Nachgefragt: Wo liegen die Ursprünge des Fastens und welche Bedeutung hat es in der heutigen Zeit?

Gastbeiträge
Brot und Wasser neben einem christlichen Kreuz.

Kein Fleisch, kein Alkohol oder kein Auto: In der Fastenzeit – z. B. aktuell in den Tagen vor Ostern – üben sich viele Menschen in Verzicht. Doch wie entstand eigentlich das christliche Fasten, wie hat es sich im Laufe der Jahrhunderte verändert und wie unterscheidet sich die ursprüngliche christliche Tradition vom heutigen Fasten? Genau diese Frage beantwortet Prof. Dr. Dr. Thomas Johann Bauer von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt hier in unserem Forschungsblog "WortMelder".

Die aus der Jesus-Bewegung entstandenen christlichen Gemeinden haben das Fasten, wie vieles andere, aus dem Judentum übernommen. Wie das Judentum, kennt das Christentum Fasten als kollektive und individuelle fromme Übung. Fasten wurde und wird verstanden als Ausdruck der Trauer und Reue. Als Anlässe finden sich deshalb der Tod eines Menschen, Kriege, Krankheiten und andere Katastrophen, aber auch das Bewusstsein, göttlichen Willen übertreten zu haben. Jüdisches und christliches Fasten hat deshalb mit der Neuausrichtung auf den göttlichen Willen zu tun und soll die Bereitschaft zur Umkehr ausdrücken. Zugleich soll Fasten das Gebet unterstützen und auf Gott einwirken, sich den Menschen in ihrer Not rettend zuzuwenden.

Fasten besteht zunächst darin, über eine bestimmte Zeit, meist nur einen Tag oder einige wenige Tage, auf Nahrungsaufnahme zu verzichten. Begleitet wurde das Fasten früher von Handlungen, die Trauer, aber auch Selbsterniedrigung ausdrücken sollten. Dazu gehörten das Scheren der Haare, der Verzicht auf Körperpflege und Schmuck, besondere Kleidung aus grobem Stoff und das Bestreuen des Körpers mit Schmutz oder Asche. Die jüdische Tradition kennt früh die prophetische Kritik an einer Praxis, die meint, sich durch eine bloß äußerliche Handlung des Verzichts und der Selbsterniedrigung die Zuwendung Gottes sichern zu können. So stellt im späten 6. Jahrhundert v.Chr. der namenlose früh-nachexilische Prophet, dessen Verkündigung am Ende des Buches Jesaja überliefert ist, den äußerlichen Fastenübungen die Zuwendung zu den Schwachen und Notleidenden sowie den Verzicht auf Gewalt und Streit als das wahre und gottgefällige Fasten gegenüber (Jes 58).

Der Blick auf die Anfänge der christlichen Fastenpraxis ergibt ein zwiespältiges Bild: Einerseits bewahren die Evangelien die Erinnerung an einen Jesus von Nazaret, der seinen Anhänger*innen keine Anweisungen zum Fasten gegeben hat und dadurch im Kreis frommer Juden, darunter die Pharisäer und die Bewegung des Täufers Johannes, kritisiert wurde (Mk 2,18–20 par.). Andererseits finden sich im Mund des matthäischen Jesus in der Bergpredigt Anweisungen für die frommen Übungen von Beten, Fasten und Almosen (Mt 6,1–18). Der historische Jesus von Nazaret war wohl der Überzeugung, dass angesichts der Nähe der Freudenzeit des Gottesreiches kein Raum für Fasten als Ausdruck der Trauer bleibt, und er wählte das festliche Mahl als Ausdruck der Freude über die heilvolle Zuwendung Gottes zu den Menschen. Daran erinnert neben den Mahlerzählungen der Evangelien auch die wenig schmeichelhafte Kritik an Jesu als "Fresser und Weinsäufer" und "Freund der Zöllner und Sünder" (Mt 11,19; Lk 7,34).

In den nachösterlichen Jesus-Gemeinden wurde offenbar schon bald Fasten zusammen mit Gebet und Almosen als fromme Übungen praktiziert. In Anschluss an die Praxis frommer Juden etablierte sich noch vor Ende des 1. Jahrhunderts die Gewohnheit, an zwei Tagen der Woche zu fasten. In Abgrenzung gegen die jüdische Praxis wählte man jedoch Mittwoch und Freitag statt Montag und Donnerstag als Fasttage (Didache 8,1). Allmählich wurde es auch üblich, in Vorbereitung auf das Osterfest, die jährliche Gedächtnisfeier von Tod und Auferstehung Jesu, zu fasten. Die Praxis in den Gemeinden war zunächst uneinheitlich. Gegen Ende des 2. Jahrhunderts fasteten manche Gemeinden nur am Tag vor der Osterfeier, in anderen Gemeinden wurde zwei oder mehr Tage gefastet. Im 3. Jahrhundert hatte sich die Praxis verbreitet, die sechs Tage vor dem Osterfest, also die ganze Karwoche, zu fasten. Im 4. Jahrhundert wurde schließlich ein vierzigtägiges Fasten vor Ostern üblich. Eine Rolle spielten dabei wohl verschiedene biblische Erzählungen: Jesus, der 40 Tage in der Wüste war, bevor er mit seiner Verkündigung begann (Mk 1,13 par.), Mose, der 40 Tage auf dem Berg Sinai blieb, als er von Gott das Gesetz empfing (Ex 34,2), oder Israel, das nach dem Auszug aus Ägypten 40 Jahre durch die Wüste zog (Dtn 8,2).

