Nachgefragt: "Was halten Sie von der Idee der Bürgerräte, Herr Dr. Hornig?"

Gastbeiträge
Spielfiguren

Thüringens Justizminister Dirk Adams hat angeregt, einen sogenannten „Bürgerrat“ einzuführen, der die Landesregierung in Fragen zu Corona-Maßnahmen unterstützen soll. Eine Alibiveranstaltung oder Bürgerbeteiligung 2.0. "WortMelder" hat bei Dr. Eike-Christian Hornig, Vertretungsprofessor für Vergleichende Regierungslehre an der Universität Erfurt, nachgefragt, was er von dieser Idee hält...

"Grundsätzlich kann sich die Einführung von Bürgerräten belebend auf die Demokratie auswirken. Auf diesem Wege kann zusätzlicher politischer Input in das repräsentative System fließen und es kommt zu einer breiteren Inklusion von Interessen. Dies geht einher mit einer Aktivierung der Bürgerschaft, dem 'Empowerment' der Teilnehmer*innen und einer potenziell höheren Anerkennung von Politikergebnissen. Auch Blockaden im politischen System, die etwa durch Konfrontationen im Parteiensystem bedingt sind, können so gelöst werden. Viele Menschen sind mit dem Funktionieren der repräsentativen Demokratie unzufrieden und wünschen sich mehr direkte Beteiligung - Bürgerräte können hier ein Baustein sein.

Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass es sich bei Bürgerräten lediglich um Konsultationsgremien handelt. Hier wird keine Entscheidungsmacht von den Parlamenten auf die Bürgerräte übertragen. Vielmehr fließen die Ergebnisse der Bürgerräte in den regulären politischen Prozess mit ein, auch wenn die Bürgerräte ohne Zweifel politisches Gewicht entwickeln können. Deshalb ist es wichtig, dass die Funktion eines Bürgerrates nicht von Anfang an mit zu viel Ansprüchen überfrachtet wird, aus der Politik aber auch nicht mehr versprochen wird als wirklich erreicht werden kann.

Für eine erfolgreiche Funktionsweise von Bürgerräten sind einige Anforderungen zu erfüllen: Neben der erwähnten Überfrachtung gilt es auch, eine Instrumentalisierung durch die Politik zu vermeiden. Vielmehr muss am Anfang klar kommuniziert werden, was ein Bürgerrat leisten kann und was mit seinen Ergebnissen geschehen soll. Grundvoraussetzung ist eine möglichst repräsentative Zusammensetzung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die Schwelle zur Beteiligung bei diesem Verfahren ist besonders groß, da es viele Ressourcen wie Zeit und Wissen voraussetzt. Deshalb ist in der Zusammensetzung unbedingt darauf zu achten, dass z.B. auch bildungsferne Schichten vertreten sind. Ansonsten würde die soziale Verzerrung in anderen Partizipationsformen einfach nur reproduziert werden.

Auch nicht jedes Thema ist für einen Bürgerrat geeignet. Abzuraten wäre von sehr eng zugeschnittenen und stark parteipolitisch überformten Themen. Ein Bürgerrat zum Mindestlohn oder über Steuererhöhungen würde kaum etwas Neues bringen. Auch sollten nur Themen anvisiert werden, die auch auf der entsprechenden politische Ebene verortet sind. So ergibt es beispielsweise keinen Sinn, einen Bürgerrat auf Kreisebene abzuhalten, der sich mit dem Verhältnis zu den USA beschäftigt. Geeignet erscheinen dagegen Themen, die noch politisch wenig festgelegt sind, etwa Grundsatzfragen zur Reform der Gesellschaft oder solche Themen auf lokaler Ebene, bei denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gut ihre Erfahrungen einbringen können.

Das Thema Corona eignet sich vor diesem Hintergrund nur mittelmäßig für einen Bürgerrat. Einerseits ist zwar jeder und jede von den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie unmittelbar betroffen und hat daher Erfahrungen einzubringen. Andererseits ist es ein wenig offenen Thema, das vielmehr durch wissenschaftliche Erkenntnisse dominiert wird. Zudem wird nur ein Teil der Entscheidungen in Thüringen getroffen, das Meiste aber in Berlin. Hierauf kann ein Bürgerrat in Thüringen gar keinen Einfluss nehmen. Aber, so wie ich die Pläne der Landesregierung verstehe, soll der Corona-Bürgerrat nur den Anfang machen und danach immer wieder Bürgerräte folgen. Damit steht Thüringen nicht allein, sondern auch anderswo in Deutschland und in anderen Ländern wird diese Entwicklung immer deutlicher: Bürgerinnen und Bürger wollen mehr mitsprechen und wir sollten das nicht ignorieren. Wichtig ist am Ende nur, dass es nicht zu einem Ausspielen der beiden Seiten Parlament und Bürgerrat kommt, sondern dass beide ineinandergreifen."