Nachgefragt: "Wie hat die Sendung mit der Maus in fünf Jahrzehnten die mediale Wissensvermittlung für Kinder geprägt, Herr Prof. Jöckel?"

Gastbeiträge
Kika-Figuren Maus und Elefant in Erfurt

Vor 50 Jahren, am 7. März 1971, flimmerten zum ersten Mal die Lach- und Sachgeschichten der "Sendung mit der Maus" über die deutschen Bildschirme. Seitdem haben Millionen Kinder und Erwachsene, ganze Generationen, mit der Maus und dem Elefanten gelernt, gelacht, gestaunt. Dass Fernsehen auch bilden kann, das war damals ein ganz neues Konzept. Bis heute hat es sich bewährt und neben all den neuen Formaten ist die Maus bis heute nicht mehr aus Wohn- und Kinderzimmern weltweit wegzudenken. Wir gratulieren zum Geburtstag und haben aus diesem Anlass bei Sven Jöckel, Inhaber der Professur für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendmedien an der Uni Erfurt, nachgefragt: "Wie hat die Sendung mit der Maus in fünf Jahrzehnten die mediale Wissensvermittlung für Kinder geprägt, Herr Prof. Jöckel?"

„Alles Gute zum Geburtstag, Maus! 生日快乐,老鼠! – Das war Mandarin! Für die meisten zwischen 1968 und heute Geborenen dürfte diese kleine Begrüßung schon viele positive Erinnerung wecken. Wir erinnern uns daran, wie wir zum ersten Mal den fremden Lauten anderer Sprachen gelauscht haben, wie wir erfahren haben, wie man eine Bratpfanne herstellt, wie eine Kartoffelerntemaschine funktioniert oder was ein Schornsteinfeger* so macht. Auch bildlich wird uns vermutlich sofort die Maus mit ihren klimpernden Augen einfallen und der kleine, blaue Elefant mit seinem typischen Tröten. Wir werden an Armin und Christoph denken, vielleicht aber auch an Eckhart von Hirschhausen – und die Kinder unter uns an André und Clarissa.

Die 'Sendung mit der Maus' ist 50 Jahre alt geworden und hat das deutsche Kinderfernsehen nachhaltig verändert. Um zu sehen wie sehr, lohnt sich ein Blick zurück in die 1960er-Jahre als das deutsche Fernsehprogramm noch ausschließlich von den Programmen der ARD und dem neu aufgekommenen ZDF geprägt war. Nicht nur in Deutschland dominierte dabei eine paternalistische, bewahrpädagogische Einstellung. Eine Vorreiterrolle spielte dabei die britische BBC, die unter der Leitung von (Sir) John Reith öffentlich-rechtliches Fernsehen klar auf moralische Prinzipien ausrichtete: Fernsehen sollte bilden und erziehen, durfte dabei durchaus unterhalten (aber bitte wohldosiert), orientierte sich aber ganz klar an den Werten der Mittelklasse – strebsam, brav, konservativ. Für jüngere Kinder war Fernsehen nach Sicht der Programmverantwortlichen, aber auch der damaligen Forscher*innen, schlicht nicht geeignet, ihm wurde sogar eine moralisch korrumpierende Wirkung unterstellt. So galt bis weit in die 1960er-Jahre die Maxime, dass kein Fernsehprogramm für unter Achtjährige ausgestrahlt werden sollte. Erst Ende der 1960er-Jahre erlebte das Kinderfernsehen einen Boom und Bildungsformate wie 'Die Sendung mit der Maus' aber auch die, von der Forschung damals eng begleitete, Sesamstraße (1969) brachte die Ansicht ins Wanken, dass Fernsehen für Kinder nur schnöde Ablenkung sei und sie vom 'richtigen, wahren' Leben entfremde.

Wie revolutionär muss sich damals, Mitte der 1960er-Jahre, also ein junger Redakteur mit dem Namen Gert K. Müntefering vorgekommen sein, als er begann, beim WDR eine eigene Programmsparte zum Kinderfernsehen aufzubauen. Wenige Jahre später, 1971, schlug er eine Sendung vor, die sich bewusst an Kleinkinder richtete, und die Maus begann Form anzunehmen. Das Besondere an dieser Sendung war sicher, dass neben Cartoons und Puppeninhalten – das Sandmännchen, jener West-Ostdeutsche Klassenkämpfer flimmerte damals immerhin seit mehr als zehn Jahren über die Bildschirme – auch informative Realfilme zur Sendung gehörten, bei denen Kinder teilhatten an der Welt der Erwachsenen, dass es Lach- und Sachgeschichten gab.

In 50 Jahren Maus haben Kinder (und durchaus wir Erwachsene) durch die Maus etwas gelernt: von A wie Aalfang (1985) bis Z wie Zölliakie (2014). Aber wir haben auch mit und über die Maus (und den Elefanten) gelacht. Die 'Sendung mit der Maus' war schon immer das, was wir heute Entertainment Education nennen – die Verschmelzung von Bildung und Unterhaltung, sodass beides nicht mehr voneinander zu trennen ist. Die Maus hat nicht nur unser Interesse an Technik, Naturwissenschaft, an der Berufswelt der Erwachsenen, an anderen Menschen und Kulturen geweckt, die Maus hat auch die heiklen Themen angepackt. 2012 war es z.B. das Thema Tod, das die Maus auf – wie immer – kindgerechte Art und Weise und damit äußerst sensibel in die Familien gebracht hat. Wir vertrauen dabei auf die Maus, dass sie auch solche Themen angemessen vermitteln kann, denn was die Maus heute ist, wird gern mit dem Begriff der Elternmarke charakterisiert.

Die Maus ist eine Marke geworden, sie spielt im Abendprogramm und ist daneben als Stofftier bis hin zum Videospiel in den Haushalten präsent. Die Maus ist Teil einer kommerzialisierten Kindheit geworden und steht im Kinderzimmerregal neben Prinzessin Lillifee, Bob dem Baumeister, Elsa (aus Frozen) und (den anscheinend immer noch aktuellen) Pokémon-Figuren. Die Maus ist dabei aber eine Medienmarke, die ihren Vertrauensvorschuss schon bei den Eltern erworben hat. Wir erinnern uns an sie aus unserer eigenen Kindheit, vertrauen ihr deshalb und geben diese positiven Erinnerungen gern an unsere Kinder weiter. Dort wird die Maus dann wieder zur Kindermarke – und der Kreislauf wiederholt sich. Mittlerweile sind verschiedene Eltern-Kind-Generation mit der Maus groß geworden, doch das funktioniert nur, wenn die Maus sich auch entsprechend weiterentwickelt, wenn die Maus nicht nur immer neue Markenableger schafft oder integriert (Der kleine Eisbär, Peppa Wutz, etc.), sondern sich auch weiterhin aktuellen Themen widmet und vor allem, wenn die Maus (noch) bunter wird. Die Maus von Armin, Christoph und Ralph war eine Männer-Maus, wie die Medienforscherin Maya Götz aufzeigt. Die aktuelle Maus u.a. mit Siham, Laura und Jana wird den Weg gehen, den die Maus schon von Anfang an gegangen ist, die tradierten Strukturen des Kinderfernsehens aufbrechen und Kindern zeigen, wie spannend, aufregend und bunt ihre eigene Lebenswelt ist. Auf weitere 50 Jahre Maus (und natürlich Elefant, wie konnte ich dich nur vergessen!).“

*Eine Sendung über eine Schornsteinfegerin gibt es bislang noch nicht.

Inhaber der Professur für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendmedien
(Philosophische Fakultät)
C18 - Lehrgebäude 4 / Raum 217