Nachgefragt: "Was leisten Lebenswendefeiern, das Konfirmation und Jugendweihe nicht können, Herr Prof. Kranemann?"

Gastbeiträge
Eine junge Frau in einer Kirche

Immer öfter hört man in den vergangenen Jahren von sogenannten Lebenswendefeiern als kirchliches Angebot für nichtchristliche Jugendliche, die eine Alternative zur Jugendweihe suchen. Ihren Ursprung hatte die Feier im Bistum Erfurt und ist mittlerweile auch in anderen ostdeutschen Städten etabliert. Wir haben bei Prof. Dr. Benedikt Kranemann, Liturgiewissenschaftler an der Universität Erfurt, nachgefragt: „Warum braucht es überhaupt eine Alternative zu Konfirmation/Kommunion bzw. Jugendweihe und was bietet die Lebenswendefeier, das die anderen nicht leisten können?“

Prof. Dr. Benedikt Kranemann
Benedikt Kranemann

„Die Anfänge der Lebenswendefeier liegen im Erfurter Edith-Stein-Gymnasium. Dort wurde 1998 vom damaligen Dompfarrer und jetzigen Weihbischof Reinhard Hauke zusammen mit konfessionslosen Schülern eine neue Jugendfeier entwickelt. Während die konfessionell Gebundenen Konfirmation oder Firmung feierten, fehlte eine entsprechende Feierform für junge Menschen ohne Religionszugehörigkeit, die aus unterschiedlichen Gründen nicht an der Jugendweihe teilnehmen wollten. So entstand die ‚Feier der Lebenswende‘, ein neu kreiertes Ritual, das zunächst mit einer kleinen, dann aber rasch angewachsenen Gruppe von Teilnehmern im Erfurter Dom gefeiert wurde. Ausschließlich konfessionslose Jugendliche sind eingeladen, an dieser Feier teilzunehmen. Sie will keine Konkurrenz zur Firmung oder Konfirmation sein. Die Mitfeiernden blicken an der Schwelle zum Jugendalter auf ihr bisheriges Leben zurück und drücken für ihren weiteren Lebensweg ihre Ängste und Hoffnungen wie auch ihre Verantwortung für sich persönlich und für die Gesellschaft aus. In Zeichenhandlungen bringen sie ihre ‚Lebenswende‘ zum Ausdruck. So werden zum Beispiel Gegenstände, die für die Kindheit stehen, in der Feier abgelegt. Die gut einstündige Feier wird sehr festlich begangen, was zum Beispiel schon an der Kleidung ablesbar ist. Die Feier lebt vor allem aus dem Engagement der Jugendlichen sowie aus sprechenden Zeichenhandlungen, Musik und Texten, die deutlich auf die Lebenssituation der Jugendlichen abgestimmt sind.

Von Erfurt aus ist diese Feier in anderen ostdeutschen Großstädten übernommen worden – zum Beispiel von Halle, Leipzig, Dessau, Magdeburg und Schwerin. Dabei gibt es zwischen den verschiedenen Feiern auch regionale Unterschiede. Beispielsweise variiert die Trägerschaft: Laien, Diakone und Priester sind engagiert, auch Ordensgemeinschaften. Unterschiedlich sind auch die Teilnehmerzahlen: Mancherorts sind es kleine Gruppen, in Erfurt dagegen nahmen in diesem Jahr mehr als 70 Jugendliche teil. Am höchsten liegt die Zahl seit Jahren in Halle, wo sich in diesem Jahr 600 konfessionslose Jugendliche angemeldet haben. Es gibt mancherorts eine regelrechte Nachfrage nach der ‚Lebenswende‘, und die Zahl der Feiern nimmt stetig zu.

Die Motive für die Teilnahme an der Lebenswendefeier sind dabei unterschiedlich. Die Feiern werden intensiv und sehr persönlich vorbereitet. Eltern und Jugendliche sind einbezogen. Das Themenspektrum reicht von der eigenen Lebenssituation über Fragen des Lebenssinns bis hin zur Auseinandersetzung mit sozialen Fragen. Das spricht offensichtlich viele an. Es gibt Menschen, die keiner Kirche angehören, aber temporär und anlassbezogen den Kontakt zu einer Religionsgemeinschaft suchen. Es gibt kulturelle Gründe für die Teilnahme, die mit der Vorstellung eines Menschenbildes und von Werten zusammenhängen, die man mit dem Christentum verbindet. Schließlich gibt es Menschen, für die die Jugendweihe aus DDR-Zeiten historisch belastet ist, die aber ein solches Jugendritual wünschen und in der Lebenswendefeier eine Alternative sehen.

Lange ist die Lebenswendefeier ausschließlich von der katholischen Kirche angeboten worden. Aber in Halle/S. gibt es mittlerweile auch eine ökumenische Feier. Das Phänomen ‚Lebenswendefeier‘ ist wissenschaftlich interessant, weil sich eine christliche Kirche hier über ihre traditionellen Feierformen hinaus weit in die Gesellschaft öffnet und – in Erfurt immerhin in der Domkirche – einen rituellen Raum schafft, in dem sich Menschen angesichts einer Lebenssituation, die sie als für sich wesentlich wahrnehmen, über Fragen des Lebenssinnes und der Hoffnung für die Welt austauschen. Ich finde es bemerkenswert, dass sich mittlerweile auch auf anderen Feldern solche neuen Riten entwickeln, die Sensibilität für den religiös-weltanschaulichen Pluralismus zeigen.“