So vielseitig kann Kirchenrecht sein: Ein Interview mit Anna-Maria Bader

Personalia
Die Villa Martin mit herbstlichen Bäumen im Vordergrund
Dr. Dr. Anna-Maria Bader
Dr. Dr. Anna-Maria Bader

Wir freuen uns sehr, die Kirchenrechtlerin Dr. Dr. Anna-Maria Bader an unserer Fakultät begrüßen zu dürfen. Sie vertritt die Professur für Kirchenrecht, da die Professurinhaberin Prof. Dr. Myriam Wijlens für das Forschungsprojekt “Transparency - Accountability - Responsibility: Reforms of Church Structures and Practices” von der Lehre befreit ist, was durch einen Drittmittelgeber ermöglicht wird. Wir haben mit unserer neuen Kollegin über ihre Forschung und ihren Werdegang gesprochen und darüber, wie sie einen Ausgleich zu ihrem anspruchsvollen Arbeitsalltag findet. 

Sie vertreten nicht nur seit 01.10.2025 die Professur für Kirchenrecht an unserer Fakultät, sondern haben gerade auch den Audomar-Scheuermann-Studienpreis für Ihre Promotion verliehen bekommen. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung? 

Es ist für mich eine große Freude und Ehre, dass mir für meine kanonistische Dissertation im kirchlichen Strafrecht dieser Preis von Reinhard Kardinal Marx, Erzbischof von München und Freising, verliehen wurde. So wie das kirchliche Strafrecht jetzt zu meinen Forschungsschwerpunkten gehört, so war es auch ein Kernbereich des Münchener Kirchenrechtsprofessors Audomar Scheuermann (1908–2000), auf den der Preis zurückgeht. Die Auszeichnung ermutigt mich außerdem, meinen Weg in der Wissenschaft zuversichtlich weiterzugehen. 

Ausgezeichnet wurde Ihre kanonistische Doktorarbeit. Sie haben aber auch noch einen zweiten Doktortitel. Inwiefern unterscheiden sich diese beiden Promotionen? 

Die Arbeiten unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht in Inhalt und Methode: Meine kanonistische Doktorarbeit habe ich im Bereich des kirchlichen Strafrechts verfasst und darin untersucht, wie sich eine bestimmte kirchliche Strafe, das Interdikt, in der Rechtsordnung der Kirche seit dem Gesetzbuch von 1917 verändert hat und wie diese Strafe heute (bei Bedarf) noch sinnvoll eingesetzt werden kann. Es ist also eine systematische Arbeit, die auch rechtsgeschichtliche Aspekte berücksichtigt. 

Demgegenüber ist meine theologische Promotion aus einem aktuellen Anlass entstanden, nämlich vor dem Hintergrund der Neuordnung der kirchlichen Bevollmächtigung (Missio canonica) für Religionslehrkräfte durch die deutschen (Erz‑)Bischöfe. In dieser Arbeit, die sich in einem Schnittbereich des kirchlichen Verkündigungsdienstes und des Staatskirchenrechts bewegt, habe ich dann die Musterordnung der Deutschen Bischofskonferenz von 2023 mit den nachfolgend erlassenen 28 Ordnungen der einzelnen deutschen (Erz-)Diözesen verglichen und kirchenrechtlich analysiert und bewertet. Die erstgenannte Arbeit behandelt zudem ein Thema des universalen Kirchenrechts, das weltweit relevant ist, während sich die zweite Arbeit mit einer spezifisch auf Deutschland bezogenen Thematik beschäftigt. 

Lassen Sie uns noch einmal in der Zeit zurückgehen: Hat Sie Kirchenrecht schon während Ihres Studiums besonders interessiert?

Tatsächlich fand ich das Kirchenrecht seit der ersten Vorlesung, die ich im ersten Semester meines Theologiestudiums hören durfte, faszinierend. Kurz darauf hat mir mein damaliger Professor dann eine Stelle als studentische Hilfskraft im Kirchenrecht angeboten, die ich bis zum Abschluss meines Theologiestudiums behalten habe. Das hat mir viele unterschiedliche Einblicke sowohl in die wissenschaftliche Arbeit als auch in die praktischen Tätigkeitsfelder im Bereich des Kirchenrechts ermöglicht, für die ich heute noch dankbar bin. 

So ist meine Liebe zum Kirchenrecht und mein Interesse daran über die Zeit immer mehr gewachsen und nach meinem Theologiestudium war für mich dann klar, dass ich das Lizentiat und die Promotion im Kirchenrecht anstreben möchte. Auch heute kann ich mir keinen schöneren Beruf vorstellen. 

Kirchenrecht scheint aber nicht das einzige Fach zu sein, das Sie spannend finden. Sie haben nämlich auch noch einen Master gemacht im Studiengang “Theologia spiritualis” an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg. Wie passt das mit Kirchenrecht zusammen? 

Kirchenrecht und Spiritualitätstheologie passen tatsächlich sehr gut zusammen. Eine wesentliche Aufgabe des kirchlichen Rechts ist es, die einzelnen Gläubigen und ihre Rechte zu schützen. Verschiedene kirchliche Normen schaffen somit erst eine Grundlage und zugleich einen Entfaltungsraum, damit sich Spiritualität entwickeln kann. Dazu zählt zum Beispiel das Grundrecht auf die Verkündigung des Wortes Gottes und den Empfang der Sakramente, das Grundrecht auf eigene Spiritualität oder das Grundrecht auf den Schutz der Intimsphäre. Viele Bereiche, mit denen sich die Spiritualitätstheologie beschäftigt (Seelsorgegespräche, Geistliche Begleitung, Exerzitien, Beichte, etc.), betreffen sehr private und persönliche Dimensionen eines Menschen oder behandeln äußerst sensible Themen. Umso wichtiger ist es, dass diese Bereiche und das, was darin besprochen wird, rechtlich geregelt und dadurch geschützt werden. 

