Nachgefragt: "Was sind die Gefahren einer politisierten Wirtschaft wie die der Weimarer Republik, Prof. Wegner?"

Gastbeiträge
Ein Stapel Münzen

Vor 100 Jahren, am 9. November 1918, wurde die Weimarer Republik ausgerufen. Das Ende des Ersten Weltkrieges und die erste parlamentarische Demokratie Deutschlands brachten allerdings nicht den wirtschaftlichen Aufschwung, den das Land beispielsweise nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr. Die Weimarer Wirtschaftsordnung hatte viele Schwachpunkte, darunter die Aufweichung der Trennung von Staat und Wirtschaft. Die u.a. daraus resultierende ökonomische Krise wurde sogleich mit der Demokratisierung an sich in Zusammenhang gebracht. Heute lässt sich für die Politik und die Wirtschaft viel aus der Zeit der Weimarer Republik lernen. WortMelder hat bei Prof. Dr. Gerhard Wegner, Professor für Institutionenökonomie und Wirtschaftspolitik an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Uni Erfurt, nachgefragt: „Was sind die Gefahren einer politisierten Wirtschaft wie die der Weimarer Republik und welche Lehren kann eine liberale Gesellschaft heute aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ziehen, Professor Wegner?“

Prof. Dr. Gerhard Wegner
Gerhard Wegner

„Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs wandelte sich auch die Wirtschaftsordnung der kriegführenden Staaten grundlegend. Die bereits weit fortgeschrittene internationale Arbeitsteilung endete abrupt und die britische Seeblockade machte vor allem den Deutschen, aber auch Niederländern und Dänen klar, wie sehr ihre wirtschaftliche Existenz vom Welthandel abhing. Die Kriegswirtschaft wiederum schuf Konglomerate und Wirtschaftsfürstentümer, die den Wettbewerb ausschalteten und die Märkte beherrschten. Die Kriegswirtschaft errichtete im Verlaufe des Krieges aber auch ein administratives Ausmaß, welches eine umfassende staatliche Wirtschaftslenkung zum ersten Mal praktisch durchführbar erscheinen ließ. Zuvor war sie lediglich ein utopisches Gedankenexperiment sozialistischer Theoretiker geblieben. Selbst ein liberaler Politiker, Intellektueller und Unternehmer, Walther Rathenau, spielte nach Ende des Krieges mit dem Gedanken, eine geplante Wirtschaftsordnung in Deutschland einzuführen.

Mit der Demokratisierung kehrten sich die Machtverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit um. Im Legien-Stinnes-Abkommen stimmten die Unternehmer dem Acht-Stundentag zu, um einer drohenden Verstaatlichung zu entgehen. Diese neuen sozialen Machtverhältnisse spiegelten sich auch in der Weimarer Verfassung wieder, welche ein Kapitel zum ‚Wirtschaftsleben‘ enthielt. Zwar spielte die von Räten gelenkte Wirtschaft als Ordnungsmodell schon bald keine Rolle mehr. Aber die Verfassung enthielt gleichwohl Elemente einer demokratisch gelenkten Wirtschaft, welche auf eine Revision des Privateigentums an Produktionsmitteln zielten.

Auch der Arbeitsmarkt erfuhr eine Neuordnung. Gewerkschaften konnten jetzt erstmals allgemein verbindliche Lohnverhandlungen führen. Führten sie nicht zum Erfolg, konnte das Reichsarbeitsministerium eine Zwangsschlichtung verordnen, was auf eine staatliche Lohnfestsetzung hinauslief. Schon bald beschwerten sich deswegen Unternehmerverbände über den Gewerkschaftsstaat. Der liberale Ökonom Walter Eucken sprach allgemeiner vom Wirtschaftsstaat. Denn auch Unternehmer nutzten die Möglichkeit, Kartelle und Monopole staatlich zu schützen. Eucken sah hier eine entscheidende Ursache dafür, dass die hohe Innovationsdynamik der Vorkriegszeit verschwand und Unternehmer ihre Marktpositionen mit Hilfe staatlichen Schutzes zu verwalten suchten. Insgesamt war das Verhältnis der Industrie zur Weimarer Demokratie nur in Ausnahmefällen ablehnend, mehrheitlich kühl distanziert. Allerdings konnten die Gewerkschaften in der neuen Wirtschaftsordnung Lohnforderungen durchsetzen, die – auch nach Ansicht des Ökonomen J.M. Keynes – die Produktivitätszuwächse übertrafen und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft beeinträchtigten.

Anders als in der Bundesrepublik nach dem 2. Weltkrieg war die Wirtschaftsordnung der Weimarer Republik offen ausgelegt und wurde vom Wahlausgang abhängig. Für ein Modell der Sozialen Marktwirtschaft mit starker Betonung des Wettbewerbs als Ordnungsmodell fand sich keine allgemeine politische Unterstützung in den Parteien. Stattdessen dominierte ein kurzfristig orientierter Dirigismus und Interventionismus mit selektiven Eingriffen in den Wettbewerb. Dies schuf kein Umfeld für langfristige Investitionen.

