Eine partizipative Liturgie für eine erneuerte Kirche

Forschung & Wissenschaft
Die Feier des Gründonnerstags
Ein offene Kapelle als Ort für Partizipation
Ein offene Kapelle als Ort für Partizipation

von Dominik Abel

Schon in den vorherigen Beiträgen wurde deutlich: Die Kirche steht vor einer Transformation in vielen Bereichen. Gleichzeitig bedarf es einer deutlich breiteren Verantwortung von Liturgie.

Beides – eine neue seelsorgliche Situation und ein theologischer Aufbruch, der die Partizipation aller Getauften in den Blick nimmt – findet sich außerhalb der katholischen Kirche in Europa in verschiedenen Ortskirchen: Zuerst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in der südafrikanischen Ortskirche und ab den 90er-Jahren zunehmend auch im asiatischen Raum, wo sich ein ganzer Pastoralansatz um die Frage nach der Partizipation aller Getauften entwickelte. Ein heutiges Beispiel für diese Weiterführung ist das Pastoralinstitut Bukal Ng Tipan, das sich der Umsetzung eines Leitbilds einer partizipativen Kirche gewidmet hat. Ein Beispiel aus dieser Entwicklung sind die „fünf Stufen der Kirchenentwicklung“[1], in denen ein Transformationsprozess zu einer erneuerten und partizipativen Kirche beschrieben wird, der ebenfalls für die Situation der deutschen Kirche gelten kann – auch wenn er in Deutschland unter anderen kulturellen Vorzeichen geschieht.

Die fünf Bilder von Kirche – Auf dem Weg zu einer partizipativen Kirche

Das erste Bild ist das einer versorgenden Kirche („provided-for church“): In diesem klassischen Modell von Gemeinde tragen ein Priester und mehrere Hauptamtliche die alleinige Verantwortung. Der Priester ist dabei vor allem für die „Spendung“ der Sakramente zuständig. Die anderen Hauptamtlichen unterstützen ihn in der Katechese. Die übrigen Gemeindemitglieder sind Empfänger. Liturgietheologisch ist dieses Modell bis heute mit einer „Monokultur der Eucharistie“ wirksam. Existiert es vielleicht nicht mehr in Reinform, so wirkt allerdings die Konzentration auf die Eucharistie und die Spendung der Sakramente in der Pastoral weiterhin nach. Auch in der deutschen Ortskirche stößt ein solches Modell an theologische und pastorale Grenzen: Vor dem Hintergrund einer Volk-Gottes-Theologie und des Priestertum aller Getauften ist eine Fokussierung auf einzelne Amtsträger, Geweihte wie Laien gleichermaßen, nicht mehr plausibel. Zunehmend größere Seelsorgseinheiten infolge von Priester- und Gläubigenmangel machen daneben eine Fokussierung auf die Eucharistie in der Pastoral zunehmend auch praktisch nicht mehr möglich.

Das zweite Bild einer Kirche der Helfer („church of helpers“) versucht diese Rollen aufzubrechen: Ehrenamtliche übernehmen einzelne Aufgaben der Hauptamtlichen. Dabei verstehen sich die Ehrenamtlichen als Helfer der Hauptamtlichen. Zentral für ihr Selbstverständnis ist die Beauftragung durch die Hauptamtlichen. In der Liturgiepastoral lässt sich dieses Bild oft an Anfängen von Transformationsprozessen wiederentdecken: Die Pfarrer sprechen einzelne Ehrenamtliche an, die fortan Wort-Gottes-Feiern organisieren sollen. Diese Feiern werden von vielen Beteiligten auch als Ersatz für eine Eucharistie verstanden. Auch dieses Modell stößt an Grenzen, wenn Ehrenamtliche nicht langfristig als „verlängerter Arm des Priesters“ wahrgenommen werden wollen. Sie merken, dass in der Wort-Gottes-Feier Anliegen an sie getragen werden, die dem Charakter der Liturgie nicht entsprechen. Außerdem bleiben einige Leute, die sich engagieren wollen, außen vor.

Der Abschied von gewohnten Rollen ruft auf allen Seiten Unsicherheiten hervor. Es entsteht das Kirchenbild einer erwachenden Kirche („awakening church“). Die Hauptamtlichen sind zunehmend überfordert in ihrer Verantwortung. Viele Gemeindemitglieder finden keine Orte für kirchliche Partizipation. Die Ehrenamtlichen hinterfragen ebenfalls ihre Rolle.

Bei diesem Schritt der Kirchenentwicklung findet eine Teilung in zwei Gruppen statt: Einige Gemeindemitglieder wollen zurück in eine Kirche, in der es klare Regeln und Strukturen gibt. Andere Gemeindemitglieder wiederum wollen Kirche neu denken. Als Lösung wird hier ein Visionsprozess eingeführt, der die grundlegende Frage stellt: Was ist die gemeinsame Vision von Kirche? Wie wollen wir Christ-Sein gestalten? 

Ein Beispiel hierfür ist der Synodalen Weg in Deutschland, bei dem sich viele Konflikte auch auf die Frage herunterbrechen lassen, was Kirche ist. Auch in anderen Bereichen der Liturgie lassen sich solche Unterschiede im gefeierten Kirchenbild finden: Insbesondere die Diskussion um die Feier des außerordentlichen Ritus infolge des motu proprio „Traditionis custodes“ von Papst Franziskus hat deutlich gemacht, dass in der Form der gefeierten Liturgie auch Kirchenbilder transportiert werden.

