Gläserne Decken und klerikale Allianzen. Warum italienische Theologinnen eine bessere Amtstheologie fordern

Forschung & Wissenschaft
Schriftzug "Gottes starke Töchter" vor orange-rot marmoriertem Hintergrund

Der kirchliche Gender-Gap ist riesig. Nötig ist eine fundierte Revision der überkommenen Amtstheologie, die die Reformen des Konzils endlich konsequent aufnimmt und die Kirche im Sinne des Evangeliums verwandelt.

Auch in Italien ist religiöse Praxis überwiegend weiblich. Aber auf kirchlicher Entscheidungsebene sind Frauen praktisch nicht vertreten. Das wird immer mehr bewusst und ist der Grund dafür, dass sich viele junge Frauen von der Kirche distanzieren. Denn wie überall in der westlichen Welt findet auch in Italien ein kultureller Wandel statt. Geschlechterrollen und Familienbilder verändern sich. Frauen erreichen ein höheres Bildungsniveau als Männer. Sie sind in Arbeitswelt und Politik immer stärker vertreten; einige haben Spitzen- und Führungspositionen inne. Die Gesetzgebung forciert Chancengleichheit. Da sich aber am bestehenden Männerbild kaum etwas geändert hat, dominiert weiterhin die Trennung von privat und öffentlich. Die private Sphäre mit ihren affektiven und fürsorglichen Beziehungen wird weiterhin vor allem Frauen, die öffentliche mit ihren Autoritäts- und Funktionsrollen Männern zugesprochen.

Die Anerkennung der gleichen Würde bedeutet also weder in der Gesellschaft noch in der Kirche, dass Frauen auch tatsächlich gleiche Chancen auf Führungspositionen erhalten. Dafür ist viel mehr Sensibilität nötig. Geschlechtsspezifische Stereotypen müssen erkannt und angeprangert werden. Die patriarchalisch-klerikale Struktur, die in der italienischen Kirche vorherrscht, könnte so schrittweise überwunden werden, ebenso die weit verbreitete, auf Hans Urs von Balthasar zurückgehende Idee eines marianisch-weiblichen und petrinisch-männlichen Prinzips. Es ist biblisch nicht begründet, aber zum Dreh- und Angelpunkt der Unterscheidung geschlechtsspezifischer Rollen in der Kirche geworden.

Die berühmte „gläserne Decke“ gibt es für Frauen auch in der Kirche. Sie werden dazu gedrängt, sich in Erziehung, Betreuung und Katechese zu engagieren. Aber die Leitung liegt immer bei Priestern. Von 226 Diözesanleitungen für Katechese sind nur 15 weiblich besetzt. Nur in kleinen Diözesen haben einige Frauen pastorale Leitungspositionen inne. Auf nationaler Ebene wird nur die Verantwortung für den Behindertenbereich von einer Frau geleitet. Die einzige bemerkenswerte Ausnahme ist der Synodenausschuss der italienischen Kirche, der zur Hälfte mit Frauen besetzt ist.

Geschätzt gibt es in Italien mehr als 40.000 Religionswissenschaftlerinnen und etwa 400 Frauen mit einem theologischen Abschluss. Dennoch herrscht weiterhin eine androzentrische und patriarchalische Kultur, in der die Beziehung zwischen Männlichkeit, Macht und dem Heiligen nicht reflektiert wird. Es gibt immer noch viele Presbyter und Diakone, die eine pastorale Organisation leiten – bei ihnen zählt nicht die Kompetenz, sondern die Zugehörigkeit zum Klerus. Stereotypen über „die“ Frau, die (von Natur aus) kein Interesse an der Ausübung von Führungspositionen hätte, werden weiter gepflegt. Auch heute haben Frauen in der Kirche nicht die Macht, über die „mystischen Demarkationslinien“ (Virginia Woolf) zu entscheiden, um die herum kirchliche Beziehungen, Praktiken und Strukturen organisiert werden.

Es braucht eine ehrliche Bestandsaufnahme der pastoralen Aufgaben, der Machtverteilung und der Führungsrolle von Frauen auf allen Ebenen. Einige Frauen in Spitzenpositionen zu befördern, wie Papst Franziskus es getan hat, ist ein erster wichtiger Schritt. Aber die italienischen Bischöfe sind seinem Beispiel kaum gefolgt. Und auch Franziskus setzt nur pragmatisch an.

