"Impfen ist ein sozialer Vertrag"

Corona und die Folgen
Impfung

Die COVID-19 Pandemie führt uns vor Augen, was wir bei den Masern fast schon vergessen haben: Durch flächendeckende Impfungen können wir Infektionskrankheiten kontrollieren oder sogar auslöschen – wenn alle an einem Strang ziehen. Der Deutsche Ethikrat äußerte 2019, Impfen sei ein sozialer Vertrag – „Doch hält sich die Gesellschaft tatsächlich entsprechend? Gibt es wirklich so etwas wie eine moralische Verpflichtung, sich impfen zu lassen? Und was passiert, wenn sich manche nicht daran halten?“ fragt Lars Korn. Mit genau diesen Fragen hat er sich in einer Forschungsarbeit, die Teil seiner Dissertationsschrift ist, beschäftigt. Sie ist nun im renommierten Fachmagazin PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences) veröffentlicht worden.

In einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt ist der Psychologe mit Wissenschaftler*innen der Universität Erfurt und der Universität Kopenhagen diesen Fragen nachgegangen. Um Moralvorstellungen in Verbindung mit dem Impfen zu messen, haben sich die Forscher etwas Besonderes überlegt: Die mehr als 2.200 Probandinnen und Probanden bekamen Geld und sollten es zwischen sich selbst und anderen Personen aufteilen. Die Idee: Je moralischer eine Person bewertet wird, desto mehr Geld sollte sie erhalten. Wenn eine Person unmoralisch handelt, bekommt sie weniger Geld und wird somit bestraft. Die Probandinnen und Probanden bekamen Informationen darüber, ob sich die andere Person entweder für oder gegen eine Impfung entschieden hatte.

Die Ergebnisse der vier Experimente waren eindeutig: Impfen ist ein sozialer Vertrag. Insbesondere Probandinnen und Probanden, die sich selbst für eine Impfung entschieden hatten, reagierten sensibel auf die Impfentscheidung anderer Personen. Sie gaben weniger von ihrem Geld ab, wenn sich die andere Person gegen eine Impfung entschieden hatte als wenn sie sich für eine Impfung entschieden hätte. Mit anderen Worten: Geimpfte Personen bestraften ungeimpfte Personen. Daraus schließ das Forscherteam, dass Impfen als moralische Verpflichtung angesehen wird.

Auch für die COVID-19 Pandemie sind die Ergebnisse relevant: Bei der Verhinderung weiterer COVID-19 Infektionen ist Kooperation wichtig – und Kooperation ist ein moralisches Prinzip. „Denkbar wäre,“, sagt Korn, „dass Maskentragen ebenfalls als moralische Verpflichtung wahrgenommen wird und hier auch die Prinzipien eines sozialen Vertrags gelten.“ Wenn Menschen, die keine Masken tragen, im Supermarkt böse Blicke treffen, wäre dies die Konsequenz eines solchen sozialen Vertrags: Wer kooperiert, handelt moralisch wertvoll und wird geachtet, wer sich weigert, zahlt soziale Kosten. Diese Mechanismen zu verstehen, könne, sagt Korn, künftig dazu beitragen, Gesundheitsverhalten zu fördern – zum Beispiel, wenn es einen Impfstoff gegen COVID-19 gibt.

Artikel:
Korn, L., Böhm, R., Meier, N. W., & Betsch, C. (2020). Vaccination as a social contract. Proceedings of the National Academy of Sciences.

Kontakt:
Lars Korn, lars.korn@uni-erfurt.de
Prof. Dr. Cornelia Betsch, cornelia.betsch@uni-erfurt.de
Prof. Dr. Robert Böhm, rb@psy.ku.dk