Nachgefragt: "Was kann der 'March for Science' bewirken?"

Gastbeiträge

US-Präsident Donald Trump leugnet die Erkenntnisse der Wissenschaft zur Klimaerwärmung und will die entsprechende Forschungsförderung ebenso wie die zur Gesundheitsforschung kürzen. In der Türkei werden Wissenschaftler massenhaft entlassen, teilweise sogar inhaftiert, weil sie Erkenntnisse verbreiten, die der Regierung nicht genehm sind. Und in Ungarn hat das Parlament das Hochschulgesetz so geändert, dass es erhebliche Einschränkungen für ausländische Hochschulen gibt. Nur drei Beispiele, die zeigen, wie sehr die Freiheit der Wissenschaft bedroht ist. Doch gilt dies nicht nur international, auch in Deutschland wächst die Skepsis gegenüber der Wissenschaft. Dagegen gehen am 22. April weltweit Menschen beim „March for Science“ auf die Straßen. Sie wollen dafür demonstrieren, dass wissenschaftliche Erkenntnisse als Grundlage des gesellschaftlichen Diskurses nicht verhandelbar sind. Denn Wissenschaft hat „alternativen Fakten“ und Populismus fundierte, der Wahrheit verpflichtete Erkenntnisse entgegenzusetzen. „WortMelder“ hat die Wissenschaftler der Uni Erfurt um ihre persönliche Meinung gebeten und nachgefragt: „Für wie wichtig erachten Sie es, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an dieser Stelle zu Wort melden und was kann der ‚March for Science‘ aus Ihrer Sicht bewirken?“

Bettina Hollstein, wissenschaftliche Kollegreferentin Max-Weber-Kolleg: „Die Freiheit der Wissenschaft darf nicht begrenzt werden und wissenschaftliche Erkenntnisse sollten ernst genommen werden. Natürlich ist es nicht immer einfach, festzustellen, was gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse sind. Ich selbst glaube zum Beispiel, dass wir immer nur einen vorläufigen Wissensstand haben, der für uns handlungsleitend ist. Deshalb muss kritische Reflexion – auch der eigenen Position – immer Teil der wissenschaftlichen Herangehensweise sein. Auch Wissenschaftler/innen müssen sich dafür auf gesellschaftliche Diskurse einlassen, ihre Standpunkte erläutern und mit Argumenten überzeugen. Dies setzt aber voraus, dass auch das Gegenüber ebenfalls bereit ist, Argumente zu akzeptieren. Populisten fehlt es jedoch häufig genau an dieser Bereitschaft, weil sie sich schon im Besitz der Wahrheit fühlen. Und das ist ein echtes Problem, weil sie damit die Gesellschaft spalten können. Was wir brauchen, sind nicht absolute Wahrheiten, sondern wir brauchen in den Gesellschaften Haltungen, die die Suche nach Wahrheit mithilfe von Wissenschaft und den Austausch von Argumenten unterstützen. Der ‚March for Science‘ ist eine Aktion, die genau für diese Notwendigkeit sensibilisieren kann.“

Manfred Königstein, Professor für Angewandte Mikroökonomie: „Ich unterstütze den March for Science als ein Zeichen gegen das Leugnen wissenschaftlicher Erkenntnis und gegen Repressalien für Wissenschaftler. Allerdings denke ich, dass die Ursachen hierfür und deren Folgen eine genauere Betrachtung erfordern. Man muss sich fragen, warum Politiker mit Parolen und groben Vereinfachungen punkten können, warum große Teile der Bevölkerung oder gar Mehrheiten die Welt in Schwarz-Weiß sehen und nicht in vielen Grautönen. Die vom March for Science thematisierte Entwicklung in der Wissenschaft sehe ich in einer Linie mit dem Brexit und dem Erstarken nationalistischer Gruppierungen in Europa. Eine Ursache sehe ich in der ‚informationellen Umweltverschmutzung‘: So bezeichne ich die Tatsache, dass qualitativ schlechte Information entweder achtlos oder mit voller Absicht in die soziale Umwelt geworfen werden wird – von schlecht recherchierten Nachrichten, über belanglose oder hassgeladene Kommentare in sozialen Netzwerken bis hin zu Fake News. Informationelle Umweltverschmutzung macht es schwieriger, gute Information von schlechter Information zu unterscheiden. Ein über soziale Netzwerke verbreitetes Video wird als gleich verlässlich und wichtig erachtet, wie der TV-Beitrag einer serösen Nachrichtensendung. Der Hass-Kommentar irgendeines Idioten wird häufiger geklickt als der vielschichtige Kommentar eines namhaften Journalisten. Qualitativ gute Information ist in der Regel komplexer, kann weniger marktschreiend auftreten und hat daher einen Nachteil im Wettbewerb der Pop-Ups.

