#outinchurch. Theologischer Studientag zum Queersein in der Kirche

Forschung & Wissenschaft , Veranstaltungen
Die Teilnehmer*innen der Veranstaltung im Coelicum

von Prof. Dr. Julia Knop

„Out in church“ war der Studientag der Erfurter Katholisch-Theologischen Fakultät am 10. Mai 2022 überschrieben, der auf große Resonanz stieß. Im Hintergrund stand die derzeit intensiv geführte Diskussion um die Haltung der römisch-katholischen Kirche gegenüber queerer Sexualität, um die strukturelle und individuelle Diskriminierung, die LGBTIQ-Menschen in der Kirche erfahren, und um Wege einer ehrlichen kirchlichen Umkehr und Erneuerung in der Lehre und Liturgie. Entsprechende Reflexionen gibt es seit einigen Jahren beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken, beim Synodalen Weg, in diversen Bistümern, in der kirchlichen Ehe-, Familien- und Lebensberatung, in Gemeinden und Familien und natürlich in Forschung und Lehre der verschiedenen Fächer der akademischen Theologie.

Auf allen Ebenen und in allen Kreisen ist dieses Thema freilich nicht nur ein Thema, über das kundig und reflektiert und sachlich distanziert zu sprechen wäre. Denn es geht immer um Menschen. Darum, wie Menschen miteinander umgehen, einander in ihrer Individualität wahrnehmen und in ihrer Diversität wertschätzen. Menschen in unterschiedlichen Lebenszusammenhängen und Lebensphasen. An unserer Fakultät sind dies neben den Kolleg:innen in der Lehre und Verwaltung, die auf Dauer oder auf Zeit miteinander arbeiten, sehr viele junge Menschen. Sie sind mitten in ihrer Ausbildung. Sie stehen an der Schwelle zum Berufsleben. Sie befinden sich in einer Phase, in der sie klären, ob die römisch-katholische Kirche für sie künftig ein guter Ort, eine attraktive Arbeitgeberin sein könnte – oder ob sie ihre Identität oder ihre Liebe verbergen müssen, wenn sie einen kirchlichen Beruf ergreifen wollen.

Natürlich bewegt sie, natürlich bewegt uns alle dieses „Thema“: als Menschen, die eine Weile ihr Leben miteinander teilen, als Katholik:innen, als Wissenschaftler:innen.

Konkrete Anlässe, als Fakultätsgemeinschaft einen Studientag zu Queerness in der katholischen Kirche zu veranstalten, gab es in den vergangenen Monaten gleich mehrere: Im März vergangenen Jahres hatte die Glaubenskongregation in einem „Responsum ad Dubium“, einer klärenden Antwort auf Zweifel ungenannter Urheberschaft, kirchliche Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche Paare für nicht zulässig erklärt. Dieses Verbot – genauer: die Erklärung, die Kirche habe, selbst wenn sie wollte, keine Vollmacht, gleichgeschlechtliche (Ehe-) Paare zu segnen – hat die Debatte und Praxis allerdings eher gestärkt als unterbunden. Hunderte Seelsorger:innen erklärten ihrerseits, auch weiterhin queere Paare segnen zu wollen.[1] Zahlreiche Gemeinden und Verbände solidarisierten sich mit Regenbogenfahnen und erklärten ihren Widerspruch zum Votum der Glaubenskongregation durch öffentliche Statements. Am 10. Mai 2021 wurden solche Feiern in der Aktion #liebegewinnt erstmals öffentlich präsent. Am 10. Mai 2022, als wir den Studientag abhielten, gab es zum zweiten Mal in vielen Kirchengemeinden entsprechende Angebote.

Auch der zweite Anlass des Studientags hatte große öffentliche Aufmerksamkeit gefunden: Am 24.1.2022 outeten sich über hundert Mitarbeiter:innen der katholischen Kirche – Priester und Ordensleute, Pastoral- und Gemeindereferent:innen, Religionslehrer:innen, Mitarbeitende in caritativen Einrichtungen, Jugendleiter:innen und viele andere – als schwul oder lesbisch, transident oder intersexuell. Sie machten damit sich selbst, ihre Geschichte, ihre Persönlichkeit, vor allem aber ihre Bedrängnis öffentlich, die sie durch ihre Arbeitgeberin, die Kirche, erfahren. Offen queer zu sein kann in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland im Jahr 2022 immer noch ein Kündigungsgrund sein – spätestens dann, wenn eine zivile Eheschließung ansteht, aber auch zuvor, wenn eine queere Beziehung öffentliches Aufsehen findet.

