Mein Reklame-Fegefeuer

Einblicke
Prof. Dr. Patrick Rössler

Im Rahmen des Berliner Themenjahres 2013, das unter dem Motto "Zerstörte Vielfalt" steht, beleuchtet das Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung vom 20. November bis 24. Februar 2014 in seiner Sonderausstellung "mein reklame-fegefeuer. Herbert Bayer und die deutsche Werbegrafik 1928-1938" kritisch und umfassend das Schaffen des ehemaligen Bauhaus-Lehrers Herbert Bayer in der Zeit von 1928 bis 1938. Gastkurator ist Prof. Dr. Patrick Rössler von der Universität Erfurt. Ein Gespräch über die Vorbereitungen zur Ausstellung und eine Annäherung an den Menschen Herbert Bayer…

"Selbstporträt" Herbert Bayer
"Selbstportrait" Herbert Bayer (Bauhaus‐Archiv Berlin; Copyright: VG Bild‐Kunst, Bonn 2013)

Prof. Rössler, Herbert Bayer spielte bereits in der letzten von Ihnen kuratierten Ausstellung „Das Bauhaus am Kiosk. Die neue Linie“ eine wichtige Rolle. Wie kam es dazu, dass Sie sich noch einmal genauer mit Bayer beschäftigten?
Herbert Bayer entwarf für das Magazin "die neue linie" Umschläge. Deshalb war er in der Ausstellung bereits eine der Schlüsselpersonen. Aber schon damals war die Idee geboren, ihn etwas mehr in den Vordergrund zu stellen. Und nach dem großen Erfolg der Ausstellung habe ich 2007 sofort damit begonnen, mich intensiver mit Bayer zu beschäftigen. Sechs Jahre lang habe ich sein Leben und Schaffen erforscht und bin dafür auch mehrfach zur Recherche in die USA geflogen. Im Denver Art Museum ist das Herbert-Bayer-Archiv untergebracht. Dort befindet sich nicht nur ein großer Teil seines Oeuvres, sondern auch viel dokumentarisches Material. Und der Zeitpunkt, die Forschungen zu Bayer zu beginnen, war damals ideal. Denn erst kurz zuvor waren nach dem Tod von Bayers Witwe auch Werke zugänglich geworden, die Bayer zu Lebzeiten bewusst zurückgehalten hatte – eben Werke aus jener Schaffensperiode der NS-Zeit von 1933 bis 1938.

Nun könnte man denken, zum Bauhaus und seinen Akteuren ist das meiste schon gesagt oder gezeigt worden. Was sind die wichtigsten Ergebnisse, die Sie nun in Ihrer sechsjährigen Forschungszeit erzielt haben?
Mir war es zum Beispiel möglich, erstmalig Bayers frühe Tagebücher von 1922 und 1923 zu transkribieren. Diese waren in Sütterlin geschrieben, was in den USA ja niemand lesen konnte. Zwischen den Tagebüchern habe ich auch die wohl einzigen Filmaufnahmen von Bayer vor seiner Emigration in die USA gefunden, die überhaupt existieren. Die intensive Recherche an diesem dokumentarischen Material ermöglichte es mir, eine Ausstellung zu konzipieren, die zusätzlich zu Bayers Schaffen auch seinen persönlichen Hintergrund skizziert. Das trägt zu einem ganz neuen Verständnis seiner Werke bei. Außerdem erscheint eine mehrteilige Begleitpublikation zur Ausstellung: Neben einem Band über das Leben als Gebrauchsgrafiker in den 30er-Jahren, enthält diese auch eine neue Biografie Bayers, die ich unter Verwendung der Tagebücher verfasst habe, und eine erste Werkübersicht seit Verteilung seines Nachlasses. So gibt es auch für Bauhaus-Kenner noch viel Neues zu entdecken.