Das Aufbaustudium in Spiritualitätstheologie hilft mir auch oft bei meinen praktischen Tätigkeiten und hier insbesondere beim Umgang mit Menschen, die sich für eine kirchenrechtliche Beratung an mich wenden oder mit denen ich im Rahmen eines Gerichtsverfahrens zusammentreffe. Die Fragestellung oder das Problem, das auf der kirchenrechtlichen Ebene besteht, lässt sich ja nicht einfach vom restlichen (Glaubens‑)Leben dieses Menschen trennen. Das Kirchenrecht muss immer den ganzen Menschen in den Blick nehmen, zu dem auch und ganz wesentlich seine Spiritualität gehört – nur dann kann das Kirchenrecht wirklich dem Heil der Seelen dienen, wie es das oberste Gesetz ist. 

Damit sind jetzt aber nur zwei von vielen Querverbindungen angesprochen, die man zwischen dem Kirchenrecht und der Spiritualitätstheologie ziehen kann. 

Kirchenrecht ist eines der theologischen Fächer, die auf den ersten Blick sehr klar und greifbar erscheinen. Es gibt aber sicher auch viele Vorurteile gegenüber Kirchenrecht und Kirchenrechtler*innen. Werden Sie damit in Ihrem Arbeitsalltag häufig konfrontiert? 

Eigentlich werde ich in meinem Arbeitsalltag gar nicht so häufig mit Vorurteilen gegenüber dem Kirchenrecht konfrontiert. In vielen Gesprächen begegnet mir eher Neugier oder Überraschung darüber, wie vielfältig und lebensnah das Fach tatsächlich ist. Erst kürzlich hat mir eine Teilnehmerin auf einer Tagung nach meinem Vortrag gesagt, dass sie bisher mit dem Kirchenrecht eigentlich nichts anfangen konnte und befürchtet hatte, es würde trocken und langweilig sein – und dass sie nun genau das Gegenteil erlebt habe. 

Solche Rückmeldungen freuen mich sehr, weil genau das mein Anliegen ist: zu zeigen, dass das Recht im Leben der Kirche und der einzelnen Gläubigen echte Relevanz hat und das Wissen darüber oftmals nicht nur notwendig und hilfreich, sondern sogar bereichernd sein kann. 

Sie haben den Großteil Ihrer wissenschaftlichen Karriere in Bayern verbracht, waren aber auch eine Zeit lang an der KU Leuven. Womit genau haben Sie sich dort beschäftigt und wie war Ihre Zeit im Ausland? 

Die KU Leuven gehört zu den wenigen Universitäten weltweit, die eine eigene kanonistische Fakultät haben und dort verschiedene Studiengänge mit kirchenrechtlichem Schwerpunkt anbieten. Dazu gehört auch das interdisziplinäre Programm „Society, Law and Religion“, für das ich mich entschieden habe. Dabei konnte ich an verschiedenen englischsprachigen Kursen teilnehmen und internationale Kontakte knüpfen. Außerdem sind in diesem Rahmen auch zwei kleinere Forschungsarbeiten entstanden, die noch veröffentlicht werden. Alles in allem war es also für mich eine sehr bereichernde Erfahrung, die meinen Horizont wesentlich erweitert hat.

Neben Ihrer wissenschaftlichen Arbeit sind Sie zusätzlich an zwei Gerichten als Ehebandverteidigerin tätig. Wie bekommen Sie das unter einen Hut? 

Natürlich ist es herausfordernd, immer alles gut unterzubringen. Wenn ich dann aber sehe, was ich mit meiner Arbeit bewirken kann, oder wenn ich durch meine Tätigkeit tatsächlich den Menschen helfen kann, die uns an den kirchlichen Gerichten anvertraut sind, dann möchte ich das auf keinen Fall aufgeben. Außerdem ist die praktische Arbeit auch für meine kirchenrechtliche Forschung und Lehre eine große Bereicherung. Und wenn man seinen Beruf liebt, fühlt sich vieles davon sowieso nicht mehr wie „Arbeit“ an. 

Bei einem so vielseitigen Arbeitsalltag braucht man aber doch sicher einen Ausgleich. Was machen Sie, um mal abzuschalten und runterzukommen? 

Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten: Ich verbringe gerne Zeit mit meiner Familie oder mit Freundinnen und Freunden, zum Beispiel bei einem schönen Essen oder einem entspannten Abend. Eine wichtige Stütze ist für mich auch der regelmäßige Besuch des Gottesdienstes, weil ich hier wirklich zur Ruhe kommen und mich auf das Wesentliche konzentrieren kann. Ansonsten bin ich ein großer Fan von Musik – ich gehe gerne (und leider zu selten) in die Oper, spiele Klavier und bin auch Mitglied in einem Akkordeonorchester in Bayern, mit dem wir regelmäßig Konzerte geben.

Weitere Informationen zu Anna-Maria Baders Forschung und Biographie finden Sie auf der der Website der Professur für Kirchenrecht. 

Zur Seite der Professur