Die einen stehen auf Vanille, die anderen mögen lieber “Schlumpf” oder Kokos. Geschmäcker sind eben verschieden. Worauf sich aber so ziemlich alle einigen können ist, dass Eis einfach wundervoll ist. Und zwar nicht nur im Sommer. “Das Thema ist total positiv besetzt, jeder hat dabei ein Lächeln im Gesicht”, sagt auch PD Dr. Heiner Stahl, Mitarbeiter an der Professur für Geschichte und Kulturen der Räume in der Neuzeit an der Universität Erfurt. Er beschäftigt sich seit Langem mit Speiseeis. Klar, auch als Konsument, aber vor allem wissenschaftlich. “WortMelder” hat mit ihm darüber gesprochen…
Herr Stahl, was ist Ihr Lieblingseis?
Da muss ich nicht lange überlegen, ganz klar: Caramel fleur du sel, also Salzkaramell. Aber kürzlich bekam ich ein Eis mit Fenchelgeschmack serviert, das war auch großartig…
Wissen Sie auch, welches das Lieblingseis der Deutschen ist und wie viel Eis sie pro Jahr essen?
Keine Ahnung. Wird das überhaupt erhoben?
Ja, wir haben mal nachgeschaut. Laut Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie sind es eher die klassischen Sorten: Vanille, Schokolade, Stracciatella und Erdbeere. Wir verputzen rund acht Liter pro Person und Jahr. Damit liegen wir gute sechs Liter hinter dem europäischen Spitzenreiter Finnland… Sie selbst befassen sich ja weniger mit den Mengen, sondern viel mehr historisch mit Speiseeis – wie kam es dazu?
Ach, das geht schon eine ganze Weile. Ich war in den Nullerjahren mit meiner Familie in England. Und da gab es überall diese Eiswagen in der Stadt, die sich mit einem Klingeln oder Hupen ankündigten. Ich fand das toll, weil ich beobachten konnte, wie sich die Menschen darum versammelt haben und fröhlich waren. Nun ja, Speiseeis zaubert eben jedem Menschen ein Lächeln ins Gesicht und lässt schöne Erinnerungen aufblitzen. Als Historiker, der sich für (Stadt-)Räume und ihren Wandel interessiert, richtete sich mein Blick dann immer öfter auf diesen Sammelpunkt für Menschen in der Stadt und auf das Eis als kulinarische, aber eben auch kulturelle Errungenschaft. Bis dahin hatte ich mich lange mit Lärm in der Stadt, in Fabriken und in der Arbeitswelt beschäftigt. Ich forschte über Nazis und Mitläufer in der Bonner Republik (1949–1969) und in der westdeutschen Medienlandschaft. Da schien mir das Beforschen von Speiseeis jetzt einfach mal ein sehr fröhliches Thema zu sein. Ein regelrechter Genuss, wenn Sie so wollen… Inzwischen arbeite ich an der Universität Erfurt in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt über “Eiskreationen zwischen Fürstenhof und Bürgerhaushalt: Kulturen des Wissens und des Genusses im Wandel vom 18. ins 19. Jahrhundert”.
Und was treibt Sie da genau um, was untersuchen Sie konkret?
Mich interessiert, wie sich die Geschmacks- und Konsumkultur in der Aufklärung und der bürgerlichen Kultur ab Ende des 18. Jahrhunderts herausgebildet und entwickelt hat. An der Herstellung und dem Genuss von Gefrorenem bzw. Speiseeis lässt sich das ganz gut nachzeichnen. Ich untersuche dabei in meinem Forschungsprojekt die Herstellung, Zubereitung, Darreichung und den Genuss von Speiseeis zwischen 1750 und 1850. Dabei frage ich nach den Wissenstransfers und Praktiken der Distinktion, die sich in die Erzeugung, die Inszenierung und in den lustvollen Verzehr dieses Nachtisches eingeschrieben haben. Es geht erstens um die Verfahren der sozialen Abhebung und Abgrenzung, die an einer fürstlichen Tafel praktiziert wurden, und um deren Übernahmen und Abwandlungen in bürgerlichen Tischgesellschaften. Zweitens beleuchte ich die handwerkliche Dimension des Fertigens und Zubereitens von Speiseeis und frage nach den transregionalen Wissenstransfers, die Expert*innen, Konditor*innen, Köchinnen und Köche leisteten. Drittens untersucht meine Studie Rezeptsammlungen und Kochbücher, die ja Ende des 18. Jahrhunderts auch schon verkauft wurden, und verortet die durch Medien vermittelte und verstärkte Popularisierung von esskulturellem Wissen als Aspekt des bürgerlichen Bildungsverständnisses. Darüber hinaus unternehme ich den Versuch, die von Jean Anthelme Brillat-Savarin (1825) angestellten Überlegungen zu gustatorischen Sinneserfahrungen mit zusätzlichen empirischen Daten, wie beispielsweise Aktenüberlieferungen von Hofküchen und -konditoreien zu Speisefolgen, Verbrauch und Inventarlisten, auszuweiten und anhand von Tagebuchaufzeichnungen und Briefwechseln neu zu fassen. Das berührt auch die stoffliche Beschaffenheit von Speiseeis, die sich über einen bestimmten Zeitraum von Gefrorenem zu Geschmolzenem verändert hat.
