Die Erzählform der Science-Fiction nutzen, um wirtschaftliche Risikoentscheidungen in einem fiktiven Umfeld zu analysieren? Genau, sagt Prof. Dr. Tobias F. Rötheli, bis zu seinem Ruhestand Professor für Markroökonomie an der Universität Erfurt. Er stellt die These auf, dass Science-Fiction als methodischer Zugang eine innovative Perspektive eröffnet. In seinem narrativen Experiment verortet er ökonomische Phänomene auf dem Planeten Neptuna-58. In dieser Welt werden wirtschaftliche Grundprobleme wie Wachstum, Stabilität und Ressourcennutzung durch konkrete Szenarien und handelnde Akteure erfahrbar gemacht. Nachzulesen in seinem neuesten wissenschaftlichen Beitrag „Worlds of Risk: Science Fiction Economics“, der soeben in den Theoretical Economics Letters erschienen ist…
Science-Fiction als methodischer Zugang – diese Herangehensweise erlaubt Denkexperimente in greifbaren Zusammenhängen zu verankern. Das erleichtert wesentlich das Verständnis komplexer Mechanismen. Bei dieser Herangehensweise stehen nicht die in der ökonomischen Wissenschaft üblichen mathematischen Darstellungen im Vordergrund. Vielmehr werden konkrete Entscheidungsprobleme durch plausible Szenarien sichtbar und erfahrbar. So wird wirtschaftliches Verhalten nicht nur erläutert, sondern auch erlebbar gemacht. Komplexe ökonomische Analysen werden so analytisch rigoros und didaktisch wirkungsvoll. Es ist somit eine Alternative zur oft trockenen Sprache der akademischen Ökonomie.
Wie man bei der Lektüre rasch merkt, sind die beschriebenen Grundmechanismen die gleichen, die uns auch hier auf der Erde bewegen. Diese Prozesse werden wesentlich geprägt durch Umweltbedingungen und das Streben nach Erträgen in Form von Nahrung, Energie und geförderten Ressourcen. Studierende und ökonomische Laien erhalten beim Lesen ein tieferes Verständnis dafür, wie wirtschaftliches Risiko entsteht und wie es beeinflusst werden kann. Die hypothetische Umgebung einer fremden Welt ermöglicht es, Zusammenhänge zu erklären und Konsequenzen unterschiedlicher Verhaltensweisen zu verdeutlichen. Im Gegensatz zu realen Wirtschaftssystemen, die von unzähligen, oft unkontrollierbaren Variablen beeinflusst werden, können in der Science-Fiction-Welt spezifische Parameter variiert und deren Auswirkungen isoliert betrachtet werden. Mit der Analyse von drei verschiedenen Produktionsformen auf dem fiktiven Planeten Neptuna-58 erfährt man so Wichtiges zu den folgenden Themen:
1. Individuelle Entscheidungen und kollektive Folgen: Hier wird gezeigt, wie risikovermeidende und risikofreudige Akteure in ihrem Streben nach Existenzsicherung über Phasen von Wohlstand und Krise bestimmen.
2. Abwägung von Wachstum und Stabilität: Die Bedrohung durch unvorhersehbare Sonnenstürme verdeutlicht die grundlegende Herausforderung, ein Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichem Wachstum und der Widerstandsfähigkeit gegenüber externen Schocks zu finden. So wird das Konzept des Konjunkturzyklus und damit die Notwendigkeit der Abwägung zwischen Wachstum und Stabilität nachvollziehbar.
3. Herausforderungen der Ressourcenextraktion: Die Untersuchung einfacher, intelligenter und optimaler Extraktionsstrategien im Kontext begrenzter Ressourcen verdeutlicht, wie schnell Unsicherheit das Treffen richtiger Entscheidungen erschwert.
Die Akteure der Erzählung sind dabei zunächst Eisfischer, die mit ihrer gewählten Position auf dem See darüber entscheiden, wieviel sie fangen und wie hoch das Risiko des Einbrechens der Eisdecke wird. Weiter beschreibt der Text die Sammler von geladenen Teilchen (Energie), die Kollektortürme unterschiedlicher Höhe und Form bauen können. Letztlich erfahren wir von den Herausforderungen für Erzsucher, welche ungewisse geologische Verhältnisse stellen.
Jedes der drei Beispiele illustriert, wie rationale Risikoanalyse aussehen kann. Dazu wird auch die wirtschaftspolitische Debatte zur top-down Kontrolle von Wirtschaftsprozessen thematisiert. Auf Neptuna-58 konzentriert sich der „staatliche“ Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen auf Empfehlungen einer zentralisierten Stelle für Analysen. Diese „Central Analysis Unit“ stellt Informationen zur Verbesserung der Entscheidungsfindung bereit. Damit wird eine zentrale Position der sogenannten Verhaltensökonomie klar, die viele ökonomische Fehlentwicklungen auf die begrenzte Rationalität der Akteure zurückführt.
Insgesamt macht der Beitrag „Worlds of Risk“ deutlich, dass die Verbindung von Science-Fiction und Ökonomie nicht nur Denkanstöße liefert, sondern auch zu einem vertieften Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge führen kann. Dieser Zugang bietet neue Wege, ökonomisches Denken zugänglich, anschaulich und reflexiv zu gestalten.
Lesen Sie den gesamten Beitrag von Prof. Dr. Tobias F. Rötheli hier.