Nachgefragt: „Wie entstanden eigentlich Darstellungen für medizinische Karten, Herr Mörike?“

Corona und die Folgen , Gastbeiträge
Forscher studieren eine Landkarte in der Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt

Täglich sind wir aktuell damit konfrontiert – im Fernsehen, im Internet, in der Zeitung: Kreisdiagramme in Ländergrenzen, die uns die Fallzahlen für Coronainfektionen anzeigen. Doch wie entstanden eigentlich die Darstellungen für medizinische Karten? Wie wurden Statistik und topografische Informationen für die Medizin für die Beschreibung von Krankheiten nutzbar gemacht? „WortMelder“ hat bei Tobias Mörike, Promovend und assoziertes Mitglied am Forschungszentrum Gotha der Uni Erfurt, nachgefragt…

„Als im 19. Jahrhundert die Cholera, von Indien ausgehend verbreitet wurde, entstanden auch Karten um die Ausbreitung der Krankheit anzuzeigen. Zwei Entwürfe für medizinische Karten gehen auf Gothaer Kartografen zurück: Heinrich Berghaus schuf 1845 ein Planiglob zur Übersicht der geographischen Verbreitung der vornehmsten Krankheiten, denen der Mensch auf der ganzen Erde ausgesetzt ist und verortete in einer zeitlichen Abfolge die Ausbrüche der Cholera auf der Welt. Einen wichtigen Beitrag zur Darstellung der Cholera in Verbindung mit Statistik schuf August Petermann, der 1856 die Leitung des Perthes Verlag Gotha übernahm und mit Karten von Entdeckungsreisen, die Kartografie in Deutschland revolutionierte.

Petermann entwarf 1848, als zu einem erneuten Ausbruch der Cholera in London kam die Cholera map of the British Isles. Für die Karte werte er alle Berichte eines früheren Ausbruchs von 1831 aus, der allein in London 5.000 Tote gefordert hatte. Petermann lebte zu dieser Zeit in London. Für die Karte kombinierte Bevölkerungszahlen, geografische Angaben und die Sterbezahlen und konnte zeigen, dass die Krankheit zunächst in Hafenstätten ausbrach und in dicht bevölkerten Vierteln in niedriger Lage besonders viele Opfer forderte- Petermanns Modell war einer der ersten Versuche einer Punktkarte. Er stellt die Todeszahlen im Verhältnis zur Bevölkerung durch sich abdunkelnde Punkte dar. Als eine der ersten thematischen Karten, setzte sie Diagramme und ein topografisches Bild der britischen Inseln mit einem Stadtplan von London zusammen. Als Petermann die Karte erstellte, war noch nicht klar, wie und warum die Cholera ausbrach. Noch 1851 machte der österreichische Arzt Franz Pruner in Ägypten, die „eigentümliche Konstitution der Luftatmosphäre“ als Ursache aus und behauptete, dass die Cholera nicht ansteckend sei. Petermann wollte einen Beitrag zur Diskussion leisten und leistete mit der Karte einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Cholera. Sie diente als Anregung für den Arzt John Snow, der die Ursachen der Krankheiten erkannte und die moderne Gesundheitsfürsorge begründete. Erst 1883 identifizierte Robert Koch, das die Krankheit auslösende Bakterium.“

Hintergrund Sammlung Perthes Gotha
Die Sammlung Perthes vereint die historischen Überlieferungen dreier Wissenschaftsverlage – des Verlages Justus Perthes Gotha, der Geografischen Verlagsanstalt Justus Perthes Darmstadt und des VEB Hermann Haack Geographisch-Kartografische Anstalt Gotha. Als einziges auf dem europäischen Kontinent erhaltenes Kartenverlagsarchiv enthält sie einzigartiges Quellenmaterial zur Entwicklung der Kartografie und Geografie im 19. und 20. Jahrhundert. In der Geschlossenheit und Verflechtung ihrer Bestände dokumentiert die Sammlung die letzte Phase des Entdeckungszeitalters, während der das Innere der nichteuropäischen Kontinente und die Polargebiete erforscht wurden. Die bei Perthes verlegten Karten, Atlanten und Zeitschriften, allen voran „Stielers Handatlas“ und „Petermanns Geographische Mitteilungen“, prägten bis weit in das 20. Jahrhundert hinein das wissenschaftliche Bild der Erde und popularisierten es für eine breite Öffentlichkeit. Genealogisch-statistische Publikationen bildeten den zweiten Schwerpunkt des Verlagsprofils, insbesondere der „Almanach de Gotha“/„Gothaische Hofkalender“ als das maßgebliche biographische Lexikon des europäischen Adels. Die Sammlung Perthes wurde vom Freistaat Thüringen 2003 mit Ubterstützung der Kulturstiftung der Länder erworben und in die Forschungsbibliothek Gotha integriert.