Und zu welchen Erkenntnissen sind Sie gekommen?
Mir ist beispielsweise noch einmal sehr deutlich geworden, welche Rolle bürgerliche Frauen Anfang des 19. Jahrhunderts in den Haushalten gespielt haben. Sie waren praktisch Managerinnen eines kleinen “Unternehmens” von meist 10 bis 15 Personen. Sie führten das Personal, sie sorgten dafür, dass der Haushalt funktioniert und so manch eine von ihnen war auch als Autorin aktiv…
Autorin wovon?
Von Kochbüchern und Haushaltsbüchern. Das waren seinerzeit praktische Handbücher und Wissensspeicher, die sie über das Schreiben mit anderen Frauen teilten. Was heute vielleicht mobile Apps oder Influencer leisten. Daraus entwickelten sich Ende des 19. Jahrhunderts sogar ganze neue Betätigungsfelder für Frauen – sie machten sich selbstständig, zum Beispiel als Limonadenverkäuferinnen, und wurden ökonomisch unabhängiger.
Nochmal zurück zum Speiseeis, wer hat's denn nun erfunden?
Die Herstellung von Speiseeis begann schon sehr früh. Seine Anfänge gehen wohl fast 4000 Jahre zurück, wo man in China schon “Gefrorenes” aß. Auch die antiken Griechen nutzten Gletscherwasser, Früchte, Honig und Rosenwasser, um daraus eine Art Speiseeis herzustellen. Wenn man es so will, gibt es die süße Leckerei ab dem Moment, ab dem es Menschen möglich war, eine Wasser-Zucker-Eiweiß-Fruchtsaft-Mischung in einer Zinn- oder Messingbüchse zum Gefrieren zu bringen. Es brauchte Fruchtsirup oder Marmelade. Diese musste gesüßt und aufgekocht werden. Das Ganze kam in ein Behältnis, um das dann gesalzenes Natureis gelegt wurde. An der Innenseite des Behältnisses musste das Gefrorene immer wieder vermischt und durchgerührt werden bis es schließlich die richtige Temperatur und Konsistenz hatte. Und daran hat sich im Grunde bis heute nichts Wesentliches geändert…
Was geschieht eigentlich mit Ihren Erkenntnissen – wer nutzt sie und wofür?
Nun ja, für die “Wirtschaft” ist meine Forschung eher weniger interessant. Die interessiert sich mehr für den Verbrauch in Litern und für Geschichte nur insofern, als dass es in die eigene Markenerzählung passt. Aber inzwischen gibt es eine Menge Leute, die alte Kochbücher, Geräte usw. sammeln, die sich auch für so etwas interessieren. Museen ebenfalls. Und natürlich ist meine Forschung vor allem auch etwas für alle jene, die sich mit der Kulturgeschichte des Essens beschäftigen. Ich habe zu diesem Thema mehrere Aufsätze verfasst und schreibe derzeit ein Buch darüber, das die Erkenntnisse aus meiner Forschung zusammenfasst. Das Ganze soll 2026 erscheinen und nicht nur für Wissenschaftler*innen, sondern auch für interessierte Laien gut lesbar sein. Vielleicht schaffe ich es ja, pünktlich am 24. März zu veröffentlichen – das ist der Internationale Tag des Speiseeises. Das wäre doch sehr passend…
Haben Sie noch einen schönen Small Talk-Fakt zum Speiseeis für uns?
Wussten Sie zum Beispiel, dass Goethe sehr gern und viel genascht hat? Theodor Horny, ein Weimarer Konditor, versorgte ihn seit den 1820er-Jahren mit zahlreichen Leckereien. Eis war natürlich auch darunter. Die Küchen- und Lebensmittelrechnungen, die im Goethe-Schiller-Archiv in Weimar aufbewahrt werden, erzählen darüber tolle Geschichten. Geschichten voller Esskultur, Lebenslust und Gaumenfreuden. Oder, was mich selbst überrascht hat: Ich habe im Nachlass von Fürst Pückler kein einziges Eisrezept gefunden. Dabei war er als Eisliebhaber sehr bekannt. Sein ”Mundkoch" Louis Ferdinand Jungius hat das 1839 in einem mehrbändigen Kochbuch erwähnt und schließlich das Rezept für halbgefrorenes Vanille-, Schokoladen- und Erdbeereis “nach Art Fürst Pückler” benannt. Ach, da gäbe es noch eine ganze Menge zu erzählen…
…sagt Heiner Stahl lächelnd. Und tritt damit noch einmal den Beweis an: Eis macht irgendwie glücklich.
Hätten Sie gewusst...
der sogenannte “Hirnfrost”, also der Kältekopfschmerz, beim Eisessen dadurch entsteht, dass der Körper versucht, sich vor einer möglichen Unterkühlung zu schützen und die Blutgefäße zusammenzieht. Lässt das Kälteempfinden nach, dann fließt das Blut ruckartig ins Gehirn zurück, was dann den stechenden Kopfschmerz verursacht.