Denn es würde, so die krude Argumentation des kirchlichen Arbeitsrechts, die Glaubwürdigkeit der Kirche (!) beeinträchtigen, wenn Mitarbeiter:innen durch ihre Identität und ihre Liebe gegen die kirchliche Lehre verstießen, die sie als queere Katholik:innen schlichtweg nicht vorsieht, die ihnen im besten Falle mit „Mitleid“ begegnet, aber zur Keuschheit verpflichtet.

Die ARD-Dokumentation „Wie Gott uns schuf – für eine Kirche ohne Angst“, die dieses Outing begleitete, ist weiterhin in der Mediathek abrufbar; sie ist die mit einer guten halben Million Klicks am häufigsten abgerufene Dokumentation des ersten Quartals 2022. Manifest und Forderungen dieser Aktion haben mittlerweile rund 120.000 Unterstützer:innen gefunden.

Kurz nach dieser Aktion fand schließlich die dritte Vollversammlung des Synodalen Wegs der katholischen Kirche in Deutschland statt. Natürlich war #OutInChurch auch dort in den Frankfurter Messehallen Thema. In erster Lesung wurden mit großer Mehrheit Texte verabschiedet, die eine Korrektur der kirchlichen Lehre zur Homosexualität initiieren, eine grundlegende Änderung des kirchlichen Arbeitsrechtes fordern und Segnungsfeiern für queere Paare auch offiziell implementieren wollen. In öffentlichen Wortmeldungen und in informellen Gesprächen am Rande wurde deutlich, welche Verletzungsgeschichten kirchliche Lehre und Praxis hervorrufen.

Der Studientag der Theologischen Fakultät setzte dort an, wo Wissenschaftler:innen zuhause sind: bei ihrer fachlichen Expertise. Fünf Kolleg:innen präsentierten vor einem Auditorium von rund 70 Interessierten den State of the Art ihrer Disziplin. Hannes Bezzel, Professor für alttestamentliche Exegese an der evangelischen Schwesterfakultät in Jena, und Thomas J. Bauer, Professor für neutestamentliche Exegese in Erfurt, erläuterten, was aus biblischer Perspektive zu queerer Sexualität und Partnerschaft gesagt werden kann: Nichts. Denn die insgesamt wenigen biblischen Referenzen aus dem Buch Genesis, dem Buch Levitikus oder dem Römerbrief thematisieren Fragen kultischer Reinheit und verurteilen Demütigung durch sexualisierte Gewalt.

Romantische und erotische Liebesbeziehungen zwischen Menschen gleichen Geschlechts kommen in der Bibel aber schlichtweg nicht vor; sie treten überhaupt erst im 19. Jahrhundert ins allgemeine Bewusstsein. Pädosexuelle Praktiken, wie sie in manchen antiken Gesellschaften üblich waren, waren soziale Marker: Praktiken, die die Unterordnung von Frauen und Männern, Kindern und Sklaven unter ihre Herren sichtbar machen.

Jörg Seiler, Professor für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, stellte die vielfältigen homophoben Traditionen, die sich im Christentum ausgebildet haben, dar. Er zeigte auf, wie „Homophobie, religiös geprägtes Weltverständnis, Machtverhältnisse und kulturelle Rahmenbedingungen ein nahezu unentwirrbares Knäuel gebildet haben“ – und wie nötig und aufschlussreich die historische und theologische Dekonstruktion solcher toxischen Traditionen ist. Benedikt Schmidt, Ethik-Professor am Zentralinstitut für katholische Theologie in Berlin, erläuterte die geltende kirchliche Lehre, die eine binäre Geschlechterordnung voraussetzt und daraus eine heteronormativ codierte Sexualethik ableitet. Gesellschaftliche Transformationen und humanwissenschaftliche, aber auch theologische Erkenntnisfortschritte führten nicht zu doktrinellen Transformationen im Menschenbild und der Wahrnehmung menschlicher Liebesbeziehungen, eher zu einer immer weiter gehenden Entkopplung von kirchlicher Lehre einerseits, menschlichen Lebenswelten und Wissenschaften andererseits. Die Erfurter Pastoraltheologin Maria Widl schloss den Reigen der wissenschaftlich-theologischen Perspektiven auf das Thema des Studientags ab. Sie verwies auf die tiefe Diskrepanz von Theologie und Praxis, Lehre und Wirklichkeit, die gerade auf dem Feld der Sexualität deutlich werde, und zeigte Entwicklungsbedarfe in der Wahrnehmung des Geschlechtlichen und seiner vielfältigen Dynamiken auf.

