Gegen Gewalt an Frauen: Universität Erfurt zeigt Flagge!

Gastbeiträge
Frau vor einer Wand, auf der das Wort "No" steht

Anlässlich des Internationalen Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen werden jedes Jahr am 25. November zahlreiche Fassaden öffentlicher Gebäude orange angestrahlt. Das Datum bezieht sich auf die Ermordung der Schwestern Mirabal im Jahr 1960 durch Militärangehörige des damaligen Diktators Trujillo in der Dominikanischen Republik. 1981 wurde deshalb dieser Tag von lateinamerikanischen und karibischen Feministinnen zum Gedenktag ausgerufen und von den Vereinten Nationen aufgegriffen. Das strahlende Orange soll eine Zukunft ohne Gewalt gegen Frauen symbolisieren. Im Jahr 2022, 41 Jahre später, werden anstelle des energieverbrauchenden Anstrahlens von Gebäuden nun Fahnen gehisst. Auch an der Universität Erfurt. Dr. Anita Scheuermann, Postdoktorandin im Seminar für Religionswissenschaft an der Universität Erfurt, forscht zum Thema Gewalt gegen Frauen. Sie nimmt aus Anlass des Gedenktages für unseren Forschungsblog "WortMelder" den sogenannten Femizid, also die Tötung von Frauen (meist) durch ihre (Ex-)Männer als extremsten Ausgangs männlicher Gewalt gegen Frauen in den Blick und erklärt, warum der Gedenktag nach wie vor von Bedeutung ist...

Mit der orangefarbenen Flagge setzt die Uni Erfurt im November ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen.

Im Jahr 2020 wurden in Deutschland laut dem Bundeskriminalamt 139 Frauen durch den Partner oder Ex-Partner getötet. Durchschnittlich stirbt an jedem dritten Tag eine Frau durch männliche Gewalt. Solche und andere Tötungsdelikte an Frauen (auch außerhalb von Partnerschaften) werden in verschiedenen internationalen Kontexten als Femizid bzw. Feminizid benannt. Beide Begriffskonzepte benennen die genderbasierte Tötung von Frauen, beruhend auf einem fortwährenden hierarchischen Geschlechterverhältnis.

Die Morde an Frauen durch Männer aus ihrem sozialen Nahfeld werden von der Medienberichterstattung vielfach sensationalistisch dargestellt, der Fokus wird auf den Täter (und seine Herkunft) gelegt. So berichteten auch deutsche Medien wochenlang über die Ermordung eines österreichischen 13-jährigen Mädchens durch vier afghanische, teils minderjährige Asylwerber im Juli 2021 und der Spiegel betitelte einen Beitrag zur Ermordung von Rebeccah Blum durch ihren Partner: „Wenn Männer denken, Frauen gehörten ihnen“.

Die öffentliche Aufmerksamkeit gegenüber Femiziden durch Partnergewalt – sogenannten Intim-Femiziden – sowie gegenüber den mit ihnen in Beziehung stehenden Weiterlebenden, ist zeitlich sehr begrenzt. Die medial erzählte Gewaltgeschichte bezieht sich meist auf den Tathergang und wird vielfach verharmlosend als „Familiendrama“, „Eifersuchtstragödie“, „Beziehungstat“ oder reißerisch als „Bluttat“ dargestellt. Allzuhäufig wird auf die individuelle Tat eingegangen, ohne auf genderbasierte Tötung von Frauen und Mädchen als Ausdruck eines strukturell-politischen Phänomens pandemischen Ausmaßes einzugehen. Auch wie sich nach der Tötung einer Frau das Weiterleben der Angehörigen gestaltet, bleibt meist von der Öffentlichkeit unbeleuchtet. Hier zeigt sich – anders als z.B. im Kontext von sogenannten „Amokläufen“, die auch Jahrzehnte nach der Tat im kollektiven Gedächtnis verankert werden – eine eklatante Asymmetrie zwischen dem globalen sozialen Phänomen des Femi(ni)zids, der traumatischen Erfahrung dieses geschlechtsbasierten Gewaltverbrechens bei den Weiterlebenden und dem nachhaltigen Bewusstsein in der Bevölkerung sowie einer öffentlichen bzw. sichtbaren Form des Erinnerns und Gedenkens.

Wie Judith Butler konstatiert, darf längst nicht jedes Gewaltverbrechen und jedes Opfer betrauert werden (Butler 2010). Abseits von Aktivismus und Protest, scheint es im deutschsprachigen Raum merklich still zu sein, wenn es um öffentliches Gedenken und Erinnerungskulturen an die vielen ermordeten Frauen geht, die Jahr für Jahr dieser genderbasierten Gewaltform zum Opfer fallen. Auch die Stimmen und Erfahrungen der Weiterlebenden eines Femizid-Opfers sind im öffentlichen Diskurs nahezu nicht vorhanden.

Übrigens:

Dr. Anita Scheuermann wurde am Internationalen Graduiertenkolleg "Resonanz" der Karl-Franzens-Universität Graz und dem Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt promoviert. Sie möchte ihre Forschung zum Thema "Gewalt gegen Frauen" an der Uni Erfurt weiter fortsetzen. Aktuell plant sie - unterstützt vom Max-Weber-Kolleg und einem Stipendium im "Thüringer Programm zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchskünstlerinnen" -  das Forschungsprojekt „Gewalt-Geschlecht-Gedächtnis. Zum postmortalen Umgang von Frauen als Opfer femizidaler Gewalt“. Es soll sich dieser Thematik annehmen und u.a. mittels Interviews Formen der Subjektivierung sowie des Erinnerns an durch männliche Gewalt getötete Frauen herausarbeiten. Ferner wird es die Frage stellen, welche Bedeutung Formen des Erinnerns an getötete Frauen für die Weiterlebenden nach solch einer Gewalttat im eigenen Umfeld, aber auch in der Gesellschaft haben.

Autorin:

Anita Scheuermann
Dr. Anita Scheuermann
Research Fellow „Thüringer Programm zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchskünstlerinnen“
(Philosophische Fakultät)
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