Liturgische Repräsentation – eine Geschlechterfrage?

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von Prof. Dr. Benedikt Kranemann

Die katholische Kirche erlebt momentan zahlreiche Debatten, die theologisch mit vielfältigen Herausforderungen verbunden sind: verpasste Reformen der Vergangenheit, verschleppte Probleme wie beispielsweise einflussreichere Rollen von Frauen in der Kirche, der gesamte Komplex des sexuellen Missbrauchs. Sie hängen aber auch mit Aufbrüchen zusammen, für die der Synodale Weg oder neue Initiativen im Feld der Ökumene stehen können; bei letzterem ist insbesondere an das Votum des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK) „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ zu denken.

In dieser durchaus aufgewühlten Situation ist ein Aufsatz zu einer Debatte erschienen, die die katholische Kirche seit Jahrzehnten umtreibt: die Diskussion um – immer noch – die Rolle von Frauen in der Kirche. Der Beitrag verknüpft die „Frauenfrage“ mit der Eucharistiefeier. Der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück wirft in seinem Aufsatz „Den Bräutigam darstellen.  Was spricht gegen die Priesterweihe für Frauen?“ (Herder Korrespondenz 2021, H. 1, 23–27) die Frage nach der sakramentalen Repräsentation durch Frauen auf, ein Aspekt, der auch die Liturgie betrifft. Seine These hat bislang u. a. in der Liturgiewissenschaft wenig Beachtung gefunden. Sakramentale Repräsentation berührt unmittelbar das Selbstverständnis der Liturgie. Integrität und Verständnis des Eucharistischen Hochgebets sind betroffen. Nicht zuletzt steht die Frage im Raum, ob die Liturgie die weitere Debatte um Rolle und Stand von Frauen in der Kirche an entscheidender Stelle ausbremst. Hier ist entschiedener Widerspruch notwendig.

Die Frage steht im Raum, ob Frauen in der Liturgie, genauer geht es um die Eucharistie, Christus „symbolisch angemessen zur Darstellung bringen“ können (26). Im Hintergrund ist die Vorstellung, Christus sei der Bräutigam und der „‘Herr‘ der Kirche“, die Kirche seine Braut. Eine Sicht auf Christus und Kirche, die sich einer traditionellen Metaphorik bedient. Einfacher formuliert: Könnte eine Frau in der Eucharistiefeier Christus repräsentieren? „Würde sie in persona Christi die Worte rezitieren: ‚Das ist mein Leib für euch‘ – verstieße das nicht gegen die Logik sakramentaler Repräsentation?“ (26), so Tück. Er fährt dann fort, dass auch der Tausch von Geschlechterrollen im Theater zumindest fallweise problematisch sei und zu einer ästhetischen „Unstimmigkeit“ führe. Diese solle man in der Liturgie gerade nicht „überspielen“, sondern „liturgisch-ästhetisch stark machen“ (26).

Liturgie und Theater, Gottesdienst und Rollenspiel werden hier parallelisiert, wenn nicht ineinander geschaut. Keine Frage, Liturgie hat gewisse Analogien zum Theater, aber es führt zu Unschärfen und geht an der Sache vorbei, wenn man beide quasi gleichsetzt. Die Fastenzeit oder vorösterliche Bußzeit beispielsweise ist nicht nur historisch die Zeit der Passionsspiele. Bei diesen Aufführungen handelt es sich zweifellos um Theater und Rollenspiel, was ihre Bedeutung als geistliches Geschehen nicht in Abrede stellt. Das Passionsspiel bewegt sich aber doch in erheblicher Distanz zur Liturgie. Eucharistie und das Eucharistische Hochgebet sind eben kein Rollenspiel, wiewohl man immer wieder einmal den Eindruck gewinnen kann, das werde anders verstanden. Nur ein Beispiel: Die immer wieder begegnende Unsitte mancher Priester, zu den Worten „nahm er das Brot, sagte Dank und brach es“ die Hostie zu brechen, bringt Dinge durcheinander, die sorgfältig geschieden werden müssen. Liturgische Repräsentanz meint eben nicht, Christus nachzuspielen. Nicht um Rollenspiel oder Mimesis, sondern um Anamnese geht es hier, und das macht einen großen Unterschied aus. Die Frage, ob Frauen in persona Christi agieren können, hält diese Unterscheidung nicht durch. Sie erklärt dieses Handeln wie ein Rollenspiel, das nur dann funktioniert, wenn ein Mann Christus vertritt, spielt, an seiner Stelle handelt. Diese Argumentationsfigur erhält ihre eigene, aber letztlich nicht aufgehende Logik dadurch, dass der Handelnde die Einsetzungsworte spricht. Könnte auch eine Frau die Worte eines Mannes sprechen „Dies ist mein Leib“? Bleibt man im Denkmodell des Rollenspiels, ist die Frage möglicherweise sinnvoll, wenngleich vermutlich unterschiedlich zu beantworten. Noch dann, wenn man das Eucharistische Hochgebet auf die Einsetzungsworte begrenzen würde und in ihnen den Konsekrationsmoment sehen würde, könnte man die Frage zumindest nachvollziehen. Aber, und das ist nicht zuletzt durch die Ökumene mit dem Osten motiviert worden, das Hochgebet ist mehr als die Einsetzungsworte. Es ist ein zusammenhängendes anamnetisch-epikletisches Gebet. Es ist erinnernd-vergegenwärtigend und insbesondere ein Gebet, das um die Gabe des Geistes Gottes bittet. Dies hat jüngst die oben genannte Veröffentlichung des ÖAK unterstrichen, und dem hat auch niemand widersprochen: Danksagung und Bitte, Anamnese und Epiklese (5.5) sind konstitutive Elemente des eucharistischen Mahlgeschehens. Daran hängt eine ganze Theologie. Knapp formuliert: Die Anamnese bindet die Feiernden in die Geschichte Gottes mit den Menschen ein, die Bitte um die Geistgabe verdeutlicht, dass das Geschehen der Eucharistie letztlich Handeln Gottes ist. Das bündelt und verdichtet das Eucharistische Hochgebet. Es muss hinsichtlich Wort und Ritus als Einheit verstanden werden.

