Nachgefragt: "Wird Raphael Warnock der neue Martin Luther King, Herr Prof. Haspel?"

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shcwarze Demonstranten

In den Tumulten der vergangenen Tage in den USA ist die Senatswahl in Georgia etwas in den Hintergrund geraten. Dabei gab es doch ein bemerkenswertes Ereignis, das manch einer als eine Meilenstein in der Geschichte bewertet, der vermutlich die politische Landschaft auf Dauer verändern wird: Mit Rev. Dr. Raphael Warnock wurde mehr als 50 Jahre nachdem Präsident Johnson in Anwesenheit von Martin Luther King, Jr. den Voting Rights Act, das Gesetz zur Sicherstellung des Wahlrechtes der Schwarzen, unterschrieb, erstmals ein Afro-Amerikaner in Georgia zum Senator gewählt. Er ist der Nach-Nachfolger von Martin Luther King, Jr.s Vater als Pastor der Ebenezer Baptist Church in Atlanta, an der auch King, Jr. Assistant Pastor war. Wird Raphael Warnock nun der "neue"Martin Luther King? "WortMelder" hat bei Michael Haspel, Apl. Prof. am Martin-Luther-Institut der Universität Erfurt, nachgefragt...

"Es gibt ganz augenfällige Parallelen: Warnock hat wie King das renommierte Morehouse College in Atlanta absolviert. Er wurde wie King an einer renommierten theologischen Fakultät im Norden promoviert. Beide waren Pastoren an der Ebenezer Baptist Church und haben die Predigt der Liebe mit dem Einsatz für Gerechtigkeit verbunden.

Und es gibt einen Bedarf an Schwarzen Integrationsfiguren. Auch die Schwarze Community ist vielfältiger geworden. 2016/17 sah es so aus, also ob Rev. Dr. William Barber aus Raleigh die Gallionsfigur für das Engagement Schwarze Kirchen gegen Armut und für Bürgerrechte werden könnte. Aber seither ist es wieder ruhig um ihn geworden. Natürlich sind die Fußstapfen von King für alle zu groß, aber Warnock könnte die Stimme der Schwarzen hörbarer machen und vor allem auch eine Brücke zwischen Schwarzen Kirchen, der Black-Lives-Matter-Bewegung und der Demokratischen Partei schlagen.

Aber warum hat das so lange gedauert? Man kann die Wahl Warnocks als das Resultat eines Prozesses der longue durée auffassen. Als Martin Luther King, Jr. 1960 wegen eines geringen Anlasses zu einer unverhältnismäßigen Zuchthausstrafe mit Zwangsarbeit verurteilt wurde, hat sein Vater versucht, dagegen vorzugehen. Aber weder Präsident Eisenhower – in Thüringen ja kein Unbekannter, seine Truppen haben im April 1945 Buchenwald befreit und er hatte zweitweilig sein Hauptquartier in Neudietendorf – noch seine Vize und republikanischer Präsidentschaftskandidat Richard Nixon haben interveniert. Anders der demokratische Kandidat John F. Kennedy. Auf sein Betreiben hin wurde King freigelassen. Daraufhin forderte sein Vater, Martin Luther King, Sr., zur Wahl Kennedys auf. Dieser gewann dank der Schwarzen Stimmen, wie auch Johnson vier Jahre später. Damit war der Wechsel der Mehrheit der Schwarzen Wähler*innen von der republikanischen Partei, der Partei Lincolns, zu den Demokraten vollzogen, der bis heute fortwirkt. Allerdings führte dies dazu, dass die konservativen, segregationistischen Südstaatendemokraten, die sogenannten Dixiecrats, zur republikanischen Partei wechselten, was dann 1968 den Wahlsiege Nixons im dritten Anlauf zur Folge hatte. Darüber hinaus hat Nixon versucht, durch codierten Rassismus, rassistische und rechtsextreme Wähler für die Republikaner zu gewinnen, die sogenannte Southern Strategy. Ihr verdanken auch Ronald Reagan und zuletzt Trump ihre Wahlsiege. Freilich hat dies niemand so offen gemacht wie Trump – strukturell ist es aber nicht neu. Durch die ökonomischen, kulturellen und demografischen Entwicklungen zum New South, dem urbanen, modernen, offenen, dynamischen Lebensstil in den Metropolen des Südens, allen voran Atlanta, ist diese Machkartell nun entscheidend durchbrochen und wird die politische Landschaft dauerhaft verändern. Dass der Pastor der Ebenezer Baptist Church das vor 60 Jahren angestoßen hat, und sein Nach-Nachfolger direkt in dieser Entwicklungslinie steht, ist natürlich ein starkes Symbol!"