Neben den Wissenschaftler:innen nahmen weitere Gäste am Studientag teil, die ihrerseits verschiedene Expertisen mitbrachten: Mit Mara Klein, Halle, war ein:e Herausgeber:in des Buches „Katholisch und queer“ anwesend. Binnen kürzester Zeit hatte das Herausgeber:innen-Trio – drei junge Synodal:innen – 2021 im Bonifatius-Verlag das Buch publiziert. Es versammelt O-Töne, aber auch Stimmen aus Familien und Freundeskreisen queerer Katholik:innen sowie Reflexionen aus Theologie und Kirche. Mara Klein gab außerdem Einblick in die synodalen Debatten, die Entwicklungen und Fallstricke der Thematik. Birgit Mock, Geschäftsführerin des Hildegardis-Vereins und Vorsitzende des Synodal-Forums 4 des Synodalen Wegs, das sich mit kirchlicher Lehre und Pastoral im Feld von Sexualität und Partnerschaft beschäftigt, nahm nicht nur an der abschließenden Podiumsdiskussion teil, sondern wirkte den Tag über auch als aufmerksame und sensible Prozessbeobachterin mit.

Arbeitsergebnisse des Workshops "Queer in der kirchlichen Lehre"

Arbeitsgruppen am Nachmittag boten Raum und Gelegenheit, sich stärker auszutauschen, aber auch theologisch aktiv zu werden: Studierende und Promovierende der Fakultät hatten Workshops vorbereitet, in denen Prinzipien und Gesprächs- und Korrekturbedarfe der kirchlichen Lehre, der liturgischen Praxis und des Gemeindealltag thematisiert wurden. Die Gruppen arbeiteten engagiert und theologisch professionell an Alternativtexten für den Katechismus. Beispiele für Segnungsfeiern entstanden und wurden reflektiert. Diskutiert wurde zudem, wie man in Gemeinden für die anstehenden Fragen stärker sensibilisieren könne. In diesen Gesprächen war auch Raum für persönliche Fragen und Äußerungen, für konstruktiven Streit, für Klärungen und argumentative Entwicklung. Solche Begegnung verändert Rollen, Gewohnheiten und Selbstverständnisse, das prägt und fördert auch unser Zusammenwirken an der Fakultät.

In der abschließenden Podiumsdiskussion, zu der noch einmal andere Zuhörer:innen hinzukamen, ging es darum, institutionelle Gegebenheiten und Optionen in der Kirche und an der Universität zu reflektieren. Es ist nicht nur das persönliche Umfeld – es sind immer auch Strukturen und Abläufe, die Menschen in ihrer beruflichen Entwicklung beeinträchtigen oder unterstützen. Neben Birgit Mock und Mara Klein nahmen Matthias Hülfenhaus, Ausbildungsleiter für Gemeindereferent:innen beim Bistum Erfurt, Thomas Lazar, Seelsorger der Katholischen Studierendengemeinde Halle, und Theresia Piszczan, Gleichstellungsbeauftragte der Universität Erfurt, teil. Sie schilderte, wie Gleichstellung in universitären Zusammenhängen rechtlich bestimmt ist und wie dies prozedural umgesetzt wird, welche Regelungen und Zuständigkeiten in konkreten Konfliktfällen, aber auch in regulären (z.B. Stellenbesetzungs-) Verfahren greifen. Deutlich wurde, wie hilfreich und nötig verlässliche Regelungen, klare Zuständigkeiten sowie institutionelle Unterstützung von Mitarbeiter:innen sind, die von Diskriminierung bedroht sind.