Was macht Herbert Bayer eigentlich so interessant – auch im Vergleich zu anderen Bauhaus-Künstlern?
Sein Werdegang ist besonders, er umfasst die Bauhaus-Zeit, die NS-Zeit und die Emigration. Bayers Perspektive – die Effizienz in der Werbung – passte gut zu den Zielen der NS-Propaganda, obwohl das Bauhaus ja im Widerspruch zum faschistischen Machtapparat stand. Bayer wurde vom Nationalsozialismus trotzdem bis 1936 instrumentalisiert – und er hat sich instrumentalisieren lassen. So konnte er trotz Bauhaus-Vergangenheit und der jüdischen Herkunft seiner Frau auch nach 1933 sein ästhetisches Programm relativ ungestört weiterverfolgen. Seine funktionalistische Grundauffassung stand nicht zwangsläufig im Widerspruch zu den Prinzipien des nationalsozialistischen Systems. Sein Leben und Schaffen bietet deshalb die Möglichkeit, die Verlängerung des Bauhauses in das Dritte Reich hinein zu untersuchen, und das aus der Perspektive eines heimlichen "Stars des Propagandaministeriums" – wie ihn Walter Gropius‘ Frau Ise einmal nannte. Er war zu dieser Zeit wohl der am besten verdienende Gebrauchsgrafiker Deutschlands, war gutaussehend und renommiert. Seine damalige Frau Irene Bayer-Hecht war als Jüdin mit amerikanischer Staatsbürgerschaft zunächst nicht direkt von der Judenverfolgung betroffen. So hatte Bayer selbst unter den Nazis ein relativ erfülltes Leben in Deutschland.

Wie kam es 1938 dann zu Bayers Sinneswandel und seiner Auswanderung?
Bayer beklagte sich schon früh in Briefen und Tagebuch-Einträgen über die zunehmende Verdummung im Land. Und bis 1937 sind viele seiner Freunde und Kollegen wie Breuer, Moholy-Nagy und Gropius bereits ausgewandert. Er litt unter diesem intellektuellen Aderlass. 1937 war er dann selbst in der Ausstellung "Entartete Kunst" vertreten. Trotzdem scheute er sich aus finanziellen Gründen vor einem Neuanfang im Ausland. Erst als ihm Gropius die Leitung der Ausstellung "Bauhaus 1919–1928" im New Yorker MoMA anbot und ihm eine Dozentenstelle am New Bauhaus in Chicago in Aussicht gestellt wurde, fand er den nötigen Anreiz, Deutschland zu verlassen.

Also war auch seine Ausgangsposition als Emigrant in den USA etwas Besonderes…
Ja, ihm erging es nicht wie anderen Emigranten, die völlig auf sich allein gestellt und nur mit dem, was sie am Leib trugen, in den USA landeten. Bayer kam am 22. August 1938 als offizieller Emigrant in New York an. Seine Frau Irene folgte ihm mit der Tochter später. Sie blieb zunächst in Berlin, packte die Container und verschiffte alles. Ihrem Geschick hatte es Bayer zu verdanken, dass seine Gemälde und Zeichnungen in die USA gerettet wurden und dass sein Belegarchiv der Drucksachen bei seinem Bruder in Österreich sicher deponiert wurde. So kam es, dass er aufgrund der Reichsfluchtsteuer zwar völlig mittellos in den USA ankam, ihn aber ein Teil seiner "Bauhaus-Familie" dort bereits erwartete und ihm seine Bilder und damit ein wichtiger Teil der Bauhaus-Geschichte bald folgten. Das erleichterte Bayer den spät gewählten Neuanfang enorm. Die USA waren auch damals schon das Land der Werbung und des Marketings, wo er als Gebrauchsgrafiker sehr gut aufgehoben war. Aber er brauchte diese Sicherheit und die Starthilfe, um den Sprung zu wagen. Dass die Zeit drängte – gerade auch für seine Frau – das schien ihm lange nicht bewusst zu sein. Und die Einsicht, dass er das Land viel früher hätte verlassen sollen, äußerte er erst in den 1970er-Jahren in seinem Tagebuch.

