Drei Jahre Reformprozess in der katholischen Kirche in Deutschland – Ergebnisse und Grenzen

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Am 1. Advent 2019 ist er gestartet – der "Synodale Weg" der katholischen Kirche in Deutschland. Sein Ziel: die  gemeinsamen Suche nach Schritten, mit denen das christliche Zeugnis gestärkt werden kann. Ein Weg der Umkehr und Erneuerung in der Kirche, an dem Laien und Priester, Frauen und Männer, teilhaben sollten. Am 11. März 2023 nun endete der "Synodale Weg" mit der fünften Synodalversammlung. Von Beginn an engagiert dabei war Julia Knop, Professorin für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt. Für unseren "WortMelder"-Blog haben wir sie um eine Bilanz gebeten und gefragt: Wie geht es weiter mit der Katholischen Kirche...?

Prof. Dr. Julia Knop

Nach drei Jahren ging der Synodale Weg der katholischen Kirche in Deutschland am 11.3.2023 zu Ende. Anlass und Aufgabe waren die Erkenntnisse der MHG-Studie zu Missbrauch durch Kleriker an Kindern und Jugendlichen, die im September 2018 veröffentlicht worden war. Sie enthielt nicht nur Zahlen und Daten, sondern auch Überlegungen zu systemischen Hintergrundfaktoren von Missbrauch im System katholische Kirche – Überlegungen, die seither vielfach und interdisziplinär bestätigt worden sind. Aus diesen Erkenntnissen waren 2019 die Themen und Aufgaben des Synodalen Wegs abgeleitet worden: Es sollte darum gehen, das klerikal-hierarchische Machtgefüge aufzubrechen, das Verständnis des Priesteramts weiterzuentwickeln, Geschlechtergerechtigkeit zu befördern und revisionsbedürftige Punkte der kirchlichen Sexualethik zu bearbeiten.

Was wurde erreicht?

Das wichtigste Ergebnis dieses Prozesses besteht in den 15 beschlossenen Texten. Weitere wurden vorbereitet, teils in erster Lesung beraten und in das Nachfolgegremium des Reformprozesses, den Synodalen Ausschuss bzw. Rat, überwiesen. Eine Präambel ordnet den Reformprozess in den Kontext klerikalen Missbrauchs ein. Der Orientierungstext leistet eine Vergewisserung, wie gute theologische Erkenntnisse zustande kommen: im Zusammenspiel von Bibel und Tradition, wissenschaftlicher Theologie und kirchlichem Lehramt, auf der Grundlage einer guten Gegenwartsdiagnostik und unter breitem Einbezug der Gläubigen. Zu den vier vorab definierten Themenbereichen wurden umfangreiche Grund- und kurze Handlungstexte erarbeitet, in denen die nächsten Schritte benannt werden: Wer verpflichtet sich dazu, bis wann was zu tun?

In diesen Texten werden einige alte Themen aufgerufen, zu denen schon vor 50 Jahren Reformbedarf angemeldet wurde: zur „Laienpredigt“ (gemeint ist die Predigt professioneller, aber nicht geweihter Theolog*innen, wie sie an der Erfurter Fakultät ausgebildet werden), zur Öffnung der Weiheämter, zunächst des Diakonats, für alle Geschlechter, und zur Aufhebung des Pflichtzölibats für Priester. Dass im 21. Jahrhundert immer noch um solche Themen gerungen werden muss, zeigt, wie riesig der Reformbedarf, wie groß der Entwicklungsrückstand ist.

Andere Beschlüsse greifen Herausforderungen (etwas) jüngeren Datums auf. Sie sollen kirchliche Anachronismen in Bezug auf queere Sexualität und geschlechtliche Vielfalt korrigieren und Lehre, Kirchenrecht und Gottesdienst dazu auf den heutigen Stand bringen. Das geschieht in den Voten zur Änderung der kirchlichen Lehre über Homosexualität, zur (mittlerweile erfolgten) Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts, zur offiziellen Einführung von Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche und wiederverheiratet-geschiedene Paare sowie im Votum für einen menschenwürdigen kirchlichen Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt und Transidentität.

Die größte Zustimmung fanden Texte, die kirchliche Prävention und Intervention bei Missbrauch an Kindern und Jugendlichen weiter verbessern sollen und auch die Gefährdung erwachsener Frauen in den Blick nehmen, in Seelsorgebeziehungen und kirchlichen Arbeitsverhältnissen Missbrauch zu erleiden. Zudem wurden Konzepte zur Kontrolle und Begrenzung von Macht entwickelt, welche die katholische Alleinstellung des Bischofs in Lehre und Leitung zugunsten kooperativer Formate aufbrechen sollen. Auch bei der Bestellung eines neuen Bischofs sollen „normale“ Katholik*innen künftig mitwirken. Man wird in den anstehenden Verfahren in Paderborn und Bamberg sehen, ob das auch praktisch gelingt.

Vor allem die theologischen Grundlagentexte werden die (welt-) kirchliche Debatte, auch den weltsynodalen Weg, herausfordern und mittel- und langfristig weiterbringen. Ob die konkreten Schritte, die in den Handlungstexten empfohlen werden, tatsächlich kurzfristig umgesetzt werden (z. B. Segnungsfeiern, Laienpredigt), hängt am Reformwillen der einzelnen Bischöfe. Wo es um weltkirchliche Belange geht (z. B. Machtgefüge, Zölibat, Geschlechtergerechtigkeit, Sexuallehre), ist die Reformbereitschaft des Papstes und der römischen Behörden gefragt, die bekanntlich nicht besonders stark ausgeprägt ist.

