Für die Adelshandbücher und Lexika des 19. und 20. Jahrhunderts wird der GOTHA die Blaupause.“ Dr. Petra Weigel
Napoleon hat ihn zensiert, trotz seiner begrenzten Käufergruppe – die gut zurecht kam mit der kleinen und eng gesetzten Schrift (aka Augenpulver!) – konnte er sich fast 200 Jahre behaupten. Und bis heute gilt er als wichtiger Vorreiter vieler medialer Produkte des 19. und 20. Jahrhunderts: der Gothaische Hofkalender, der GOTHA, ist das wichtigste Adelslexikon Europas.
Im Rahmen des 1250-jährigen Jubiläums der Stadt Gotha hat die Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt dem berühmten Adelskalender unter dem Titel „ADEL MACHT STAAT“ erstmals eine Ausstellung gewidmet. Warum der GOTHA trotz seiner Strahlkraft bisher kaum erforscht wurde, wie er sich so lange am Buchmarkt halten konnte und wie es gelingt, aus 700 wenig erschlossenen Bänden, die im Archiv zusammen über 20 Meter fassen, eine anregende und höchst informative Ausstellung zu konzipieren, besprechen wir in dieser Folge mit den beiden Kurator*innen Dr. Petra Weigel, Abteilungsleiterin der Sammlung Perthes, und Sven Ballenthin, Mitarbeiter der Sammlung Perthes.
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Dem GOTHA gelingt es, sich Zeit seines Erscheinens in großer Wandelbarkeit zu präsentieren.“ Sven Ballenthin
Adelskalender erscheinen jährlich im Format eines Taschenbuchs in verschiedenen Ausgaben und sind typische Zeugnisse der Buch- und Verlagskultur des 18. Jahrhunderts. Als sich das Herzogtum Gotha im 18. Jahrhundert zu einem überregional bekannten Verlagsort entwickelte, erschienen dort die ersten Kalender. Mit dem Vertrieb des GOTHA gründete sich der berühmte Justus Perthes Verlag Gotha, der heute vor allem durch seine hochwertigen Atlanten und Karten bekannt ist. Dennoch ist der GOTHA das am längsten verlegte Produkt des Verlags.
Die zunächst sehr begrenzte Zielgruppe eines adeligen Adressat*innenkreises erweitert sich zunehmend. Mit der Zeit ließen sich auch immer mehr Teile eines bürgerlichen Publikums von den Texten „zum Nutzen und Vergnügen“ im Gothaischen Hofkalender bzw. Almanach de Gotha unterhalten und informieren. Auch hier ist der frühe Gothaische Hofkalender mit seinen vielfältigen Texten, Kupferstichen und Zeichnungen Vorbild für zahlreiche später erscheinende Medien wie etwa Reisejournale, Illustrierte und Modezeitschriften.
Der GOTHA stieg zum bedeutendsten genealogischen Standardwerk des europäischen Adels auf und wurde zum einflussreichen Handbuch der Staaten der Welt. Gelungen ist das durch seine große Kontinuität (jährliche Veröffentlichung), seine redaktionelle Genauigkeit (penibel recherchierte Verwandtschaftsverhältnisse mussten überprüft werden) und seine hohe Anpassungsfähigkeit an moderne Entwicklungen und zeitgenössische politische Strömungen. Erst jüngst wurde der GOTHA selbst Gegenstand eines Forschungsprojekts der Universität Hamburg, die den Hofkalender als wichtigstes genealogisches Kompendium der Moderne untersucht, um Abstammungsbeziehungen und die Verwandtschaftsstrukturen der Adelsschichten besser nachvollziehen zu können und deren Familiengeschichten zu erforschen. Erste Ergebnisse dieser Forschung finden sich ebenfalls in der Jahresausstellung der Forschungsbibliothek Gotha wieder.
Gefragt nach einem ihrer Lieblingsausstellungsstücke präsentierte Dr. Petra Weigel auf einem Originalschreibtisch aus dem frühen 20. Jahrhundert diese Darstellung der Arbeitsteilung und Jahresplanung der Redaktion, die für den Gothaischen Hofkalender zuständig war. Wann wurden welche Adelsschichten angeschrieben und um Korrektur der Einträge des Vorjahres gebeten, wann werden diese dann eingetragen und überprüft, wann findet das Korrekturlesen statt, wann der Druck.
Sven Ballenthin hob einen außergewöhnlichen ‚Leserbrief‘ hervor, der im November 1867 die Redaktion des Gothaischen Hofkalenders erreichte und an den Verlag Justus Perthes gerichtet war. Darin bat der Buchhändler Carl Muquardt um die Streichung sämtlicher Informationen zum Tod von Kaiser Maximilian, der fernab seiner Ehefrau, Prinzessin Charlotte von Belgien, umgebracht wurde. Diese, bereits in einem schlechten gesundheitlichen Zustand, sollte geschont und ihr die Todesmeldung ihres Mannes mithilfe einer zensierten Extra-Ausgabe des GOTHA verheimlicht werden.
Dr. Petra Weigel ist Abteilungsleiterin der Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt für die Sammlung Perthes. Zuvor arbeitete sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Thüringische Landesgeschichte und Mittelalterliche Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena und war Lehrbeauftragte am Historischen Institut. In ihrer Promotion hat sie sich mit der Geschichte des Franziskanerordens im Spätmittelalter auseinandergesetzt. Weigel ist Mitglied der Historischen Kommission für Thüringen.
Sven Ballenthin arbeitet ebenfalls an der Forschungsbibliothek Gotha und betreut das Archiv der Sammlung Perthes und damit verbundene Projekte. Davor war er Mitarbeiter an der Professur für Neuere Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Der Gothaische Hofkalender zählt zu seinen Forschungsinteressen.