Namaste, welcome, herzlich willkommen, Juhi Tyagi!

Vorgestellt
Dr. Juhi Tyagi

Das Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt hat am 5. September 2017 seine neuen COFUND-Fellows begrüßt – unter ihnen auch die indische Soziologin Dr. Juhi Tyagi. „WortMelder“ hat mit ihr gesprochen und sie gebeten, ein erstes Resümee zu ziehen.

Dr. Tyagi, erzählen Sie uns doch bitte zunächst, wie Ihr Weg in die wissenschaftliche Forschung aussah.
Er ist etwas anders gewesen als der der meisten Menschen. Ich komme aus Südindien und hatte nach meiner Schulausbildung entschieden, erst einmal in den Dörfern der Regionen von Bihar und Kashmir zu arbeiten. Damals wollte ich zuallererst Entwicklungsarbeit leisten. Aber nach fünf Jahren bemerkte ich, dass ich keine analytischen Werkzeuge zur Verfügung hatte, um das, was ich erlebte, auch zu verstehen. Erst dann habe ich mich entschieden, eine Magisterarbeit und eine Dissertation zu schreiben. Ich wollte meine Erlebnisse in den Dörfern, in denen ich gearbeitet hatte, besser verstehen lernen. Besonders interessierte mich die Frage, wie die lokalen Widerstandsbewegungen in diesen Dörfern entstanden sind, und wie sie sich selbst am Leben erhielten. Es hat mich überrascht, dass die bewaffneten Bauernbewegungen, die von der Regierung massiv unterdrückt worden waren, weiterhin Unterstützung in den Dörfern fanden. Einige von ihnen agieren dort seit mehr als 50 Jahren. Wie war es möglich, fragte ich mich, dass diese Untergrundbewegungen entstanden und für eine solche lange Zeit überleben konnten.

Ist das auch die Frage, an der Sie am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt arbeiten?
Ja, die Bauernbewegungen sind die Grundlage für meine Forschungen hier in Erfurt. Aber ich werde auch untersuchen, was diese bewaffneten Gruppen eigentlich erreicht haben. Zu diesem Zweck werde ich zwei indische Regionen vergleichen: eine, in der es keine radikale Bauernbewegungen gegeben hat, und eine, in der es solche gibt. Vergleichen werde ich auch die Lebensbedingungen der Landarbeiter in diesen Gegenden und versuchen herauszufinden, ob sich die Umstände aufgrund der Widerstandsbewegungen verbessert haben und ob man tatsächlich einer klare Verbindungslinie zwischen lokalen Bauernaufständen und Verbesserung der Lebensbedingungen ziehen kann.

Gibt es denn schon erste Forschungsergebnisse?
Die meiste Arbeit im Feld ist bereits erledigt. Ich habe sie in Verbindung mit dem ICAS-Projekt, das ebenfalls am Max-Weber-Kolleg beheimatet ist, bereits getan. Und natürlich habe ich schon über diese Themen nachgedacht und reflektiert. Mein erstes Gefühl ist, dass die bewaffneten Bauernbewegungen in einer der Regionen zur politischen Bildung beigetragen haben. Das führte dann zu einer Organisation der Arbeiter, die sich zusammentaten, um für bessere Löhne einzutreten. Ich denke, dass die höheren Löhne in dieser Region nicht nur mit den Gesetzen der Wirtschaft zu tun haben, sondern auch mit der aktiven Einflussnahme der Arbeiterbewegung in diesen Gebieten. Ich werde nun versuchen, weitere Hinweise darauf zu finden, dass diese Vermutung richtig ist.