Die Einheit der großen Eucharistiegebete zerstört man, wenn man allein auf die Einsetzungsworte fokussiert. Das tangiert die eigene, innerkatholische Sakramententheologie, die Theologie der Liturgie und auch die Ökumene. Wenn man aber das Hochgebet als Gesamt betrachtet, ist die hypothetische Frage, ob Frauen ein solches Gebet sprechen könnten, obsolet.

Warum sollten Frauen nicht Anamnese und Epiklese vollziehen können? Dass sie dies übrigens im Kontext der evangelischen Kirchen können, bringt ins Nachdenken. Anamnese und Epiklese kennen keine Geschlechterdifferenz!

Ein weiteres kommt hinzu: Hochgebete sind Amtsgebete, kein schönes, aber ein treffendes Wort. Ein Amtsträger, der Priester in diesem Fall, spricht dieses Gebet „im Namen aller“ (AEM 54). Und alle sagen zu diesem Gebet ihr „Amen“, keine Kleinigkeit für das Verständnis solcher Gebete und der Liturgie insgesamt. „Die“ Gemeinde umfasst „die“ Getauften und damit „die“ Geschlechter. Alle sind an diesem Christusgeschehen beteiligt, unbeschadet der Ämterfrage. Es gilt Gal 3, 28: „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Es gibt nicht Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“ Unbeschadet der Amtsfrage muss das in der Eucharistie gelten. Dass das eine Geschlecht nicht, das andere aber sehr wohl in der Eucharistie Christus repräsentieren können soll, ist nicht akzeptabel. An der Eucharistie die Geschlechterdebatte in der beschriebenen Weise festzumachen, ist nicht nur nicht sachgemäß, es ist gefährlich. Es trägt eine Diskussion in einen Bereich der Liturgie ein, in dem die Geschlechterdifferenz gerade keinen Platz hat. Ob der Vorsteher der Eucharistiefeier ein Mann sein muss oder nicht, lässt sich jedenfalls nicht im Rahmen dieses Gebets klären. Von Identifikation mit den zentralen Gestalten der biblischen Heilszeit im Gottesdienst hat Angelus A. Häußling in einem seiner grundlegenden Aufsätze zur Liturgietheologie gesprochen. Der Aufsatz trägt den programmatischen Titel: „Liturgie: Gedächtnis eines Vergangenen und doch Befreiung in der Gegenwart“ zuerst 1991 in „Vom Sinn der Liturgie“). Diese befreiende Kraft der Liturgie darf an keiner Stelle beschädigt werden, gerade nicht mit Blick auf die Geschlechter und schon gar nicht unter Bezug auf die Eucharistie.

Der oben genannte Beitrag ruft noch ein weiteres, höchst sensibles Thema auf. „Mit der Relativierung des Mannseins wird aber zugleich das Judesein Jesu marginalisiert“ (27), liest man. Das ist nicht unmittelbar auf die Eucharistie bezogen, aber bringt doch ein Geschmäckle in die gesamte Auseinandersetzung. Wäre, wer die beschriebene Definition der Priesterrolle in Frage stellen und beispielsweise die Ansicht vertreten würde, auch Frauen könnten das Hochgebet einschließlich der Herrenworte sprechen, gleich antijüdisch unterwegs? Immerhin kennen auch andere christliche Kirchen genau diese Praxis.

Eine Instrumentalisierung des Judeseins Jesu für innerkirchliche Diskussionen verbietet sich. Das gilt insbesondere dort, wo die Liturgie ins Spiel kommt, für die im vergangenen Jahrhundert mühsam eine problematische Geschichte aufgearbeitet und ein wirklicher Paradigmenwechsel vollzogen wurde. Er betraf die Eucharistie, aber auch das Kirchenjahr – man denke nur an die Karfreitagsfürbitten – und die Liturgie insgesamt. Viele Schritte müssen immer noch getan werden. Im Umgang mit dem Judentum verlangt gerade die Liturgie ein sehr sensibles Hören und Sprechen. Das darf in der theologischen Debatte nicht unterlaufen werden.