Ihre Ausstellung ist im Rahmen des Berliner Themenjahres zu sehen. Das Motto "Zerstörte Vielfalt" soll an die Zerschlagung der kulturellen Vielfalt in der Hauptstadt durch die Nazis erinnern. Ist das im Fall Herbert Bayer angesichts seiner Arbeiten für die Nazis nicht etwas paradox?
Fest steht, dass Herbert Bayer ein wichtiger Teil der kulturellen Vielfalt Berlins war und aus heutiger Sicht Beiträge zum künstlerischen Grafik-Design leistete, die ihrer Zeit weit voraus waren. Seine Emigration war ein kultureller Verlust. Aber nicht nur deshalb passt die Ausstellung in das Themenjahr. Sondern auch, weil sie anhand von Bayers Werdegang zeigt, dass das NS-Regime nicht nur durch seine Repressalien die Breite des kulturellen und intellektuellen Lebens vernichtete, sondern gleichzeitig einen begrenzten künstlerischen Spielraum erlaubte, um der noch im Land verbliebenen Elite zumindest eine Scheinvielfalt vorzugaukeln. Sie zeigt, wie willkommen den Machthabern eine moderne Bildsprache war, wenn sie sich für die eigenen Ziele einsetzen ließ. Herbert Bayer gelang es interessanterweise immer wieder, den Nazis mit seinen Entwürfen ein Stück Bauhaus unterzujubeln. Im Motiv der Ausstellung zum Beispiel, das er 1935 für den Katalog "Das Wunder des Lebens" entwarf, verwendete er die klassischen Bauhaus-Farben – ohne dabei aber zu realisieren, dass er damit auch der Rassenpolitik der Nazis Vorschub leistete…
Deswegen ist ihm natürlich vorzuhalten, dass er so wenig am Zeitgeschehen interessiert war und dass er sich ohne politische Hintergedanken vom Regime domestizieren ließ. Er war aber nie Mitglied der NSDAP und er teilte die NS-Ideologie auch nicht, das konnte ich aus Briefen und Tagebüchern herauslesen. Aber er nahm es hin, mit manchen Arbeiten für staatsnahe Institutionen mittelbar zur NS-Propaganda beizutragen. Unter den Juden, die zu leiden hatten, war er deshalb auch eine „persona non grata“. Aber jene Bauhäusler wie der Kommunist Max Gebhard, denen er in seinem Studio Dorland noch nach 1933 für eine Weile Arbeit verschaffen konnte, waren ihm dankbar.

Haben Sie selbst auch eine neue Meinung oder ein Gefühl gegenüber Bayer entwickelt – nun, da Sie ja (beinahe) alles wissen, was man über Herbert Bayer wissen kann?
Während meiner Recherche gab es ein Auf und Ab: Erst habe ich gezweifelt, weil ich zunächst auf die Werke gestoßen bin, die er zurückgehalten oder verleugnet hat. Dann habe ich aber seine Briefe und seine Tagebucheinträge gelesen. Ja, meine Meinung über ihn hat sich dadurch verändert. Zum Schluss habe ich aber vor allem Mitleid für ihn empfunden, weil er auch privat nie wirklich glücklich geworden ist. Soweit das durch Dokumente geht, habe mich während meiner Recherchen menschlich an Bayer angenähert, wodurch ich auch seine innere Zerrissenheit zu spüren bekam. Heute fragt man sich ja oft, wie jemand zu dieser Zeit unpolitisch bleiben konnte. Aber die Auseinandersetzung mit Bayer hat mir gezeigt, dass auch damals Politik nur einer von vielen Lebensbereichen war, den viele Menschen nicht sonderlich ernst oder wichtig nahmen. Das soll nichts entschuldigen, aber man kann manches besser nachvollziehen. In den sechs Jahren Forschungszeit habe ich selbst sehr viel gelernt, aber es steht mir nicht zu, über Herbert Bayer zu urteilen. Auch die Ausstellung tut dies nicht. Sie setzt sich kritisch, aber ohne selbstgerecht zu werden, mit seinem Schaffen und seiner Person auseinander.