Wie wird die Zeit am Max-Weber-Kolleg zum Erfolg Ihres Forschungsprojekts beitragen?
Bei mir persönlich war es immer so, dass die Feldarbeit als Soziologin eine Zeit des Sammelns ist. Alles, was ich finden konnte und beobachtet habe, habe ich gesammelt und kategorisiert, ohne über eine Analyse nachzudenken. Dann bin ich wieder ins Feld gegangen und habe weiter gesammelt. Bin ich aber an einer Universität, wie zum Beispiel an der Universität Erfurt, bin ich in der Lage, die gefundenen Daten zu analysieren und eine Theorie zu entwickeln. Meine Zeit in  Erfurt ist deshalb eine Zeit des Reflektierens und Schreibens. Dabei helfen mir die Diskussionen am Max-Weber-Kolleg, vor allem die Diskussionen mit Kollegen, die ebenfalls in Indien arbeiten oder sich für Themen wie politische Strukturen interessieren. Hier lerne ich, meiner eigenen Positionen und Theorien zu verteidigen und sie im Feld der Soziologie und in einem interdisziplinären Kontext einzuordnen. Als ich mich hier beworben habe, kannte ich schon einige der Forscher am Max-Weber-Kolleg. Ich hatte schon mit Martin Fuchs im ICAS-Projekt zusammengearbeitet und hatte persönliche Verbindungen zu Antje Linkenbach-Fuchs und Andreas Pettenkofer. Mit ihnen arbeite ich auch weiterhin zusammen.

Wie sieht Ihr Tag als ein COFUND-Fellow aus?
Normalerweise gehe ich am Morgen joggen. Dann besuche ich entweder einen Deutsch-Kurs oder gehe direkt zu meinem Büro. Die Zeit im Büro strukturiert meine Arbeit, die Pausen und Gespräche mit den Kollegen im Gebäude bereichern sie.

Gibt es in Erfurt einen Ort, an dem Sie ganz besonders gern sind?
Ich mag die Natur, die Parks, die Flüsse und die kleinen Straßen, in denen ich oft spazierengehe. Andererseits war Erfurt für mich auch eine Überraschung. Ich habe festgestellt, dass diese Stadt nur wenig Diversität aufweist. Mit meiner Hautfarbe steche ich heraus, und nicht alle meine Erlebnisse waren angenehmer Natur. Dass die Hautfarbe ein solches Problem sein kann, habe ich vorher noch nie erlebt, weder in Indien noch in New York City, wo ich studiert habe. Mein Ziel ist es also, in dieser Stadt aktiv zu werden. Ich interessiere mich dafür, mit Geflüchteten zu arbeiten. Wegen meiner persönlichen Erlebnisse hier und weil ich Soziologen bin, möchte ich gern herausfinden, warum manche Leute so eine Angst vor dem Anderen entwickelt haben. Ich hatte schon Kontakt mit Gewerkschaftsvertretern und würde gerne bei ihren Programmen für Geflüchtete mitarbeiten.

Die Teilhabe an der Gesellschaft ist auch Teil des COFUND-Programms…
Ja, und ich hoffe, dass ich zu dieser Diskussion innerhalb der deutschen Gesellschaft beitragen kann, indem ich Vorlesung halte und über meine Erlebnisse spreche. Auch als Soziologin, die zu Macht und Struktur in Indien, in den USA und hier geforscht hat, kann ich, so glaube ich, ein Beitrag leisten.

Haben Sie schon Pläne für ihre Zeit nach Erfurt?
Ich fühle mich immer etwas zerrissen zwischen der Arbeit im Feld und der akademischen Arbeit. Im Moment denke ich, dass die Forschungswelt meine Zukunft sein wird. Aber letztlich bin ich nicht sicher, wohin ich gehen werde. Meine Grundausbildung habe ich in Indien genossen, ich habe meinen Doktortitel an der State University of New York erhalten, jetzt bin ich hier. Mein Partner und mein Hund aber leben immer noch im Himalaja. All diese Überlegungen und besonders mein Partner werden ein Einfluss darauf haben, wohin mich die Zukunft führen wird. Ich glaube, dass ich eigentlich überall arbeiten kann. Ich habe meine Dissertation in einem Dorf im Himalaja geschrieben, das absolut isoliert war, und hatte nur einen Computer und einen Kindle zur Verfügung, die mich mit der Außenwelt verbunden haben.

Hintergrund "COFUND International Fellowship Programme"
Das MWK-Fellows COFUND International Fellowship Programme wählt jedes Jahr eine Gruppe von erfahrenen Forschern aus und lädt diese an das Max-Weber-Kolleg nach Erfurt ein. Das Programm wird von der Europäischen Union kofinanziert.

Max-Weber-Kolleg