Paul Eber, der stille Reformator

Büchergang in der Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt

"Solche Figuren finde ich einfach faszinierend!", Dr. Daniel Gehrt, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt, bekommt leuchtende Augen, wenn er über den Gelehrten, Liederdichter und Reformator Paul Eber spricht. Mit "solche Figuren" meint er Menschen, die zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind – und Paul Eber ist genau so einer. "Eber ist nicht einmal in der Theologischen Realenzyklopädie, dem Standard-Nachschlagewerk für Theologiegeschichte, vertreten", wundert sich der Historiker, "obwohl er nach Luther und Melanchthon eine der bedeutendsten Figuren der Reformationsbewegung war." Mit der Erschließung von Ebers Nachlass im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts "Katalogisierung der Reformationshandschriften der Forschungsbibliothek Gotha" eröffnete sich für Daniel Gehrt die Möglichkeit, das zu ändern und Paul Eber wieder in die Erinnerung der Öffentlichkeit und der Forschung zu rufen.

Paul Eber, der am 8. November 1511 in Kitzingen geborene Sohn eines Hofschneiders, war ein stiller, zurückhaltender Mensch – schon das unterschied ihn von den meisten großen Reformatoren. Sein Talent blieb trotzdem nicht verborgen und als er sich 1532 an der Universität Wittenberg immatrikuliert, wird auch gleich Philipp Melanchthon auf den ruhigen aber kompetenten Studenten aufmerksam. Er wird fortan sein Förderer und Mentor. 1536 absolviert Eber seinen Magister in Philosophie, bald darauf unterrichtet er bereits selbst. Eber wird schnell zu einem respektierten Mitglied der Universität und entwickelt sich mehr und mehr zur rechten Hand Melanchthons, der ihn auch dazu überreden kann, seinen Doktor in Theologie zu machen. Bereits zuvor wächst das Ansehen Ebers an der Wittenberger Universität und darüber hinaus stetig. "Bei seinen Zeitgenossen war Paul Eber sehr angesehen", resümiert Daniel Gehrt. "Sein Wissen und seine Kompetenz wurden sehr geschätzt und nach dem Tod wichtiger Vertreter der ersten Reformatoren-Generation übernahm er ganz selbstverständlich deren Aufgaben: 1557 das Amt von Johann Forster als Professor für hebräische Sprache, 1558 die Stelle von Johannes Bugenhagen als Stadtpfarrer und Generalsuperintendent des sächsischen Kurkreises und nach Melanchthons Tod 1560 hielt Eber dessen theologische Vorlesungen und wurde in Wittenberg zum wichtigsten Berater für theologische, kirchenpolitische, liturgische und seelsorgerische Fragen. Aus halb Europa kontaktierten ihn die Menschen und sie alle setzten auf sein Urteil und sein Gutachten." So wurde Paul Eber zwischen 1560 und 1569, also zwischen Melanchthons und seinem eigenen Tod, die zentrale Figur des Wittenberger Wirkungskreises. Er hielt nicht nur den Lehrbetrieb der Theologischen Fakultät am Leben, sondern auch den Reformationsgedanken an sich. "Und trotz dieser zentralen Bedeutung geriet Paul Eber bereits eine Generation nach seinem Tod weitgehend in Vergessenheit", stellt Gehrt fest und versucht zu erklären, warum: "Zum einen kommt Eber erst nach den ganz großen Ereignissen der Reformation nach Wittenberg. Der Thesenanschlag, die Leipziger Disputation, die Wittenberger Unruhen oder der Bauernkrieg – all das ist bereits vergangen, so dass diese Schlaglichter der Reformation nicht mit seinem Namen verbunden sind. Außerdem bewegte sich Eber, auch was Publikationen anging, stets im Hintergrund. Er veröffentlichte nur ein einziges umfassendes theologisches Werk. Und drittens: Auf den Rat Melanchthons hin hielt sich Paul Eber aus den theologischen Kontroversen der Zeit heraus und reagierte erst gar nicht auf provozierende Polemik. All das macht ihn zu einem eher stillen Akteur der Wittenberger Reformation und könnte erklären, warum er so schnell in Vergessenheit geraten ist. Zumal die vielen Aufgaben, die er ausfüllte, nicht unter einem bestimmten Amt zusammengefasst waren und auch heute schwer greifbar sind. Wenn überhaupt ist Eber den Menschen deshalb heute nur noch als Liederdichter bekannt."

