Wer den Campus der Universität Erfurt betritt, spürt sofort: Dies ist ein Ort der Begegnung. Im Zentrum liegt eine große, grüne Fläche – offen, lebendig, verbindend. Sie ist mehr als eine Freifläche zwischen Gebäuden: Sie bildet das Herz der Universität und steht sinnbildlich für das, was hier gelebt wird – Verbindung, Bewegung und gemeinsames Gestalten. Die räumliche Struktur mit kurzen Wegen fördert direkte Kommunikation und interdisziplinäre Zusammenarbeit. Lehramtsstudierende, Forschende und Lehrende begegnen sich auf Augenhöhe. Ideen fließen zwischen Disziplinen. Projekte entstehen über Fakultätsgrenzen hinweg. So wird der Campus zum Mikrokosmos einer zukunftsorientierten Lehrkräftebildung, wie sie die Universität im Großen anstrebt: offen für Wandel, fest verankert in gesellschaftlicher Verantwortung und geprägt von der gemeinsamen Arbeit an der Schule der Zukunft. Mit ihrem Konzept „Für die Schule der Zukunft: Ein starkes Lehramt als Herzstück universitärer Identität“ ist die Universität Erfurt jetzt als eine von deutschlandweit sechs Einrichtungen für den „Preis für Exzellenz in der Lehrkräftebildung“, den die TÜV SÜD Stiftung und der Stifterverband verleihen, nominiert worden. Für unseren „WortMelder“-Blog haben wir mit Prof. Dr. Sandra Neumann und PD Dr. habil. Benjamin Dreer-Göthe gesprochen, die maßgeblich an dem Konzept mitgewirkt haben…
Frau Prof. Neumann, was macht die Lehrkräftebildung an der Universität Erfurt so besonders?
Prof. Dr. Sandra Neumann: Nun, das Lehramt ist, wenn Sie so wollen, das Herzstück unserer universitären Identität. Wir setzen mit innovativen Konzepten Maßstäbe in der Lehrkräftebildung und entwickeln diese natürlich auch kontinuierlich weiter. Mit aufeinander aufbauenden, systematisch begleiteten Praxisphasen, schulpraxisbezogenen Internationalisierungsangeboten und unserer in dieser Form ersten und bundesweit einzigartigen Initiative zur Umsetzung eines dualen Lehramtsstudiums gestalten wir die Schule von morgen schon heute aktiv. Das heißt, wir passen in einer offenen, entwicklungsfreudigen Universitätskultur unsere Studienangebote wissenschaftsorientiert, praxisnah und flexibel stetig an aktuelle und zukünftige gesellschaftliche Herausforderungen an. Der enge Austausch zwischen der Erfurt School of Education, die an der Uni Erfurt die Lehrkräftebildung verantwortet, den Studierenden, den Fachdisziplinen, aber auch der Hochschulleitung und der Hochschulkommunikation sowie die kurzen Wege auf unserem Campus ermöglichen dabei schnelle und wirkungsvolle Reaktionen auf bildungspolitische Impulse. So bleibt die Universität innovativ und übernimmt zugleich Verantwortung als eine richtungsweisende Gestalterin der Lehrkräftebildung in Thüringen.
Sie sagten, dass sich die Lehrkräftebildung an der Universität Erfurt stetig weiterentwickelt – was waren denn Meilensteine bzw. Erfolge, die man hier nennen könnte?
PD Dr. Benjamin Dreer-Göthe: Ein erster Meilenstein war für uns die Entwicklung grundständiger Lehramtsstudiengänge im gestuften Bachelor-Master-Format, die die Universität Erfurt als eine der ersten Hochschulen in Deutschland umgesetzt hat. Dieser Prozess wurde von einer breiten Beteiligung der Hochschulgemeinschaft getragen und legte den Grundstein für eine Ausbildung, die fachwissenschaftlich exzellent ist und dabei Forschung, Praxis und Reflexion auf besondere Weise verbindet. Aber auch unser gestuftes Praktikumskonzept muss hier genannt werden: Von ersten Orientierungspraktika, über fachdidaktische Tages- und bildungswissenschaftliche Blockpraktika bis hin zum Praxissemester werden unsere Lehramtsstudierenden systematisch an die Herausforderungen und Entwicklungsaufgaben des Lehrberufs herangeführt. Insgesamt ermöglichen wir bis zu elf Praktika pro angehender Lehrkraft und setzen damit, denke ich, bundesweit Maßstäbe. Die Praktika sind dabei in ihrer Komplexität ansteigend und werden durch enge Anbindung an die universitäre Lehre und durch an die Herausforderungen angepasste Reflexionsangebote begleitet. All dies sind Meilensteine, auf deren Grundlage die Lehrkräftebildung in den vergangenen zehn Jahren sichtbar in die Mitte unserer universitären Identität gerückt ist. Die strategischen Entscheidungen des Präsidiums und parallel dazu gezielte Entwicklungsmaßnahmen haben die Ausbildung von künftigen Lehrer*innen zum integralen Bestandteil des universitären Profils gemacht und dabei ist in den vergangenen Jahren erheblich in ihren Auf- und Ausbau investiert worden. Nicht zuletzt dank der Einwerbung von Drittmitteln in den einschlägigen Förderprogramme konnten wir wichtige Projekte, wie QUALITEACH und seine Fortsetzung in QUALITEACH II (BMBF, ca. 6,4 Mio. Euro), den Forschungscampus Digitale Lehrer*innenbildung (ca. 1,4 Mio. Euro) sowie das Internationalisierungsvorhaben „Erfurter Lehramtsstudierende im Ausland“ (ELsA, DAAD, ca. 1 Mio. Euro) umsetzen. Diese Investitionen haben unsere Strukturen weiter gestärkt, inhaltliche wie konzeptionelle Weiterentwicklungen angestoßen und neue Arbeitsbündnisse und -formate initiiert, die bis heute weiterwirken.