Auf kirchlicher Seite gilt es diesbezüglich viel nachzuholen. Weiterhin stehen queeren Mitarbeiter:innen in den katholischen Bistümern äußerst restriktive Regelungen gegenüber. Ihre Anwendung ist da und dort ausgesetzt – das steht aber im jeweiligen Ermessen der Kirchenleitungen und kann nicht nur von Bistum zu Bistum, sondern auch von Fall zu Fall variieren.

Ohne eine beherzte Korrektur des kirchlichen Arbeitsrechtes bleibt der kirchliche Dienst deshalb ein Feld, in dem geschlechtliche Identität, sexuelle Orientierung und Partnerschaft im Zweifelsfall verborgen werden (müssen).

Es ist neu zu klären: Welches Kommittent zwischen der Arbeitgeberin Kirche und ihren Arbeitnehmer:innen braucht es – und muss es wirklich durch (Loyalitäts-) Pflichten und Verbote beschrieben werden, die bis in die individuelle Lebensführung hineinreichen? Bräuchte es nicht vielmehr eine gemeinsame Vision, müsste nicht gerade die Kirche ein Raum sein, in dem Respekt und Würde alle zwischenmenschlichen und prozeduralen Bezüge zuinnerst prägen? Diese Debatten müssen geführt werden – und sie werden geführt; die entsprechenden Passagen des kirchlichen Arbeitsrechts sollen in diesem Jahr neu aufgelegt werden.

Die abschließende Podiumsdiskussion
Die abschließende Podiumsdiskussion

Auf dem Podium wurde freilich auch deutlich, dass es zu kurz griffe, „die“ Kirche „der“ Gesellschaft gegenüber zu stellen. Die kulturellen Polarisierungen, die sich nicht zuletzt auf den Feldern der Geschlechteranthropologie und Sexualethik auftun, durchziehen auch die katholische Welt. Nicht nur, dass in vielen Pfarr- und Hochschulgemeinden vielfach längst ein selbstverständliches LGBTIQ-freundliches Klima herrscht, dass v. a. junge Katholik:innen nicht mehr verstehen und nicht mehr akzeptieren, wenn kirchlich ernsthaft debattiert wird, ob Diskriminierung aus religiösen Gründen nicht doch statthaft sein könne. Nein, das ist schlichtweg nicht mehr diskutabel. Religionsfreiheit darf nicht zur Herabwürdigung anderer Menschen benutzt werden. Misogynie, Homo- und Transphobie sind keine Meinungsfrage. Auch „die Weltkirche“ ist alles andere als homogen; Katholik:innen leben und erleben sich so divers wie Angehörige anderer Konfessionen und Religionen auch. LSBTIQ-Personen, ob religiös oder nicht, werden in aller Welt zunehmend hörbar, sie ermächtigen einander, vernetzen sich, erzählen ihre Geschichten, artikulieren ihren Leidensdruck, fordern Veränderung, Verantwortungsübernahme, Korrekturen. Hier gilt es gerade seitens der Theologien in aller Welt, Verantwortung zu übernehmen und aufzuklären über das toxische Potenzial anthropologischer und theologischer Konzepte, welche Leid generierende Strukturen, Verhaltensweisen und Überzeugungen stützen.

Wir wollen uns an der Erfurter Theologischen Fakultät dieser Verantwortung stellen, das „Thema“ LGBTIQ präsent halten, vor allem aber als Menschen in all unserer Diversität respektvoll und wertschätzend miteinander arbeiten, weil wir, so Dekan Seiler, „für einige Zeit miteinander Lebenswege teilen, und weil wir Menschen keine Maschinen sind, weil Reflektion, Lehre und Lehren immer bedeutet, dass wir uns gegenseitig etwas zu sagen haben“. Eine theologische Fakultät an der Universität kann und sollte ein Raum sein, „in dem heteronormative Fixierung bedeutungslos ist, in dem divers gedacht, gelebt, geliebt, gelacht, geweint und studiert werden kann und soll“. Der Studientag war ein wichtiger Schritt auf diesem Weg.

 

[1] www.publik-forum.de/Leben-Kultur/mehr-segen-unterm-regenbogen