Die Gesellschaft muss darüber nachdenken, wie mit der informationellen Umweltverschmutzung umzugehen ist. Eine gesetzliche Vorschrift zum Löschen falscher Nachrichten oder von Hassbotschaften im Internet ist ein richtiger Schritt. Aber im Allgemeinen kann ein Verbot von Informationen oder Informationskanälen keine Lösung des Problems sein – Informationsfreiheit ist ein hohes Gut. Man muss stattdessen darüber nachdenken, wie bei Erhalt von Informationsfreiheit Qualitätsfilter entstehen können, die dazu führen, dass qualitativ bessere Information stärkere Verbreitung findet als Informationsschrott. Im Zeitalter der Print-Medien gab es solche Filter. Eine Nachricht, die ein Millionen-Publikum erreichen sollte, musste von einer großen Zeitung aufgegriffen werden. Die Zeitung stand in einem ökonomischen Wettbewerb, der auf Qualität in der Auswahl der Beiträge sowie in der Auswahl der Macher der Beiträge verpflichtete. Im Zeitalter des Internet hingegen ist ein Millionen-Publikum praktisch ohne monetäre Kosten und für jeden Dummy erreichbar. Maßnahmen zum leichteren und kostenlosen Zugang zu qualitativ guter Information sind sinnvoll. Öffentlich finanzierte Medien sollten hierauf verpflichtet werden und sollten der Konkurrenz voraus sein, statt hinterher zu hinken. Die Einführung von Qualitätsstandards bei freiwilliger Zertifizierung wäre denkbar. Und analog zu unserem Verhalten beim Schutz der natürlichen Umwelt, die ja zu einem guten Teil auf moralischen Appellen und Freiwilligkeit beruht, sind auch positive Entwicklungen im Umgang mit informationeller Umweltverschmutzung denkbar. Ich rate meinen Kindern, auf ihrem Smartphone eine seröse News-App einzustellen.“

Annick De Houwer, Professorin für Spracherwerb und Mehrsprachigkeit: „Ich finde es sehr wichtig, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an diesen Veranstaltungen teilnehmen – aber auch alle anderen, die eine kritische und analytische Haltung gegenüber der Welt für wichtig halten. Denn jeder soll seine Meinung haben und äußern dürfen. Sicher, wir lernen Dinge durch eigene Erfahrung und eigene Beobachtung kennen. Unser Lernen findet jedoch immer in Verbindung mit anderen statt. Die Frage ist: Können wir den anderen vertrauen? Die Wissenschaft versucht, das zu klären. Viele Menschen in der Welt versuchen, andere zu manipulieren und möchten nicht, dass die Vertrauensfrage gestellt wird – sie erwarten blindes ‚Vertrauen‘ ohne Reflektion. Ich hoffe, dass eine rege Teilnahme am March for Science die Vertrauensfrage wieder in den Mittelpunkt stellen kann. Ich selbst werde bei der Veranstaltung in Bonn dabei sein.“