Es bleibt daher bei einem Regime von Zugeständnissen. So wird die gläserne Decke nicht durchbrochen. Stattdessen werden durch eine von oben geöffnete Falltür einige ausgewählte Frauen von wenigen mächtigen Männern nach oben gezogen.

Diese pragmatische „Lösung“ könnte eine umfassende Reform sogar verzögern, weil man beim guten Willen und den Möglichkeiten Einzelner ansetzt, statt das Problem von der Wurzel aus anzugehen.

Was ist zu tun? Bestehende pastorale und liturgische Dienste und Ämter (Lektorin, Akolytin, Katechetin) sollten gefördert und aufgewertet werden. Sie haben klar definierte Kompetenzen und werden auch auf der liturgischen Ebene sichtbar. Dadurch werden konkrete Perspektiven auch von weiblicher Leitung in einem pluralen Gefüge verschiedener Ämter eröffnet. Das reduktive Binom „Klerus versus Laien“ wird dekonstruiert.

Angesichts der Trägheit des italienischen kirchlichen Gefüges halte ich es auch für notwendig, in Italien für einen bestimmten Zeitraum (etwa zehn Jahre) eine „Frauenquote“ einzuführen, wonach auf allen diözesanen Leitungsebenen zwei oder drei Frauen in Führungspositionen gebracht werden. Wir wissen aus der Soziologie, dass das noch sehr wenig ist und tiefgreifende Veränderungen nur mit viel größeren Frauenanteilen erreicht werden können.

Frauen haben auf ihrem Weg zu Führungspositionen mit vielen verschlungenen und komplexen Hindernissen zu tun. Es gibt starken Widerstand gegen eine umfassende Umstrukturierung der Geschlechterrollen.

Dies ist für Theologinnen in Italien offensichtlich. Frauen sind seit dem Konzil als Studentinnen und als Lehrerinnen in die Theologie vorgestoßen. Einige haben in jüngster Zeit Führungsrollen inne. Aber nur sehr wenige sind in der Wissenschaft geblieben und hauptamtlich als Dozentinnen tätig. In den großen theologischen Vereinigungen und Fakultäten spielen sie die Rolle der „ewigen Zweiten“. Strukturell ist weiterhin der Zugang zu den Lehrstühlen an den päpstlichen Universitäten ein großes Problem. Es gibt in Italien keine theologischen Fakultäten an staatlichen oder katholischen Universitäten. Eine Berufung in einem offenen Wettbewerb findet fast nie statt.

Neben Bildung und Fachwissen ist deshalb Vernetzung nötig. Die Theologinnenvereinigung „Coordinamento Teologhe Italiane“ prangert seit 2003 strukturelle Probleme an und fordert, in allen theologischen, kirchlichen und politischen Fragen eine Genderperspektive einzunehmen. Sie macht Theologinnen sichtbar und fördert ihre Zusammenarbeit. Das „Coordinamento delle associazioni teologiche italiane“ (CATI) zur Synode tritt ausdrücklich für die Ordination von Diakoninnen ein. Diese Vereinigung fördert den Austausch zwischen der pastoralen Praxis und der wissenschaftlichen Reflexion.

In der Kirche kollidiert die weibliche Führungsrolle mit den beiden tridentinischen Strukturen schlechthin: dem Priesterseminar und der Gemeinde. In beiden agieren Kleriker in der Logik „homosozialer Reproduktion“; sie pflegen eine exklusive Club-Struktur samt entsprechenden Netzwerken und Allianzen, die darauf ausgerichtet sind, die Rolle der Kleriker für kirchliche Identität zu stabilisieren.

Eine echte kirchliche Transformation wird daher nur gelingen, wenn dieser Mechanismus aufgebrochen wird. Es geht nicht darum, alternative Orte oder Aufgaben für Frauen zu schaffen, sondern um eine umfassende Reform des kirchlichen Amtes. Es geht darum, das Zusammenspiel von Kommunikation und Teilhabe nachhaltig, das heißt auch: strukturell, umzugestalten. Das gelingt durch theologische Kompetenz und dadurch, dass Frauen an Orte vordringen, die ihnen bisher verschlossen waren, durch individuelle Stärkung der Frauen und Unterstützung der Laienverbände und -bewegungen.