Wie wird denn die Idee von der „Schule der Zukunft“ auf dem Campus sichtbar?
Prof. Dr. Sandra Neumann: Zum Beispiel durch unsere innovativen Lernräume. In unseren Technikwerkstätten, dem Sachunterrichtslabor, dem Campus-Schulgarten, der Hochschullernwerkstatt, unserer Werkstatt für Medienbildung, einem Smart Classroom und dem Lehr- und Forschungslab KOMPASS für Kommunikation, Partizipation, Sprache und Soziale Integration. Hier erleben die Studierenden alternative Lehr- und Lernszenarien, -formate, -methoden und -materialien, und sie lernen zugleich neue Formen der Interaktion, Kollaboration und Mediennutzung kennen. Mit diesen Orten sind didaktische Versuchs- und Erfahrungsräume entstanden, in denen Studierende erleben und vor allem auch selbst erproben können, wie Lernen und Lehren morgen gestaltet werden kann.
2024 ist die Universität Erfurt als erste Universität in Deutschland mit einem dualen Studium für das Lehramt an Regelschulen an den Start gegangen. Ein Erfolg?
Prof. Dr. Sandra Neumann: Auf jeden Fall. Denn damit haben wir – in enger Zusammenarbeit mit dem Freistaat Thüringen ein Ausbildungsmodell etabliert, das bundesweit einzigartig universitäres Studium und schulische Praxis eng miteinander verzahnt: Ab dem dritten Fachsemester im Bachelor bis zum Ende des Master-Studiums lernen Studierende an zwei Tagen pro Woche an festen Ausbildungsschulen und studieren an drei Tagen pro Woche bei uns auf dem Campus. Der Praxisaufenthalt wird durch Supervisions- und Reflexionsangebote durchgehend begleitet. Und, was für viele der Studierenden ebenfalls eine wichtige Rolle spielt: Sie erhalten eine studienbegleitende Vergütung und damit auch eine finanzielle Sicherheit für ihr Studium. Das Modell ist so erfolgreich, dass wir im zweiten Jahrgang noch einmal um 20 Studienplätze ausgestockt haben und inzwischen 120 Studierende in diesem Studienmodell ausbilden.
Klingt alles nach einem echten Erfolgsmodell. Gibt’s auch Dinge, die Ihnen Sorgen bereiten bzw. die Erfurter Lehrkräftebildung vor Herausforderungen stellen?
PD Dr. Benjamin Dreer-Göthe: Natürlich! Da wäre beispielsweise der zunehmende Druck, der maßgeblich durch den bundesweiten Lehrkräftemangel bei zugleich sinkenden Studierendenzahlen verursacht wird. Die Bildungspolitik fordert, Studierende früher und intensiver in schulische Praxisphasen einzubinden. Gleichzeitig fehlt in vielen Schulen an Ressourcen, um Praktikant*innen zu betreuen. Wir sehen, dass das traditionelle Modell der Lehrkräftebildung zunehmend in Frage gestellt wird und Studierende bereits während des Studiums eigenverantwortlich an Schulen mitarbeiten. Zugleich führen dynamische gesellschaftliche Entwicklungen, etwa in den Bereichen Inklusion, Migration und Digitalisierung zu sich rasch wandelnden Bildungsanforderungen und -bedürfnissen.
Wie begegnet die Universität Erfurt diesen Herausforderungen?
Prof. Dr. Sandra Neumann: Unsere Hochschule zeichnet sich durch eine starke Universitätsgemeinschaft aus, in der viele engagierte Personen ein großes Interesse an der Zukunft der Lehrkräftebildung haben und mit viel Engagement und Veränderungsmut agieren. Exzellente Fachlichkeit und einschlägige Bildungsforschung bilden hier eine solide Basis für eine Ausbildung, die sich agil an gesellschaftlichen Herausforderungen und relevanter wissenschaftlicher Evidenz orientieren kann. Mit kurzen Wegen, lebendigem Austausch zwischen den Disziplinen und einer offenen und vor allem entwicklungsfreudigen Universitätskultur gelingt es uns in Erfurt, innovative Konzepte mit unseren Partnern aus Schule, Studienseminaren und Bildungspolitik rechtzeitig vorzudenken, umzusetzen und gezielt weiterzuentwickeln. So können auch in Zukunft wissenschaftlich fundierte und zugleich flexible, praxisnahe Ausbildungswege, wie das duale Lehramtsstudium, eröffnet werden.
Zum Konzept der Erfurter Lehrkräfteausbildung gibt es auch einen sechsminütigen Film, der Einblicke liefert und Akteur*innen vorstellt.
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