Jörg Rüpke, Professor für Vergleichende Religionswissenschaft: „Schon vor Trump war erkennbar, dass in den USA eine post-wissenschafliche Ära begonnen hat, aber sicher nicht nur dort; in Deutschland hatten wir eine solche Ära ja selbst im 20. Jahrhundert. Wissenschaftliche Wahrheit lebt von ihrer Überprüfbarkeit und davon, dass sie revidiert werden kann. Darauf eigene Entscheidungen zu bauen, ist anstrengend und verlangt Vertrauen. Beides ist alternativlos. Beides fehlt unter der Vorherrschaft von Ideologien.“

Philipp Schmid, Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter: „Zwei plus zwei ist nicht fünf. Der March for Science ist keine Protestbewegung unter vielen. Der Wissenschaft die Stimme zu nehmen, bedeutet der Freiheit die Stimme zu nehmen. So erkennt bereits George Orwell in seiner Dystopie 1984: ‚Freiheit ist die Freiheit zu sagen, dass zwei plus zwei vier ist. Wenn das gewährt ist, folgt alles Weitere.‘ Wenn wir jetzt die Existenz von alternativen Fakten dulden, dann degradieren wir Wissenschaft zu Meinung und lösen das Fundament unserer Freiheit in Beliebigkeit auf.“

Cornelia Betsch, Privatdozentin: „In meiner Arbeit im Bereich der Kommunikation rund um das Thema Impfen sehe ich, wie schwer es ist, Falschinformationen, Mythen – fake news – zu korrigieren. Fakten werden neben Glaubenssätze gestellt, die Bedeutung wissenschaftlicher Methoden wird nicht verstanden oder mit verschwörungstheoretischem Schulterzucken abgetan. Im schlimmsten Fall sterben daran Menschen, weil z.B. Eltern ihren Kindern wichtigen Impfschutz verweigern. Beim March for Science zeigt sich eine selbstbewusste Wissenschaft, die für überprüfbare Behauptungen steht und die (selbst)kritisch mit sich und der Gesellschaft im Diskurs stehen will. #sciencematters – für bessere Wissenschaft, für eine bessere Gesellschaft.“

Hermann-Josef Blanke, Professor für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europäische Integration: „In Deutschland muss eine Teilnahme am March for Science insbesondere die Bedrohungen aufzeigen, die die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz) beeinträchtigen. Dies namentlich infolge (1) der Erosion der Debatten- und Streitkultur an Universitäten, (2) der Neuverteilung der institutionellen Gewichte nach der Hochschulgesetzgebung der deutschen Länder in der Mitte des vorigen Jahrzehnts, aber (3) auch wegen eines häufig rein einseitigen Loyalitätsverständnisses der auf dieser gesetzlichen Grundlage agierenden übermächtigen Hochschulleitungen.

(1) Der Deutsche Hochschulverband (DHV) hat auf seiner Jahrestagung 2017 ‚mit wachsender Sorge die Erosion der Debatten- und Streitkultur an Universitäten‘ thematisiert. Verantwortung dafür trage auch ein Meinungsklima, das im Streben nach Toleranz und Offenheit ‚Political Correctness‘ fordere.

Vorgänge, wie sie in der deutschen Hochschullandschaft anlässlich der Verhinderung eines geplanten Hochschulvortrags des ‚umstrittenen‘ Berliner Historikers Jörg Baberowski (‚Räume der Gewalt‘) durch den AStA der Universität Bremen oder in der völlig unangemessenen Reaktion des amtierenden Rektors der Universität Konstanz auf die offenkundige und durchaus statthafte Polemik des dort lehrenden Evolutionsbiologen Axel Meyer (über die in seinen Augen zu beobachtende Leistungsverweigerung und laxe Prüfungsgestaltung an deutschen Universitäten) erkennbar werden, sind prominente Beispiele für verordnete Redeverbote. Auch die Mitglieder der Universität Erfurt müssen sich fragen lassen, ob sie bereit sind, in ihren eigenen Reihen eine (friedliche) Streitkultur über Grundsätzliches zu pflegen und zu ertragen.

