"Rebellinnen": Neuer Kinofilm gewährt unbekannte Einblicke

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Gabriele Stötzer

Mit „Rebellinnen – Fotografie. Underground. DDR.“ Startet am 3. November 2022 ein Film von Pamela Meyer-Arndt in den deutschen Kinos, der die Geschichte dreier spannender Frauen erzählt. Eine von ihnen ist Gabriele Stötzer, die mit der Universität Erfurt und deren "Vorgängereinrichtung", der Pädagogischen Hochschule, eine besondere Geschichte verbindet…

Tina Bara, Cornelia Schleime und Gabriele Stötzer sind Rebellinnen. Als junge Frauen in den 70er- und 80er-Jahren in der DDR sind die drei voller Sturm und Drang und ohne Furcht. Sie wollen frei sein – und weil das nicht geht, zumindest die Kunst machen, die ausdrückt, was sie fühlen. Ihre Bilder erzählen auf berührende Art und Weise von ihrem Ausgeliefert-Sein in einem System, das viele junge kreative Menschen unterdrückt. Als der Konflikt mit der Staatssicherheit eskaliert, müssen sie sich entscheiden: Bleiben oder gehen. Der neue Film von Pamela Meyer-Arndt gibt den Blick frei auf die Kunst und das Leben dieser drei faszinierenden Frauen.

Kinoplakat "Rebellinnen"

Unbekannte Welten voller unglaublicher Bilder. Eine junge Frau wird an ihren Haaren festgebunden, die Vergangenheit hält sie fest. Spärlich bekleidete junge Menschen vor bröckelnden Fassaden, die Zeit scheint still zu stehen. Ein Mensch mit Silberfolie umwickelt auf den Elbwiesen in Dresden, wie ein Außerirdischer auf einer Schafweide... Diese und viele andere performative Fotos erschaffen die drei „Rebellinnen“ auf der Suche nach sich selbst und nach einer Kunst, die etwas Echtes ausdrückt. Das Fotografieren oder das Drehen von experimentellen Super-8-Filmen ist dabei ebenso wichtig wie das, was dabei herauskommt: bildstarker weiblicher Underground in der DDR. Tina Bara, Cornelia Schleime und Gabriele Stötzer sind in der Szene aktiv, in Ost-Berlin, Erfurt und Dresden. Sie arbeiten entweder für sich allein oder mit Kollegen und Freunden bzw. im Künstlerkollektiv. Ihre Kunst hat direkt oder indirekt immer auch einen biografischen Hintergrund. Als junge Frauen haben sie eine weibliche Sicht auf ihre Welt. Den austauschbaren Bildern der staatlichen Propaganda setzen sie eine einzigartige und intime Bildsprache entgegen. Doch werden sie von der Staastsicherheit und ihren inoffiziellen Mitarbeitern beschattet und massiv unter Druck gesetzt. Mit manipulativen Methoden versucht die Stasi, die jungen Künstlerinnen ins Gefängnis zu bringen. Cornelia Schleime muss das Land 1984 über Nacht verlassen, nachdem sie nach jahrelangen Warten auf die Ausreise mit einem Hungerstreik droht. Tina Bara reist 1989 mit ihrer Heirat aus. Sie braucht Jahrzehnte, um zu begreifen, wie tiefgreifend erschütternd der Wechsel von Ost nach West für sie tatsächlich war.

Gabriele Stötzer dagegen beschließt als einzige der drei, in der DDR zu bleiben und dort „weiterzukämpfen“. Als sie Anfang der 90er-Jahre ihre Stasi-Akte liest, „verbannt“ sie 20 Jahre lang diejenigen Freund*innen und Wegbegleiter*innen aus ihrem Leben, die sie an die Stasi verraten haben. Die Wunden der drei Rebellinnen, die sie durch Bespitzelung, Bedrohung, Lüge und Verrat erlitten haben, sind bis heute nicht ganz verheilt. Viele der im Film gezeigten Bilder werden erst jetzt entdeckt und ans Licht geholt. Sie geben tiefe Einblicke in das Leben der Frauen. Ein bewegtes und bewegendes...

