A New Hope!?

Einblicke , Gastbeiträge
rot weiße Flagge Indonesiens

2024 ist ein Superwahljahr. Nicht nur in Deutschland. Weltweit finden in 76 Ländern der Welt Wahlen statt, die über die Zukunft von 4,2 Milliarden Menschen und damit von mehr als der Hälfte der Menschheit entscheiden. Auch in Indonesien wird gewählt. Die südostasiatische Republik ist mit 280 Millionen Einwohnern auf 17.000 Inseln das Land mit der viertgrößten Bevölkerung. Am 14. Februar sind 204 Millionen von ihnen zur Wahl aufgerufen. Es ist die weltweit größte demokratische Wahl an einem Tag. Mit ihr endet nach zehn Jahren die Präsidentschaft des einstigen Hoffnungsträgers Joko Widodo. Was bleibt von seiner Amtszeit und welche Perspektiven bieten die Präsidentschaftswahlen dem Land? Viddy Ranawijaya, Doktorand an der Willy Brandt School of Public Policy der Universität Erfurt, stammt selbst aus Indonesien. Gemeinsam mit seinem Kommilitonen und Landsmann Teuku Harza Mauludi wirft er in unserem Gastbeitrag einen Blick auf die Wahlen in ihrem Heimatland:

„A New Hope“ Dieser Satz prangte am 15. Oktober 2014 als Schlagzeile auf der Titelseite des amerikanischen „Time Magazine“. Anlass war die Amtseinführung von Joko Widodo (bekannt als Jokowi), dem siebenten Präsidenten Indonesiens. Flankiert wurde das Konterfei von folgendem Untertitel: „Indonesian President Joko Widodo is a force for democracy“ (deutsch: „Der indonesische Präsident Joko Widodo ist eine Kraft für die Demokratie“). Der Aufstieg des einstigen politischen Außenseiters zum Präsidenten war nämlich ein Meilenstein für das Land, denn er schaffte es, ohne familiäre Verbindungen zu den etablierten politischen und militärischen Kreisen Staatsoberhaupt zu werden.

In Indonesien ist die Amtszeit des Präsidenten und Vize-Präsidenten auf zwei Legislaturperioden und damit auf zehn Jahre begrenzt. Und Präsident Joko Widodo wurde bereits einmal wiedergewählt. Mit dem Ende seiner letzten Amtszeit und den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen ist nun eine deutliche Veränderung seiner politischen Haltung erkennbar. Denn anstatt ein solides meritokratisches System zu stärken, scheint der scheidende Präsident eine politische Dynastie aufbauen zu wollen: Er selbst nominierte seinen erstgeborenen Sohn Gibran Rakabuming Raka als Vizepräsidentschaftskandidaten.

Die Kandidatur des 36-jährigen Gibran ist jedoch umstritten. Denn die Verfassung Indonesiens schreibt ein Mindestalter von 40 Jahren für Präsidentschafts- und Vizepräsidentschaftskandidaten vor. Die Anfechtung dieser gesetzlichen Hürde durch einen seiner Sympathisanten führte schließlich zum Einschreiten des Verfassungsgerichts. Nun hat dessen Vorsitz gegenwärtig der Schwager von Präsident Widodo inne. Das Gericht entschied positiv über Gibrans Eignung als Vizepräsidentschaftskandidat. Diese Entscheidung wirft sicherlich Fragen bezüglich der Überschneidung von familiären Bindungen und rechtsstaatlichen Verfahren auf.

Gibran Rakabuming Raka bildet nun ein Kandidaten-Duo mit dem Präsidentschaftskandidaten Prabowo Subianto, aktuell amtierender Verteidigungsminister Indonesiens. Er gilt als einstiger Rivale von Präsident Joko Widodo. Prabowo, Schwiegersohn des Diktators Suharto, wird jedoch mit schweren Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht. Nach zwei Wahlniederlagen in Folge hat sich der einstige General laut dem „Guardian“ „von einem strengen Populisten zu einem liebenswerten Großvater mit einer Vorliebe für Katzen und lustigen Tanzeinlagen gewandelt“. Damit will er offenbar vor allem die Erstwähler ansprechen, die sich seiner belasteten Vergangenheit vermutlich nicht bewusst sind.

Trotz Gibrans geringer politischer Erfahrung hat Prabowo ihn als seinen Vize-Kandidaten ausgewählt. Noch ist Gibran Bürgermeister in jener Stadt, in der sein Vater einst seine politische Karriere begann. Ohne diese familiäre Bindung zu Jokowi könnte Gibran als politischer Neuling gelten, dem es an den nötigen Qualifikationen fehlt, um auf der nationalen Bühne zu bestehen. Dennoch scheint dieses kalkulierte Manöver darauf abzuzielen, sich die volle Unterstützung des Amtsinhabers zu sichern.

