Nachgefragt: "Haben Gegenstände eine Seele, Prof. Dr. Freitag?"

Gastbeiträge
Ein Rührgerät

Im Frühjahr 2016 soll der Dokumentarfilm „Kommen Rührgeräte in den Himmel?“ in unsere Kinos kommen. Im Mittelpunkt des Filmes steht das legendäre – oft in charmantem Orange gehaltene – Rührgerät RG 28, das bis 1993 im VEB Elektrogerätewerk Suhl produziert und auch über die ostdeutschen Grenzen hinaus zum Kultobjekt wurde. Während seiner mehrwöchigen Dreharbeiten hat das Filmteam auch Prof. Dr. Josef Freitag von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt interviewt. Grund genug, ihn selbst einmal zu fragen: Prof. Dr. Freitag, haben Gegenstände eine Seele?

„Zunächst einmal: nein! Nur Lebewesen und meinetwegen noch Pflanzen können eine Seele haben. Aristoteles unterscheidet zwischen tierischer, menschlicher und pflanzlicher Seele: Pflanzen wachsen und verändern sich, da gibt es eine Form von Veränderung. Tiere bewegen sich selbst und selbstbestimmt, auch wenn das instinktgeleitet ist. Menschen haben die Freiheit zu entscheiden, entscheiden manchmal aber auch unbewusst. Gegenstände wie Rührgeräte tun das nicht und haben damit auch keine Seele. Deshalb können sie auch nicht in den Himmel kommen. Aber: Sie haben eine Eigenart und sie haben Menschen, die sie hergestellt haben, und Menschen, die sie benutzen. Diese Menschen legen ihre Arbeit, ihren Kunstsinn, ihre Ästhetik in die Dinge hinein. Bestimmten Gegenständen kann deshalb ein gewisser Geist angesehen werden. Bei Büchern ist das beispielsweise doppelt gegeben. Einmal bezüglich seines Erwerbes: Es ist ein Unterschied, ob ich mir ein Buch selbst kaufe oder es geschenkt bekomme. Bei einem Geschenk kann ich den Geber beim Lesen nicht vergessen. Das heißt, ich lese das Buch von vornherein anders. Es spricht dann auch anders zu mir, stellt andere Beziehungen her. Das führt direkt zu zweitens, zum Inhalt: Ein Buch lebt davon, dass es gelesen wird. Der Inhalt spricht mit mir. Wenn ich mich darauf einlasse, gibt es eine Auseinandersetzung. Und wenn ich ein Buch lese, merke ich, dass ich mal schneller und mal langsamer lese. Manchmal interessierter und manchmal gelangweilter. Ich würde ein Buch nicht unbedingt ein Subjekt nennen, aber ich bekomme ein Verhältnis zu diesem Buch. Das setzt natürlich das Lesen voraus. Auch Sammelobjekte und Erinnerungsstücke haben einen besonderen Geist. Sie erinnern oft an eine konkrete Wirklichkeit. Sie gewinnen eine Ausdruckskraft und beginnen zu sprechen – auch zu meiner Seele. Und hier wird diese Frage eigentlich tragfähig. Dort, wo Dinge für Menschen zu sprechen anfangen, da gehören sie zu ihnen. Ich kann eine Sache noch so materialistisch denken – da, wo ich mit ihr umgehe, bekomme ich ein Verhältnis zu ihr, manchmal ein ganz inniges. Denn trotz unseres praktischen und angenehmen Fortschritts wecken bestimmte Dinge – wie auch das RG 28 – eine Nostalgie in uns, eine Sehnsucht, nach den ‚guten alten Zeiten‘ und damit nach den Kindheitstagen, als die eigene Welt noch in Ordnung war. Nostalgie ist eigentlich eine Art Verunsicherung, aber die Dinge, die sie in uns auslösen, haben einen besonderen Geist und nehmen damit indirekt einen wichtigen Platz in der menschlichen Seele ein.“