Eine weitergehende Transformation lässt sich im Kirchenbild der Kirche der Ämter („church of ministers“) beobachten. Vor allem die Ehrenamtlichen haben einen Wandel ihrer Rolle durchgemacht: Die Ehrenamtlichen agieren selbstbewusster und wollen in die Planung einbezogen werden. Für sie rückt eine intrinsische Motivation in den Vordergrund. Christusnachfolge und Berufung sind Motive, die hier oft genannt werden. Aufgabe und Rollenprofil der Hauptamtlichen ist es, „Möglichmacher“ zu sein. Ein solcher Wandel lässt sich auch in der deutschen Ortskirche beobachten, wenn Leiter:innen von Wort-Gottes-Feiern die Eigenständigkeit der Form und den Eigenwert der Bibel entdecken. Doch auch diese Formen stoßen an Grenzen, da es nie genug Aufgaben gibt, um alle Menschen zu beteiligen.

Ein letztes Kirchenbild, das nur als Traum oder Vision der asiatischen Ortskirche beschrieben wird, ist die Gemeinschaft der Gemeinschaften („communion of communities“). Auf den Philippinen gelingt es durch die Struktur von Gemeinschaften in der Nachbarschaft, auch Kleine Christliche Gemeinschaften genannt, alle Menschen zu beteiligen. Kirche wird hier vor Ort erfahrbar. Gemeinschaft wird im Bibel-Teilen, aber auch in der sonntäglichen Eucharistiefeier erlebt. Die Grundlage dieses Kirchenbilds ist das Charisma aller Gläubigen, da alle Gläubigen durch ihre Taufe aufgerufen sind, ihre je individuellen Fähigkeiten einzubringen und am Aufbau der Kirche mitzuwirken. Doch gleichzeitig bildet die Feier der Eucharistie den Knotenpunkt der Pfarrei. Dieses Kirchenbild, das Kirche als eine Vielzahl von Orten beschreibt, hat auch Potenzial für die deutsche Ortskirche und kann eine wertvolle Inspiration für wichtige Fragen sein: Was ist ein tragfähiges Kirchenbild, das eine Vision für die deutsche Ortskirche bilden kann? Was sind Strukturen, die dieses Bild mit Leben füllen und ausgestalten? Wie sieht eine Liturgie in einer Kirche der Teilhabe aus? Wie können wöchentliche, niederschwellige Liturgien aussehen, die Kirche „dezentralisieren und organisieren“[2]?

Partizipative Liturgie in Deutschland?

Ein Beispiel für eine solche Liturgie ist das (Kl)Osterpaket, welches das Kloster Münster-Schwarzach anlässlich des Osterfestes im Jahr 2020 im ersten Lockdown entwickelte. Für die Osterfeiertage wurden dort in einem Heft vier kleine Hausgottesdienste zusammengestellt, die der Struktur „Einleitung – Lesungen – Impuls – ausdeutendes Ritual – Abschluss“ folgten. Ergänzt wurde dieses Paket durch verschiedene Materialien (Weihrauch, Kerze, Kreuz), die zur Ausführung der Liturgien benötigt wurden. Zusätzlich zu diesen Materialien wurden verschiedene Aufnahmen online zur Verfügung gestellt, wie etwa ein Osterimpuls, die in die Liturgien eingebaut wurden.

Dabei erfüllt diese Liturgie klare Kriterien, die an das letztgenannte Kirchenbild anknüpfen:

  • Die Liturgien sind leicht zu praktizieren. Mit einer einfachen Einleitung, die alle wichtigen Materialien benennt, aber auch Modifikationen erlaubt, wird das Feiern der Liturgie möglichst barrierefrei gestaltet. Damit wird den Feiernden ein Rahmen geboten, der allerdings auch angepasst und erweitert werden konnte.
  • An dieser Liturgie kann auch Partizipation noch einmal verdeutlicht werden: Partizipation bedeutet hier eine paritätische Rollenverteilung genauso wie eine Leitung, die möglichst die ganze Gemeinschaft einbindet und Hierarchien zwischen den Feiernden flach hält.
  • Diese Liturgien haben ein klares Profil, ohne den Kontext zu ignorieren. Neben einer Innovation in der Form, die digitale Medien einbindet, werden kirchliche Traditionen – in diesem Fall das monastische Stundengebet – eingebunden und so den Liturgien ein klares Profil gegeben. Dieses Profil wurde anlassbezogen in Impulsen mit Blick auf Ostern nochmals verstärkt.
  • Alle Liturgien haben einen starken Bezug zur Bibel: Nicht nur in einer Vielzahl von biblischen Lesungen aus beiden Testamenten, sondern auch durch eine Sprache, die biblisch motiviert ist, drückt sich eine Nähe zur Heiligen Schrift als Fundament des Glaubens aus. Die Bibel als Fundament des Glaubens wird so in diesen Liturgien erfahrbar.

Es entsteht das Bild einer Kirche, für die die Partizipation aller Gläubigen konstitutiv ist. Eine Kirche, die auf die Bibel als Fundament des Glaubens ausgerichtet ist und die Erfahrung des eigenen Glaubens eine zentrale Kategorie kirchlichen Handelns ist.

 

[1]    Zur ersten deutschen Publikation vgl. Anselm Prior, Kirche als Gemeinschaft von Gemeinschaften. Unterwegs zur Pfarrgemeinde der Zukunft (übersetzt und eingeleitet von Ottmar Fuchs) (Erfahrungen aus den Jungen Kirchen), München 1994.

[2]    Vgl. AsIPA Editorial Team, B\9 SCCs and Associations, Taipei.