Die Hochzeit seines Wirkens zwischen 1560 und 1569 wird vielleicht auch deshalb in der theologischen Geschichtsschreibung oft übersprungen. Eine genaue Auseinandersetzung mit Eber zeigt aber, dass die Reformationsbewegung mit Melanchthons Tod nicht einfach aufhörte. "Natürlich war Eber nicht der große Ideengeber", sagt Daniel Gehrt. "Man kann ihn gar nicht mit Luther oder Melanchthon vergleichen. Luther war derjenige, der neue, revolutionäre Ansichten in die Welt trug. Melanchthon war der große Bildungsreformer und ein Systematiker, der die Ansichten kategorisierte. Eber könnte man aber als ‚Erhalter‘ umschreiben, als ‚Weiterführer‘ dessen, was im Luthertum entstanden ist. Seinerzeit war die Bewegung ja noch ganz jung und es herrschte viel Unsicherheit darüber, wie es in den nächsten Generationen weitergeht." Eber hat die Ideen der Reformation auch nach dem Tod der zwei Wittenberger Hauptakteure am Leben erhalten und fortgeführt, so dass er zu einer wichtigen Säule der Reformation wurde. Mit seiner Forschung möchte Daniel Gehrt deshalb auch das öffentliche Wissen über diesen Reformator wieder erweitern und eine neue Forschung anstoßen. So beschäftigte sich der Wissenschaftler seit 2004 mit der Erschließung des sich in der Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt  befindlichen Hauptnachlasses des Gelehrten. Mehr als 1.000 Briefe mit fast 400 Korrespondenzpartnern mussten dafür bearbeitet werden. Gehrt und seine Kolleginnen katalogisierten diese, wiesen zeitgenössische Abdrucke und moderne Editionen nach und ordneten sie in den gesamten Korrespondenzkontext ein – aufgrund der geringen Bekanntheit Ebers eine Herausforderung für die Forscher, die oft erst einmal fehlende Orte, Datierungen und Inhalte in akribischer Kleinstarbeit erarbeiten mussten. Schließlich ist es ihnen so aber gelungen, ganz verschiedene, nicht nur theologische, auch sozial- und kulturhistorische Aspekte über den bescheidenen Reformator und seine Zeit neu zu bewerten – und damit auch eine Lücke in der Reformationsforschung zu schließen.

Die wichtigsten Ergebnisse gaben Daniel Gehrt und sein Tübinger Kollege Volker Leppin nun in dem Sammelband "Paul Eber (1511–1569). Humanist und Theologe der zweiten Generation der Wittenberger Reformation" heraus. In diesem Band, der die Beiträge zu einer Tagung in Gotha anlässlich des 500-jährigen Jubiläums der Geburt des Reformators präsentiert, ist jedoch nur ein Bruchteil der umfangreichen Korrespondenz berücksichtigt. Neben den 1.000 Briefen in Gotha sind inzwischen rund 300 weitere Briefe in anderen Bibliotheken und Archiven nachgewiesen worden. Laut Daniel Gehrt müssen noch 200 in weiteren Bibliotheken verstreut sein. Diese aufzuspüren, zu bearbeiten und der Forschung zugänglicher zu machen, bedürfe finanziell und zeitlich gesehen noch einmal eines ganz neuen Forschungsprojekts. Ziel ist es, in Zusammenarbeit mit Volker Leppin eine digitale Edition zu erarbeiten – auf Basis des Tagungsbandes und der bisher geleisteten Forschung. Dafür müssen jedoch zunächst Förderer gefunden werden. Daniel Gehrts Anliegen, das Gedenken an Paul Eber aufrechtzuerhalten, wird dieser erste Band aber bereits vollends gerecht – inhaltlich sowieso, aber auch schon äußerlich: "Mit mehr als 620 Seiten ist das Buch viel dicker als die anderen Bände dieser Reihe", freut sich der Forscher. "So fällt Paul Eber jetzt auch im Bücherregal gleich ins Auge!"