1953 in Emleben in Thüringen geboren, wächst Gabriele Stötzer mit drei Geschwistern in dörflicher Umgebung auf und ist schon in jungen Jahren künstlerisch aktiv. Ab 1973 studiert sie Deutsch und Kunsterziehung an der Pädagogischen Hochschule Erfurt, wo sie 1976 wegen politischer Aktionen exmatrikuliert wird. 1977 wird sie wegen einer Unterschriftensammlung gegen die Ausbürgerung des Sängers Wolf Biermann zu einem Jahr im Frauengefängnis Hoheneck verurteilt. Noch im Gefängnis fasst sie den Entschluss Kunst zu machen, denn Künstler*innen landen nicht so schnell im Gefängnis wie politisch Aktive.

Doch muss sie die ersten drei Jahre nach dem Gefängnis „zur Bewährung in der Produktion“ in einer Schuhfabrik arbeiten. Im Anschluss kündigt sie, um ihren Plan umzusetzen und endlich im Kunstbereich aktiv zu werden. Sie übernimmt eine Privatgalerie, besetzt mit Freund*innen ein Haus, in dem sie eine Webwerkstatt und ein Fotolabor einrichtet, und organisiert Pleinairs in Hüpstedt, wo sich freiheitlich denkende Künstler*innen treffen und arbeiten. Doch all diese Gruppen werden von der Stasi „liquidiert“. So verliert die Künstlerin wiederholt und über mehrere Jahre ihr jeweiliges soziales und künstlerisches Umfeld. Sie arbeitet allein weiter, beginnt nun selbstständig mit Frauen zu arbeiten, was ihr eigentlicher Stoff wird. 1981 entwickelt sie mit Cornelia Schleime das Performative Fotografieren, setzt diese Art der Fotografie fort, sucht neue Gruppen und gestaltet den künstlerischen Underground der DDR mit. Sie schreibt, macht Super-8-Filme in Erfurt und Ost-Berlin und arbeitet mit Punks. 1984 gründet sie unter anderem mit ihrer Schwester die Künstlerinnengruppe Erfurt, die mit aufsehenerregenden Modeobjektshows und Performances an die Öffentlichkeit geht. Unter den Frauen der Gruppe ist keine ein Stasi-Spitzel, deshalb bleibt die Gruppe wohl von einer Liquidation verschont. Die Stasi behält Stötzer dennoch im Visier und beschließt „Voraussetzungen für die strafrechtliche Verfolgung zu schaffen“. Wie sich später herausstellen wird, sind mindestens vier der männlichen Fotomodelle, mit denen sie Fotoserien und Super-8-Filme macht, inoffizielle Mitarbeiter. Ein Transvestit soll Stötzer zu pornografischen Szenen animieren, die dann „strafrechtlich relevant“ hätten werden können. Sie fotografiert ihn zwar, doch wird sie nicht verhaftet. Ihre Fotos werden dagegen zu einem Dokument geschlechterübergreifender Ästhetik.

Am 4. Dezember1989 ist Gabriele Stötzer Teil einer Gruppe von Frauen, die, als erste überhaupt, eine Zentrale der Staatssicherheit besetzt. In Erfurt, was noch am selben Tag in Stasi-Zentralen anderer Städte fortsetzt wird. Nach der Wende gründet sie mit der Künstlerinnengruppe das „Kunsthaus Erfurt“, veröffentlicht acht Bücher, u.a. über den Strafvollzug in Hoheneck. Viel später kehrt sie zurück an den Ort, an dem sie einst studiert hat – diesmal in einer anderen Rolle: Von 2010 bis 2020 nämlich ist sie Dozentin für Künstlerische Performance an der Universität Erfurt. Für ihre Verdienste zur Aufarbeitung der SED-Diktatur erhält sie 2013 das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Fotoarbeiten, sowie die künstlerischen Werke der Künstlerinnengruppe Erfurt, werden derzeit national und international entdeckt. Vor allem seit der Ausstellung „re.act.feminism“ wird Gabriele Stötzer ab 2009 zur internationalen Elite gerechnet. Sie lebt und arbeitet nach wie vor in Erfurt.

Flyer zum Film

Bildnachweis: Gabriele Stötzer (Copyright: Gabriele Stötzer // MEDEA FILM FACTORY)

Kinostart am 3. November 2022

In Erfurt gibt’s den Film vom 3. bis 6. November im Kinoclub am Hirschlachufer und zusätzlich am 13. November um 11 Uhr in Anwesenheit von Pamela Meyer-Arndt und Gabriele Stötzer. Zu sehen ist der Film darüber hinaus u.a. im Lichthaus Weimar und im Kino am Markt in Jena.