Alle diese Texte kann man samt (namentlichen) Abstimmungsergebnissen nachlesen. Sie müssen hier nicht vorgestellt werden. Interessanter dürfte eine erste Bilanz zum Prozess sein. Synodal*innen kommentierten zu Recht, der Synodale Weg sei erst der Beginn eines Beginns gewesen. Er habe Veränderungen ermöglicht, aber noch nicht umsetzen können.

Die zentralen Herausforderungen markieren zwei Bruchmomente. Beide haben mit der herausgehobenen Rolle der Bischöfe in der katholischen Kirche zu tun. Das eine ist auf der Schwelle von Theorie und Praxis angesiedelt, in der Textlogik des Synodalen Wegs gesagt: im Übergang von Grund- zu Handlungstexten, da, wo die Commitments liegen, auf die der Synodale Weg setzt. Hier zeigte sich: Wer einem Grundtext zugestimmt hat, war sich bisweilen der praktischen Konsequenzen nicht bewusst. In der Theorie ist offensichtlich manches leichter zu affirmieren als wenn es um konkrete, sichtbare, nachhaltig wirksame Schritte geht, insbesondere dann, wenn sie den eigenen Ermessens- und Handlungsspielraum, die eigene Position im System, verändern und begrenzen würden.

Das zweite Bruchmoment lag darin, dass der Synodale Weg kein neues Recht implementieren konnte, stattdessen auf einen Kulturwandel setzte. Beschlüsse wurden laut Satzung nur wirksam, wenn sie sowohl eine Zweidrittelmehrheit der Synodalversammlung (insgesamt gut 230 Personen) als auch eine Zweidrittelmehrheit der Bischöfe (insgesamt knapp 70 Männer) fanden. Bei der 5. und letzten Vollversammlung nutzten die Bischöfe ihre machtpolitisch privilegierte Situation dazu, Textänderungen zu erzwingen. Buchstäblich in letzter Minute brachten sie Änderungsanträge ein, in denen sie definierten, welchen Reformen sie maximal zustimmen würden. In keinem Fall wurden Texte dadurch ambitionierter oder verbindlicher. In allen Fällen wurden Reformimpulse empfindlich beschnitten. Damit war die Debatte praktisch entschieden: Entweder die Synodalversammlung stimmte ihnen zu – oder die Bischöfe würden die Texte kraft ihrer Sperrminorität durchfallen lassen. Die Synodal*innen standen also vor der Wahl, sich entweder mit sehr kleinen, mühsam ertrotzten Schritten zufrieden zu geben, die deutlich hinter dem zurückbleiben, was sie mehrheitlich nötig und richtig fanden, oder überhaupt keine Fortschritte zu erzielen.

Wahrscheinlich sind die gefassten 15 Beschlüsse realpolitisch das Maximum dessen, was erreicht werden konnte. Natürlich: Kompromisse gehören zu jeder guten Debatte. Alle müssen sich aufeinander zu bewegen und verändern. Wie viel Bewegung erfolgte, war individuell sehr unterschiedlich. Doch immerhin sind alle beieinandergeblieben. Sie haben sich nicht auseinandertreiben lassen. Frust und Erschöpfung unter den Synodal*innen sind trotzdem groß. Denn der Synodale Weg sollte ja Machtmissbrauch korrigieren, nicht bestätigen. Die Bilanz fällt daher prozedural ambivalent und inhaltlich bescheiden aus. Zwar war die theoretische Annäherung kirchlicher Machtverhältnisse an demokratische Maßstäbe überfällig. Aber solange die bestehende Machtordnung nicht substanziell aufgebrochen und korrigiert wird, bleibt jeder Reformvorschlag ein frommer Wunsch. Zwar ist es tatsächlich ein Novum und weltkirchlich ein bedeutsamer symbolischer Schritt, dass sich eine Bischofskonferenz mehrheitlich dafür ausgesprochen hat, die unterste Weihestufe für Frauen zu öffnen und weitere Schritte theologisch zu fundieren. Aber nach normalen, zeitgenössischen Maßstäben ist alles, was hinter voller Geschlechtergerechtigkeit zurückbleibt, viel zu wenig. Zwar dürfte nun wirklich mehr Wahrhaftigkeit Einzug nehmen in kirchliche Realität, wenn die Vielfalt der Lebensformen und Partnerschaften von Katholik:innen aus der Grauzone des eigentlich nicht Erlaubten ins Licht der kirchlichen Öffentlichkeit treten kann. Doch bis Diskriminierung und Ausschluss derer ein Ende nehmen, die nicht den offiziellen kirchlichen Moralvorstellungen entsprechen, ist es noch ein weiter Weg.

Da tröstet es nur wenig, dass die katholische Kirche in Jahrhunderten denkt…

Lesen Sie zu diesem Thema auch den Beitrag "Vor der letzten Synodalversammlung ein Blick zurück zum Beginn: Die Frage nach der Zäsur" in "Theologie aktuell", dem Blog der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt.

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