Dank dieser Unterstützung hat sich das Tandem als Nachfolger und Fortführer der Agenda Jokowis etabliert. Das politische Programm erregte große Aufmerksamkeit. Ein wesentlicher Schwerpunkt darin ist das Downstreaming (hilirisasi), also ein Verbot der Ausfuhr strategischer Rohstoffe wie Nickel und Bauxit. Ziel ist es, der Erstverarbeitung dieser Materialien zu Fertig- oder Halbfertigprodukten Vorrang einzuräumen und so die Wertschöpfungskomponente von Rohstoffen zu erhöhen. Diese Politik wird von der derzeitigen Regierung als „Allheilmittel“ für die Entwicklung Indonesiens zu einem Industrieland angepriesen. Ein weiteres „Vorzeigeprojekt“ ist die Verlegung der Hauptstadt in die neue Planstadt „Nusantara“. Sie wird gegenwärtig in den Wäldern Ost-Borneos von Grund auf neu errichtet. Dieses ehrgeizige Projekt soll die Hauptstadt Jakarta, die im Meer zu versinken droht, ersetzen und gleichzeitig ein neues Wachstumszentrum außerhalb der dicht besiedelten Insel Java schaffen. Beide Programme werden jedoch von Teilen der Bevölkerung kritisiert, unter anderem aufgrund der Konsequenzen für die Umwelt.

Während Prabowo und Gibran für die Kontinuität der aktuellen Regierungspolitik stehen, hat sich ein anderer Kandidat, Anies Baswedan, als Gesicht der Opposition positioniert, der einen politischen Wandel verspricht. Anies hat Muhaimin Iskandar, einen erfahrenen Politiker, der 18 Jahre lang Vorsitzender seiner Partei war, als seinen Vizepräsidentschaftskandidaten ausgewählt. Auch wenn Muhaimin nicht sehr populär ist, ist seine Kandidatur von strategischer Bedeutung: Die von ihm geführte Partai Kebangkitan Bangsa (kurz: PKB; deutsch: „Partei des Nationalen Erwachens“) hat eine starke Präsenz in Ost-Java, einer wichtigen, dicht besiedelten Provinz, in der Anies nur wenige Unterstützer hat.

Das dritte Kandidatenpaar, das in den Umfragen aber zurückliegt, sind Ganjar Pranowo und Mohammad Mahfud Mahmodin (bekannt als Mahfud MD). Das Duo wurde von Präsident Widodos wichtigster Unterstützerpartei – der Partai Demokrasi Indonesia Perjuangan (kurz: PDI P; deutsch: „Demokratische Partei des Kampfes Indonesiens“) – bei den vergangenen beiden Wahlen nominiert. Ganjar war zwischen 2013 und 2023 Gouverneur von Zentral-Java. In seiner Amtszeit gelang es ihm, die Müttersterblichkeitsrate und die Zahl der Kinderlähmungen zu senken, elektronische Behördendienste aufzubauen und die Infrastruktur zu verbessern. Ganjar war jedoch nicht unumstritten: Er war maßgeblich am Erwerb von Abbauflächen für Vulkangestein im Dorf Wadas beteiligt, was zu einem langwierigen Konflikt mit den Bauern des Dorfes führte. Mahfud MD war Minister für politische Angelegenheiten, Recht und Menschenrechte unter der Regierung von Präsident Widodo. Er ist für seine zentrale Rolle bei der Aufklärung großer Korruptionsskandale bekannt. Dennoch erntete auch er Kritik. So wurde ihm vorgeworfen nicht genug für die Aufklärung schwerer Menschenrechtsverletzungen in Indonesien getan zu haben, in die das Militär und die Eliten der indonesischen Politik verwickelt gewesen sein könnten.

Kurz vor der Wahl prognostizieren nun Umfrageinstitute das Tandem Prabowo-Gibran als Spitzenkandidaten mit mehr als 40 Prozent der Stimmen. Damit liegt es deutlich vor den beiden anderen Paaren, die mit einem Abstand von 15 bis 20 Prozent zurückliegen. Da es aktuell keinen Kandidaten zu geben scheint, der eine Mehrheit von mehr als 50 Prozent erreichen könnte, ist ein zweiter Wahlgang im Juni 2024 wahrscheinlich.

Jetzt ist es an den rund 204 Millionen Wähler*innen, am 14. Februar über das Schicksal der drittgrößten Demokratie der Welt zu entscheiden. Der Ausgang der Wahl wird große Auswirkungen auf den demokratischen Kurs des Landes haben und entscheidet letztlich darüber, ob der große Einfluss der Eliten und Oligarchen in Indonesien Bestand hat oder eine neue Ära eingeläutet wird, in der sich das Land zu einer Leitungsgesellschaft im Sinne der Meritokratie entfalten kann.

Mit Blick auf den noch amtierenden Präsidenten Widodo und seine neueren „dynastischen“ Bestrebungen stellt sich uns hier abschließend allerdings die Frage: Verändert die Macht die Menschen, oder enthüllt sie nur, wer sie wirklich sind?

Der Gastbeitag von Viddy Ranawijaya und Teuku Harza Mauludi wurde in englischer Sprache verfasst und ist hier ins Deutsche übersetzt worden. Den Originalbeitrag finden Sie im Bulletin Blog der Willy Brandt School.

Für den Originalbeitrag klicken Sie bitte hier!

Kontakt:

Doktorand
(Willy Brandt School of Public Policy)