Lernwerkstatt als hochschuldidaktischer Lernkontext (Vortrag auf der GFD-Tagung)

Forschung , Veranstaltungen
Blauer Hintergrund mit Streifen in verschiedenen Blautönen

Vom 27. bis 29. September 2017 fand an der Pädagogischen Hochschule Freiburg i. Br. die GFD-Fachtagung “Fachdidaktische Forschung zur Lehrer_innenbildung” statt. Ziel der Tagung war ein Austausch verschiedener Fachdidaktiken. Präsentiert wurden aktuelle Projekte empirischer Bildungs- und Unterrichtsforschung. Dies war Anlass, auch den aktuellen Stand der Begleitforschung der Lernwerkstatt zu präsentieren und mit anderen Fachdidaktiker_innen zu diskutieren.

Unter dem Titel "Lernwerkstatt als hochschuldidaktischer Lernkontext – Didaktische Perspektiven auf die Einbindung einer Lernwerkstatt in die Lehrer_innenbildung an der Universität Erfurt" stellten Marcus Berger und Marc Godau ausgewählte Ergebnisse aus der qualitativen Begleitforschung vor.

Blauer Hintergrund mit Schriftzug (Thema des QUALITEACH-Vortrags auf der GFD-Tagung) "Lernwerkstatt als hochschuldidaktischer Lernkontext - Didaktische Perspektiven auf die Einbindung einer Lernwerkstatt in die Lehrer:innenbildung an der Universität Erfurt"

Lernwerkstatt und Hochschulforschung

Geleitet wurde der Vortrag von zwei Fragestellungen. Die erste Frage "Was bedeutet Studieren in einer Lernwerkstatt?" beleuchtete zunächst allgemein unsere Suche nach Antwort darauf, was Lernwerkstattseminare im Kontext der Ausbildung von angehenden Lehrer_innen an der Universität Erfurt ist. Dabei geht es primär um die Abgrenzung zu anderen möglichen formalen und informellen Lehr-Lern-Kontexten wie Vorlesung und Seminar oder Bibliothek und Mensa. Demgegenüber legte die zweite Frage "Wie unterscheiden sich also Lernwerkstattseminare in ihrer genuinen fachdidaktischen Perspektive voneinander?" einen verstärkt fachbezogenen Fokus auf Lernwerkstatt. Wie unterscheidet sich also etwa ein deutschdidaktisches Seminar von einem aus dem Bereich Sachunterricht? Unterscheiden sie sich überhaupt? Diese beiden Fragen sind Teil unserer Entwicklung eines hochschulpädagogischen Konzepts einer Lernwerkstatt, wie es derzeit an der Universität Erfurt implementiert wird.

Zur Beantwortung dieser Fragen wurden vier Seminare begleitet, die im Wintersemester 2016/17 und im Sommersemester 2017 in der Lernwerkstatt stattgefunden hatten. Die Seminare konzentrierten sich auf die Fachbereiche Sachunterricht und Deutsch. Datengrundlage waren Gruppeninterviews mit teilnehmenden Studierenden und Dozierenden. Ausgewertet wurden diese qualitativen Interviewdaten mit Verfahren der Grounded Theory. So wurden vor allem durch ständiges Vergleichen Konzepte des Lehrens und Lernens in der Lernwerkstatt herausgearbeitet.

Lernwerkstatt als interdisziplinärer Raum

Wie unterscheiden sich nun LWS-Seminare in fachdidaktischer Hinsicht? Die Lernwerkstatt wird in den Interviews mit Studierenden und Dozierenden nicht als spezifisch beispielsweise für die Fächer Deutsch oder Mathe gesehen. Das ist jedoch zu differenzieren. Unterschieden wird zwischen fachbezogenem Überblickswissen in vorlesungsförmigen Veranstaltungen einerseits und andererseits spezialisiertem und erprobtem fachbezogenem Wissen. Die Lernwerkstatt stellt ein interdisziplinärer Raum dar. Zugegen sind diejenigen Fachdisziplinen, deren Materialien (Spiele, Lehrbücher, Diagnostik-Tools, Musikinstrumente etc.) in der Lernwerkstatt sichtbar und nutzbar sind. Deshalb betonen Studierende in den Interviews die Eignung der LWS für Methodenkurse oder allgemeindidaktische Veranstaltungen und für das Erstellen von Materialien für Schüler_innen. Besonders bei der Erstellung von Lernmaterialien sind Fachinhalte aus Sicht der Studierenden austauschbar.

Anregende fachbezogene Materialien

In der Anregung von Ideen durch vorhandene, sichtbare Materialien wird der Lernwerkstatt ein besonderes Potential zugesprochen. Zudem kommt die Lernwerkstatt solchen Lernformen zugute, in denen vorab etwa in einer Vorlesung erworbenes Fachwissen durch Einbezug verschiedener Methoden und Materialien erprobt wird. Dies ist ein entscheidender Faktor im Kontext der Frage danach, was Lernen in einer LWS heißt. Dabei wird Lernen als exploratives Vorgehen konzeptualisiert. Entweder wird Gelerntes in seiner Anwendbarkeit erprobt, also handfest gemacht. Oder es werden vorhandene Materialien gesichtet, um eigene Ideen zu entwickeln und als Student_in selbst Materialien zu erstellen.

Passen Matheseminare nicht zu LWS?

Interessant sind unter der Frage der Fachlichkeit insbesondere Mathematik-Veranstaltungen. Sowohl Studierende als auch Dozierende schließen zunächst die LWS für das Mathestudium aus. Dabei wird eher das Anwenden von Fachwissen auf Methoden und Materialien betont anstelle eines mathebezogenen Lernens in einer Lernwerkstatt. Zudem wurde bislang keine Matheveranstaltung in der LWS durchgeführt (, aber im Wintersemester 2017/18 findet das erste Matheseminar in der Lernwerkstatt statt).

Lernwerkstatt als Irritation von Lernkultur?

Entscheidend für die Implementation der Lernwerkstatt in die Strukturen der Lehramtsausbildung an der Universität Erfurt ist folgender Punkt: Anstatt eine spezifische fachdidaktische Eignung z. B. von Mathe auszuschließen, lassen sich aus den Analysen auch lernkulturelle Aspekte hervorheben. Die in Interviews beschriebenen Konventionen und die unterschiedlichen Lernatmosphären sind Indizien für einen paradoxen Bruch bzw. für einen Konflikt, der durch die LWS befördert wird. Die untersuchten LWS-Seminare reflektieren damit bestehende Werte hochschulischen Lernens.

Dabei stehen Mathe und Deutsch exemplarisch für vorlesungsartige Veranstaltungen. Sie sind stellvertretend für die Erwartung eines frontal ausgerichteten, als streng erlebten und fachwissenschaftlich orientierten Lernens. Pflicht und Strenge stehen in in den Interviews in einem engen Zusammenhang mit einer hohen Wertigkeit des Wissens. Jene Veranstaltungen vermitteln also wichtiges Wissen. Lockerheit, Duzen in der LWS, freie Themenwahl und freie Zeiteinteilung wird demgegenüber mit einer geringen Wertigkeit des Wissens in Verbindung gebracht.