Mit der längeren Dauer der Fastenzeit vor Ostern wurde das ursprünglich strenge Fasten als vollständiger Verzicht auf Nahrungsaufnahme abgemildert. Strenges Fasten wurde nur noch am Freitag und Samstag vor dem Osterfest eingefordert. Die übrigen Tage der Woche vor Ostern waren Brot, Salz und Wasser erlaubt. Später waren in der Fastenzeit Fleisch, Eier und Milchspeisen verboten und nur eine Mahlzeit am Tag gestattet, zunächst gegen Abend, dann am Mittag. Es gab dabei Erleichterungen mit Rücksicht auf lokale, vor allem klimatische Gegebenheiten, von denen abhing, welche Nahrungsmittel zur Verfügung standen. Zum Nahrungsverzicht kamen andere Einschränkungen, wie das Verbot von Festlichkeiten oder die Forderung, nicht auf Körperpflege zu achten.

Ab dem 4. Jahrhundert trat neben Ostern das Fest der Geburt Christi mit eigener vorausgehender Fastenzeit. Auch zur Vorbereitung auf andere kirchliche Feste wurden Fasttage eingeführt. Fasten wurde zudem als Vorbereitung auf die Taufe, auf die Einsetzung in kirchliche Ämter und auf den Empfang der Eucharistie gefordert. Mit der zunehmenden Zahl solcher Fasttage trat die Praxis des wöchentlichen strengen Fastens an Mittwoch und Freitag zunehmend in den Hintergrund.

Besondere Bedeutung erlangte das Fasten in dem sich ab Ende des 3. Jahrhundert entwickelnden christlichen Mönchtum als Werk der Frömmigkeit und Zeichen der völligen Hingabe an Gott. Der Ägypter Antonius, der als Vater des Mönchtums erinnert wird, soll nur einmal täglich nach Sonnenuntergang gegessen haben. Mönche in der Wüste Ägyptens, in Syrien und an vielen anderen Orten versuchten, einander mit asketischen Höchstleistungen zu übertreffen und sich dabei auch in Fastenleistungen zu überbieten, oft ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit und bis zur totalen körperlichen Entkräftung. Sie beschränkten sich auf bestimmte Nahrungsmittel, verzehrten nur ungekochte Speisen oder aßen nur einmal die Woche. Aus dem Mönchtum aber kam auch Kritik an solchen Übertreibungen und die Forderung nach einem gesunden Maß bei Fasten und Askese.

Mit den Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils kam es in der katholischen Kirche zu Veränderungen in den Vorschriften für das Fasten. Fasten als einmalige Sättigung ist nur noch am Aschermittwoch und am Karfreitag für alle im Alter zwischen 18 und 60 Jahren verpflichtend. An beiden Tagen gilt für alle, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, auch die Pflicht zur Abstinenz, d.h. die Pflicht zum Verzicht auf Fleischspeisen. Zum Gedenken an das Leiden und Sterben Jesu wird Abstinenz auch an allen Freitagen des Jahres gefordert, sofern auf sie nicht ein Hochfest der Kirche fällt. Der Verzicht auf Fleischspeisen kann durch andere Verzichtsleistungen oder durch besondere Übungen der Frömmigkeit oder Werke der Nächstenliebe ersetzt werden. Für die Tage der sogenannten Fastenzeit bzw. die vierzig Tage der Vorbereitung auf Ostern, gilt – abgesehen von den Vorschriften für Aschermittwoch, Karfreitag und die übrigen Freitage – lediglich, dass sie Bußcharakter haben sollen. Die Gläubigen sind an diesen Tagen zu freiwilligen frommen Übungen aufgerufen, die in Verzicht, Gebet oder Werken der Nächstenliebe bestehen können.

Gegenüber früheren Zeiten ist die Pflicht zum Fasten in der katholischen Kirche heute deutlich reduziert. Außerdem wird die soziale Dimension des Fastens verstärkt betont. Die Forderung der Einschränkung bei Speise und Trank wird ergänzt durch die Einladung, auf Konsum und Genussmittel zu verzichten und sich um Werke der Nächstenliebe zu bemühen. Dies schließt an die alttestamentlich prophetische Kritik an einem veräußerlichten Fasten an, das sich im Verzicht auf Speise und begleitende Bußriten erschöpft und dabei Mitmenschlichkeit, Rücksichtnahme und Friedfertigkeit als gottgefälliges Tun vergisst. Die ergänzende Einladung an die Gläubigen zu Gebet, Schriftlesung und anderen Frömmigkeitsübungen ruft in Erinnerung, dass Fasten Ausrichtung des Lebens auf Gott bedeuten soll. Fasten bleibt dabei Ausdruck der Buße und soll Trauer über die eigenen Fehler und Schwächen sowie Bereitschaft zur Umkehr anzeigen. Das christliche Fasten, das der Ausrichtung auf Gott und den Mitmenschen dienen soll, ist keine Diät aus gesundheitlichen Gründen oder zur Gewichtsoptimierung und unterscheidet sich damit von modernen Formen des Fastens. Allerdings gibt es durchaus Berührungen zu aktuellen Formen des freiwilligen Verzichts auf bestimmte Genussmittel und Konsumgüter aus ökologischen oder sozialen Gründen.