammenfassend lässt sich aus meiner Sicht sagen, dass Islamfeindlichkeit kein ostdeutsches Problem, aber gerade in Mitteldeutschland stark akzentuiert ist. Wesentliche Ursachen sind neben generellen Einflüssen der Medien und des Bildungssektors eine zu wenig liberale politische Kultur, durch die Wende bedingte Formen sozialer Unzufriedenheit und soziale Kontaktarmut. Wenn wir also diese Probleme anfassen, können wir die Lage verbessern – wie seinerzeit beim Antisemitismus in Deutschland. Ignorieren wir sie, können sie uns über den Kopf wachsen. Von alleine verschwinden wird das Problem der Islamfeindlichkeit jedenfalls nicht.“