Herzlich willkommen, Markus Schulz!

Welcome!

Durch das von der EU geförderte COFUND-Programm am Max-Weber-Kolleg kommen seit 2016 internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Universität Erfurt, um hier ein Jahr oder länger an ihren Forschungsprojekten zu arbeiten. In loser Folge stellen wir einige von ihnen im Interview vor. Heute sagen wir: „Herzlich willkommen Markus Schulz!“

Bitte beschreiben Sie uns doch kurz Ihren akademischen Werdegang, Herr Schulz.
Aufgewachsen bin ich in Deutschland, mein Berufsleben habe ich aber größtenteils in den USA verbracht, wo ich den amerikanischen PhD erwarb und erste Professuren innehatte. Ich freue mich, wieder hier zu sein, sozusagen im „Land meiner Ahnen“, und Zeit für theoretische Grundlagenforschung zu haben.

Zentrale Inspirationen für meine Forschung ergaben sich häufig auf Reisen. In jungen Jahren reiste ich mit dem Rucksack um die Welt. Die Begegnungen mit Menschen in ihrem Alltag, insbesondere in Ländern des Globalen Südens, haben mich dabei nachhaltig geprägt. Ganz konkret brachte mich das zum Nachdenken über Themen wie Demokratie, Lebensqualität, Ungleichheit, Veränderung und Verantwortung. Die Entscheidung für Soziologie und Philosophie und die Bemühung, Theorie und Empirie aufeinander zu beziehen, bildeten sich in dieser Zeit heran.

Was hat Sie an das Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt gelockt?
Für mich ist das Max-Weber-Kolleg ein idealer Rahmen für interdisziplinäre theoretische und geschichtlich fundierte Grundlagenarbeit. Ich hatte von der Einrichtung zunächst nur gehört und sie nicht persönlich gekannt, aber nachdem ich einen Vortrag von Hartmut Rosa in Athen zu kritischer Sozialforschung gehört habe, war für mich klar, dass ich mich hier bewerben will. Auch die internationale Ausrichtung war für mich attraktiv. Einerseits wollte ich mich mit den neueren theoretischen Ansätzen, wie sie in den vergangenen Jahren in Deutschland entwickelt wurden, vertraut machen, andererseits aber auch den Austausch mit internationalen Gästen suchen. Zudem ist mir die Intersektoralität wichtig, gerade auch was die Folgeprojekte anbelangt.

Wie hat sich Ihre Arbeit seit Ihrer Ankunft entwickelt?
In meinem Projekt geht es um den Begriff der Zukunft in den Sozialwissenschaften. Zurzeit untersuche ich: Wie haben sich Sozialwissenschaftler hierzulande dem Thema genähert? Welche Vorstellungen gibt es von der Zukunft, und welche Annahmen liegen diesen zugrunde? Warum wird das Thema gar häufig vermieden? Dabei fange ich bei den Klassikern an, wie Max Weber und Karl Marx, für die – trotz aller Gegensätze – die Beschäftigung mit den epochalen Umbrüchen ihrer Zeit die zentrale Motivation zur Entwicklung ihrer Ansätze war.  

Das Interesse an der Zukunft und an gesellschaftlichen Veränderungen war eigentlich der Grund dafür, warum die Soziologie überhaupt entstanden ist. In der Frühphase hatten Sozialforscher gehofft, dass man Gesetze erkennen könnte, mit denen sich die Zukunft voraussagen lässt. Allerdings wurde die explizite Beschäftigung mit dem Thema in der Folgezeit eher vermieden, da sie spekulativ und unwissenschaftlich erschien. Was unter der Bezeichnung Zukunftsforschung bekannt wurde, erwarb einen oft zweifelhaften Ruf als oberflächlicher Journalismus oder es wurde hinter den verschlossenen Türen von Think Tanks und Forschungsabteilungen großer Konzerne betrieben und nur viel zu selten an den sozialwissenschaftlichen Fakultäten von Universitäten. Wegen der sich intensivierenden Krisen beginnt sich dies wieder zu ändern. Besonders wichtig ist für mich dabei die Frage, wie sich zukunftsorientierte Forschung gesellschaftlich einbringen kann, zum Beispiel zu den Fragen von Klimawandel oder Digitalisierung. Soziale Bewegungen weisen weltweit auf einen enormen Problemdruck hin, aber auch auf Gelegenheiten zur Neugestaltung. Wir alle richten unser alltägliches Handeln an der Zukunft aus. Sowohl bei individuellen als auch bei kollektiven Entscheidungen müssen wir doch immer wieder fragen, wie die Entwicklung weitergehen soll, welche Handlungsmöglichkeiten wir haben, und wie das Verhältnis von Eliten und breiter Basis in der Zukunft gestaltet werden soll.

Wie sieht Ihr Alltag als Forscher in Erfurt aus?
Der Weg zum Büro führt teils quer durch die bezaubernd schöne, verkehrsberuhigt entschleunigte, historische Altstadt. Das ist sehr anregend. Oft stelle ich mir vor, wie es wäre, mit Martin Luther oder Thomas Müntzer, Meister Eckhart, Bach oder Goethe diskutieren zu können. Routine gibt es indes keine. Der Schein der liebevoll restaurierten Architektur vermag die mannigfaltigen Probleme nicht zu verbergen, wie etwa ungerechte Besitzverhältnisse, fehlende Nachhaltigkeit, institutionelle Bevormundung und Ressentiments gegen Geflüchtete. Hoffnungsvoll stimmt jedoch das gesellschaftliche Engagement, das zum Beispiel Jugendliche mit ihren Streiks „Fridays for Future“ zum Ausdruck gebracht haben.

Und was erwartet Sie in der Zukunft?
Die Geschichte ist nicht zu Ende, sondern geht weiter. Die Zukunft hat gerade erst angefangen, und sie ist offen. Das gilt auch für meinen persönlichen Weg. Ich denke, dass ich mich auch langfristig noch diesem Thema zu widmen habe. Die Herausforderungen sind eher größer und akuter geworden. Es gilt, die antizipative Sozialforschung zu stärken und gesellschaftliche Debatten zu fördern, um gesellschaftliche Risiken besser zu verteilen, Gestaltungsmöglichkeiten besser zu nutzen, und insgesamt zur Demokratisierung der Zukunft beizutragen.