Mit dem Sammeln beginnen sofort Tätigkeiten des Klassifizierens, Sortierens und Einteilens.“ Prof. Dr. Wolfgang Struck
Wir sammeln Dinge, sie werden aufgehoben, geordnet und archiviert. Doch Sammeln ist keine neutrale Praxis. Es entscheidet darüber, was erinnert und aufbewahrt werden soll – und was verschwindet. Es ist eine Kulturtechnik, die auf Auswahlprozessen beruht, Machtverhältnisse impliziert und Ausschlüsse generiert, mit der Wissen entsteht und Geschichte erzählt wird. Doch was passiert, wenn Sammlungen zu groß werden – in Museen, Archiven, aber auch in der eigenen Forschung?
„Museen sind verpflichtet, alle einmal aufgenommenen Sammlungsgegenstände für alle Zeiten zu bewahren – das ist eine Wahnsinnsforderung“, sagt Wolfgang Struck. Ob kommende Generationen unser Bewahrenswertes noch immer für so bewahrenswert halten werden, stellt er in dieser Folge infrage und weist daraufhin, dass Museen sich dringend der Tatsache stellen müssen, „dass sie selbst Teil eines Prozesses sind, Neuverhandlungen darüber zu führen, was relevant ist und was nicht.“ Überhaupt ließen sich doch gerade erst im Loslassen neue Perspektiven eröffnen.
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In dem Moment, in dem ich aussortiere, entsteht eine Sammlung.“ Dr. Jana Mangold
Neben klassischen und neueren Sammlungstheorien geht Jana Mangold in dieser Folge auch auf gegenwärtige Debatten um Deaccession, also das Entsammeln in der Museumspraxis, ein – auch im Kontext kolonialer Fragen: „Objekte aus Unrechtskontexten können nicht einfach Eigentum von Kolonialmächten sein.“ Sammeln und Entsammeln versteht Mangold nicht als gegensätzliche Handlungen, sondern als miteinander verschränkte Prozesse. Zusammen mit Wolfgang Struck spricht sie sich für das geordnete Chaos aus, aber auch das bewusste Begrenzen, Reduzieren und Loslassen von Material als eine zentrale Voraussetzung wissenschaftlicher Erkenntnis – und verrät, warum sich das notwendige Gespür für Relevanz weder formal noch algorithmisch ersetzen lässt.
Dass der Wert einer großen und bislang kaum erschlossenen Sammlung erheblich gesteigert werden kann, berichtet Nadine Fechner. In dem semesterübergreifenden Seminar „Die kleine Freiheit“ konnten durch sie erschlossene Fotos, die öffentliche Feste in Gotha zu DDR-Zeiten zeigen, mit den persönlichen Erinnerungen durch Gothaer Bürger*innen verbunden werden. Damit hätten „die Studierenden die Lücke zwischen dem, was offiziell überliefert wurde und dem, was individuell erinnert wird, analysiert und damit Geschichte als etwas Dynamisches erfahren", erklärt Fechner und ergänzt, dass „das Archiv so wieder zu einem partizipativen Ort des Forschens und Erinnerns wurde." Geschichte, haben die Studierenden gelernt, ist „kein abgeschlossenes und feststehendes Narrativ", die Studierenden haben vielmehr verstanden, dass die Realität in der DDR aus Grauzonen bestand und „so auch im Kontrast zu den großen Staatsnarrativen stehen, wie hier der offiziellen Geschichte der DDR."
Prof. Dr. Wolfgang Struck ist Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Philosophischen Fakultät der Universität Erfurt. Sein Interesse gilt den vielfältigen Überlagerungen von Literatur, Wissen und Wissenschaft.
Dr. Jana Mangold ist wissenschaftliche Koordinatorin der Forschungsgruppe „Kulturtechniken des Sammelns“. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Materialität und Formaten der Popkultur, in Gebrauchsweisen reproduzierter Abbildungen und Formen des Archivs.
Nadine Fechner ist Mitarbeiterin im Kooperationsprojekt „Kulturtechniken des Sammelns“ mit der Friedenstein Stiftung Gotha. Sie forscht zu Stadtdarstellungen in Malerei, Grafik und Fotografie.