"Was uns am Herzen lag, war die Vielfalt der Indien-Bilder!"

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Dr. Isabella Schwaderer

„Religious Entanglements Between Germans and Indians, 1800–1945“ lautet der Titel eines neuen Sammelbands von Gerdien Jonker und Isabella Schwaderer, in dem die Autor*innen rekonstruieren, wie Religion die Geschichte des Kulturtransfers zwischen Deutschland und Indien beeinflusst hat. Wir sprachen darüber mit Dr. Isabella Schwaderer vom Seminar für Religionswissenschaft an der Universität Erfurt…

Frau Dr. Schwaderer, wie hat denn Religion den Blick Deutschlands auf Indien geprägt?
Die Zeit um 1800 brachte auch in religiöser Hinsicht sehr viel neues Wissen über außereuropäische Kulturen nach Europa. Auch deutsche Gelehrte, insbesondere, wenn sie sich der Romantik verbunden fühlten, fanden in den Texten auf Sanskrit viel neues Material über eine Religion, die sie schließlich „Hinduismus“ nannten. Aufregend daran war die Tatsache, dass diese Überlieferungen erheblich älter waren, als die christliche Tradition. Daraus ergab sich eine Vielzahl neuer Fragen, insbesondere, in welchem Verhältnis das Christentum zu den anderen religiösen Traditionen stand. Schließlich hatte es seine uneingeschränkte Deutungsmacht in Teilen verloren, seit es nur noch eine Religion unter mehreren geworden war.

Und welche Rolle spielt dabei die Kolonialgeschichte?
Die kolonialen Großreiche und die neuen Handelswege, die diese sich in alle Teile der Welt gebahnt hatten, brachten nicht nur Waren im Umlauf, sondern ermöglichten auch eine stärkere Zirkulation und eine Neuordnung der Wissensbestände. Als Kompensation für den geringeren politischen und militärischen Einfluss in Südasien galt die philologische Arbeit deutscher Gelehrter als Ausweis einer intellektuellen Vormachtstellung in Europa.

Auch in der Moderne sind die Einflüsse indischer Philosophie und Religion in Deutschland spürbar. Worin liegt die Faszination an der indischen Kultur und woher kommt sie?
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es bereits viele technische Neuerungen, die breitere Kulturkontakte als je zuvor ermöglichten; Telegrafen, regelmäßige Schiffsverbindungen und eine interkontinental informierte Presse ließen die Entfernungen sehr schnell schrumpfen. Damit wurden jedoch die romantischen Vorstellungen eines „ursprünglichen“ Indiens, in dem man noch die von technischen Entwicklungen unberührte menschliche Lebensweise zu erkennen glaubte, in keiner Weise verdrängt – im Gegenteil. Ganz besonders in Deutschland entstanden neue religiöse Formen, die sich an östlichen Traditionen orientierten, etwa im Praktizieren fleischfreier Ernährung. Indien bot aber auch spirituelle Erfahrungen in einer weiteren bisher wenig bekannten Tradition an: dem Islam. Die erste Moschee im Stadtgebiet Berlins wurde von einer aus Lahore stammenden Bewegung, der Ahmadiyya, gegründet, und fand begeisterte Anhänger*innen in der Berliner Bevölkerung.

Änderte sich dies während der Zeit des Nationalsozialismus und wenn ja: inwiefern?
Britisch Indien galt als Quelle unerschöpflichen Reichtums für das britische Empire. Um dieses zu besiegen, musste aus der Perspektive eines zu führenden Krieges diese Verbindung gekappt werden. Indische Antikolonialist*innen fanden in Berlin Unterstützung. Es gab jedoch auch gezielte Versuche, den Nationalsozialismus in Indien zu verbreiten, um das Empire zu unterminieren und um diesen Raum nach einem hypothetischen „Endsieg“ zu erschließen. Parallel zu diesen politischen Verbindungen bot der Unterhaltungssektor eine Vielzahl exotischer Spektakel mit einem phantastischen Indien als Hintergrund für eskapistische Phantasien. Auch Bühnenkünste wie der Ausdruckstanz bezogen neue Impulse aus der Begegnung von Künstler*innen aus Indien und Europa.

Und gibt es umgekehrt auch kulturelle Einflüsse Deutschlands auf Indien?
Sicher, wenn sich diese auch nicht immer genau trennen lassen von Impulsen aus Europa allgemein – wie die Aufarbeitung der religiösen Texte, ihre Editionen und Übersetzungen, die diese auch einem Publikum zur Verfügung stellten, das kein Sanskrit las. Leider zählt dazu auch der aus Großbritannien und Deutschland importierte pseudowissenschaftliche Mythos einer „arischen“ Einwanderung nach Indien, den sich heute die extreme Rechte in Indien auf die Fahnen schreibt.

Welche sind die wichtigsten Erkenntnisse, die Ihre Publikation liefert?
Was uns am Herzen lag, war die Vielfalt der Indien-Bilder, die für das Nachdenken über Religion und religiöse Erfahrung, aber auch in Kunst und Politik neue Ideen beförderten. Darüber hinaus wurde uns bei der Arbeit deutlich, wie viel Material noch in Archiven liegt, das noch nicht bearbeitet wurde. Dieses vorzustellen, sehen wir als unseren wesentlichen Beitrag an. Neu ist auch die Verbindung von Kunst, insbesondere Tanz und Musik, und Religion, die in unterschiedlichen Facetten präsentiert wird.

Wer sollte Ihr Buch lesen und warum?
Das Buch bietet ganz unterschiedliche Ansatzpunkte, und so sei es Leser*innen empfohlen, die sich für Religion und Theologie interessieren, aber auch im Bereich der Zeitgeschichte und in der Neubewertung moderner Kunst im globalen Kontext gibt es neue Erkenntnisse.