Besonders folgenschwer aber war der Zusammenbruch der internationalen Wirtschaftsordnung, die auch nach Kriegsende nicht wiederhergestellt werden konnte. Vor dem Ersten Weltkrieg baute ein Netz aus bilateralen Handelsverträgen auf Basis der Meistbegünstigungsklausel eine internationale Wirtschaftsordnung gleichsam ‚von unten‘ auf. Zugleich existierte ein Weltfinanzzentrum in London, welches kurzfristige Leistungsbilanzdefizite einzelner Länder finanzierte. Sowohl die internationale Handelsordnung als auch die Weltfinanzordnung konnten nach dem Krieg nicht wiederhergestellt worden. Ein gigantisches Schuldenproblem, welches zum einen die interalliierten Schulden, zum anderen die deutschen Reparationsverpflichtungen umfasste, belastete von Anfang an die Finanzbeziehungen zwischen den Staaten. Die Weimarer Republik war in besonderer Weise davon belastet: Die Reparationsverpflichtungen waren in Gold und Devisen zu bezahlen, was Leistungsbilanzüberschüsse voraussetzte. Diese wiederum konnten nur in einer relativ liberalen Weltwirtschaftsordnung erzielt werden. Jedoch schotteten sich die Wirtschaftsnationen durch Zölle ab. In den ersten Jahren besaß die Weimarer Demokratie noch nicht einmal außenwirtschaftliche Souveränität und musste Importe zollfrei zulassen. Auf diese Weise wandelte sich Deutschland von einem Kapitalexporteur zu einem Kapitalimporteur. Reparationszahlungen konnten nur dann geleistet werden, wenn diese durch ausländische (amerikanische) Kredite vorfinanziert wurden, wie es der Dawes-Plan vorsah. Daraus sollte als Folge des späteren Young-Plans eine hochgefährliche Quelle wirtschaftlicher Destabilisierung entstehen.

Der Wirtschaftsnationalismus der Zwischenkriegszeit belastete die wirtschaftliche Erholung der deutschen Wirtschaft von Anfang an. Anders als in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg fand kein langfristiger Wirtschaftsaufschwung statt. Nur kurzzeitig in der sogenannten Stabilisierungsphase der Weimarer Republik erreichte das Bruttoinlandsprodukt das Vorkriegsniveau von 1913, um dann in der Weltwirtschaftskrise dramatisch abzufallen. Wirtschaftlich gesehen waren die Weimarer Jahre Krisenjahre. Auch wenn nach der Hyperinflation von 1923 mit der Einführung der Rentenmark eine gewisse Stabilisierung erreicht wurde, herrschte eine allgemeine Ungewissheit über die künftige Wirtschaftsentwicklung. Mangels Wirtschaftswachstum spitzen sich in der Weimarer Demokratie deshalb auch die Verteilungskonflikte zu. Die Wirtschaftsordnung war hochgradig politisiert.

Gaben zu Beginn der Weimarer Demokratie noch zwei Drittel der Wähler ihre Stimmen demokratischen Parteien, so wählten an ihrem Ende ebenfalls zwei Drittel demokratiefeindliche Parteien. Der zu Anfang durchaus vorhandener Vertrauensvorschuss in die Demokratie ging erst mit der Aufeinanderfolge ökonomischer Krisen verloren. Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise erschien den Zeitgenossen Demokratie als ein Krisenmodell, sodass die breite Wählerschaft wie politische Eliten eine Lösung schließlich nicht mehr innerhalb der Demokratie suchten.

Bei allen Überlegungen über die Gründe des Scheiterns der Weimarer Demokratie bleibt jedoch zu berücksichtigen: Auch heutigen Demokratien fällt es unter wesentlich günstigeren Voraussetzungen denkbar schwer, grundlegende Funktionsstörungen einer Wirtschaftsordnung zu beheben, vor allem, wenn dies gesellschaftlichen Gruppen vorübergehende Opfer auferlegt und zudem die interne Krise mit einer internationalen Krise verflochten ist. Ohne eine funktionsfähige Marktwirtschaft kann eine Demokratie jedoch nicht ‚liefern‘ und büßt automatisch an Legitimation ein, auch wenn dies angesichts der abschreckenden Erfahrungen mit totalitären Ordnungen keine unmittelbare Gefahr für Rechtsstaat und Demokratie mehr bedeuten muss.

Letztlich gab es doch etwas Positives: Nach dem 2. Weltkrieg lernten die Demokratien aus den Fehlern der Zwischenkriegszeit. Mit dem Bretton-Woods-Abkommen, dem allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen GATT, dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft und letztlich auch mit der Gründung der EWG gelang es schließlich doch noch, eine überaus erfolgreiche Wirtschaftsordnung zu verwirklichen.“