Ein ungewöhnliches Theologiestudium in ungewöhnlichen Zeiten

Alumni
Blick in den Kreuzgang, Domstraße 10, Katholisch-Theologische Fakultät, Universität Erfurt

Beim Alumni-Treffen der Katholisch-Theologischen Fakultät sprachen wir mit Pfarrer Wigbert Scholle, der im Herbst 1989 sein Studium am Philosophisch-Theologischen Studium Erfurt aufgenommen hatte. Die Berufswahl im Anschluss an das Studium war sozusagen "klassisch". Ungewöhnlich war hingegen sein Theologie-Studium während der geschichtsträchtigen Wendezeit, von dem er uns bei dieser Gelegenheit berichtete:

"Mein Theologie-Studium habe ich 1989 mitten in der Wendezeit begonnen. Das erste Semester fand eigentlich gar nicht statt. Wir sind nur noch mit dem Radio in der Hand umhergelaufen, um die neuesten Nachrichten mitzubekommen und zu hören, was los ist. Die Stasi-Besetzung* fiel in die Zeit dieses Semesters. Meine Prüfungsunterlagen habe ich sogar mit in die Bezirksverwaltung der Staatssicherheit genommen und dort gelernt.

Eine etwas makabere Erinnerung habe ich an Professor Wilhelm Ernst, der zu Hause in seinem Arbeitszimmer Fotos vom ganzen DDR-Politbüro hängen hatte. Jedes Mal, wenn einer zurückgetreten war, hat er einen dicken, roten Stift genommen und ihn durchgestrichen. Sicher, diese Erinnerungen haben zwar nicht direkt etwas mit dem Studium zu tun, aber eben mit dem Leben in dieser Zeit.

Heute bin ich Pfarrer in der St. Crucis und St. Wigbert Gemeinde in Erfurt."

*Anmerkung der Redaktion: Im November des Jahres 1989 ordnete Erich Mielke, damals Chef der Staatssicherheit, die gezielte Vernichtung der Stasi-Akten an. Anfang Dezember bildeten sich daraufhin in vielen Orten der damaligen DDR Bürgerinitiativen, um die Vernichtung der Akten zu verhindern. Die erste Besetzung einer Bezirksverwaltung fand am 4. Dezember 1989 in Erfurt statt.