Amtstheologische Vision

Entscheidend für Leitung ist in der Kirche nach wie vor das Weiheamt. Zukunftsweisende amtstheologische Reformansätze sollten sich auf das Zweite Vatikanische Konzil stützen und nicht, wie in den Neunzigerjahren, auf die tridentinische Theologie, die im Apostolischen Schreiben „Pastores dabo vobis“ (1992) von Johannes Paul II. wiedergegeben wird. Das Konzil hat die scholastische und tridentinische Entfaltung des Priestertums als sacerdotium aufgegeben, um sich einer ekklesiologisch-pneumatologischen Grundlage zu öffnen. Es verankert das geweihte Amt in der Verkündigung des Evangeliums und im Aufbau der kirchlichen Gemeinschaft.

Es ist nötig, das Konzept zweier unterschiedlicher und getrennter Machtbereiche, der potestas ordinis und der potestas iurisdictionis, aufzugeben und stattdessen das der tria munera, der drei kirchlichen Aufgabenbereiche munus docendi, pascendi, sanctificandi, zu entfalten. Es ist nötig, den Fokus vom Priester als Individuum zu einer kollegialen Vision von Leitung zu verlagern. Das Verhältnis von Amt und Sakrament, Macht und Leitung sollte neu definiert werden. Die Idee vom Priester als Alleskönner hat ausgedient. Die ontologische Begründung des Priestertums, die in der Idee der Repräsentation Christi und des Handelns in persona Christi capitis mündet, muss überwunden werden.

Die klerikale Karriereleiter (der cursus honorum der Weihe- und Karrierestufen) gehört aufgegeben. Sie hätte eigentlich schon seit der konziliaren Erneuerung des dreigliedrigen Amtes, der Abschaffung der niederen Weihen und der Anerkennung der gleichen Würde aller Getauften überwunden sein sollen.

Doch bis heute beruhen die Bewahrung des Glaubens und der Zusammenhalt der kirchlichen Gemeinschaft, für die der Priester verantwortlich ist, exklusiv auf männlichem Wort, männlicher Körperlichkeit, männlicher Erfahrung. Das reduziert das kirchliche Zeugnis des apostolischen Glaubens, das doch eigentlich vom universalen, allumfassenden Gottesreich sprechen soll, von der Gemeinschaft mit Gott und zwischen allen Menschen und Völkern!

Ein erster wichtiger, möglicher und nötiger Schritt wäre die Diakoninnenweihe, also die Einführung eines nichtpriesterlichen sakramentalen Amtes für Frauen. Dabei geht es nicht bloß um Machtfragen. Es geht darum, die kirchliche Gemeinschaft insgesamt aus einer gendersensiblen Perspektive zu betrachten. Der Fokus liegt nicht auf den Frauen, sondern auf den Beziehungen zwischen Männern und Frauen und darauf, wie ausgrenzende Differenzen konstruiert werden und dekonstruiert werden können. Die Lösung liegt in der Verwandlung asymmetrischer Beziehungen hin zu einer partizipativen Kirche, die dem Evangelium gerecht wird.

Serena Noceti, geb. 1966, Dr. theol., ist Professorin am Istituto superiore di Scienze religiose della Toscana in Italien und hält Kurse an der Facoltà Teologica dell‘Italia Centrale (FTIC) der Theologischen Fakultät von Mittelitalien. Sie ist Mitbegründerin des Coordinamento Teologhe Italiane, der Koordinierungsstelle italienischer Theologinnen.

Cover "Gottes starke Töchter"

Der Verlag Herder hat uns freundlicherweise erlaubt, diesen Beitrag aus dem neu erschienen Heft "Gottes starke Töchter" zu veröffentlichen. Mehr über den Kontext, in dem die Publikation entstanden ist, erfahren Sie in diesem einführenden Blog-Beitrag von Julia Knop

Die deutsche Ausgabe des Heftes ist kostenpflichtig (print und e-pub) hier zugänglich: zur deutschen Ausgabe

Die englische Ausgabe (e-pub) steht kostenfrei hier zum Download bereit: zur englischen Ausgabe