(2) Das Bundesverfassungsgericht hat zum wissenschaftsorganisatorischen Gesamtgefüge einer Hochschule anlässlich der Entscheidung zur Medizinischen Hochschule Hannover (2014) den Landesgesetzgebern gegenüber in rechtsverbindlicher Weise verdeutlicht: ‚Die Sicherung der Wissenschaftsfreiheit durch organisatorische Regelungen verlangt aber, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch ihre Vertretung in Hochschulorganen Gefährdungen der Wissenschaftsfreiheit abwehren und ihre fachliche Kompetenz zur Verwirklichung der Wissenschaftsfreiheit in die Organisation einbringen können. Der Gesetzgeber muss für die Organisation der Wissenschaftsfreiheit ein Gesamtgefüge schaffen, in dem Entscheidungsbefugnisse und Mitwirkungsrechte, Einflussnahme, Information und Kontrolle so beschaffen sind, dass Gefahren für die Freiheit von Lehre und Forschung vermieden werden.‘

Wer glaubt, dass die bevorstehende Reform des Thüringer Hochschulgesetzes bei autokratischen Anmaßungen von Hochschulleitern Abhilfe schafft, irrt. Die von ideologischen Standpunkte angeleitete Einführung der sog. Viertelparität – als Regelfall der Repräsentanz und der Abstimmung in den Selbstverwaltungsorganen der Hochschulen – soll, so wird es in der Thüringer Presse (TA v. 15.4.2017) interpretiert, die ‚Macht der Professoren brechen‘. Indes wird letztlich, getarnt durch den Slogan der ‚Demokratisierung der Hochschulen‘, das hier im Jahr 2006 installierte ‚Hochschulmanagement‘ in der Hand der Exekutiven (Rektorate und Präsidien) noch einmal verfestigt. Im Gegenzug wird die Gruppe der Professorinnen und Professoren, also die einzige, die über die Erfahrung und den gefächerten Sachverstand verfügt, um die Leitungen zu kontrollieren, abermals geschwächt. Dies gerade auch in wissenschaftsrelevanten Fragen, denn ein praktikabler Katalog klar abgrenzbarer Materien, bei deren Behandlung kraft der Wissenschaftsfreiheit die ‚Hochschullehrermehrheit‘ gelten soll, wird Illusion bleiben. Ausnahmslos ‚alle wissenschaftsrelevanten Entscheidungen‘, auch die über die Organisationsstruktur, den Haushalt oder die Krankenversorgung, sind nach den Leitentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts mit der Wissenschaftsfreiheit unauflösbar verzahnt. Der Streit über die Reichweite der paritätischen Mitbestimmung in den Selbstverwaltungsgremien einer Hochschule ist vom Thüringer Gesetzgeber daher gleichsam vorprogrammiert.

(3) Präsidenten und Rektoren glauben manchmal , dass Loyalität eine von ihnen einseitig einzufordernde Pflicht der anderen Mitglieder der Rektorate und Präsidien sowie der Selbstverwaltungsorgane der Hochschule (natürlich jenseits des Hochschulrates), ja der Angehörigen und Mitglieder der Körperschaft insgesamt sei. Hochschulen sind aber keine Parteizentralen und keine (nachgeordneten) Behörden (des Wissenschaftsministeriums). Der Streit über Strukturen, Verfahren, Ziele und Schwerpunkte, ja über den Zustand der eigenen akademischen Institution muss daher (hochschul-)öffentlich ausgetragen werden – ohne dass die Hochschulleitung den Primat für sich beanspruchen kann. Nur so, vor allem durch die Beteiligung herausragender WissenschaftlerInnen in diesem Prozess, können sich Identität und Renommee einer Universität entwickeln und behaupten. Dieses Engagement verlangt nach Loyalität im Gegenseitigkeitsverhältnis – auch um ‚von oben‘ den Mut zu stärken, den es erfordert, um die bisweilen mittelmäßigen Schablonen des Denkens von Rektoren und Präsidenten sowie von Studierendenvertretungen aufzudecken. Sapere aude!“