"Wie sag ich’s meinem Kind?" Wie Elternratgeber Gespräche mit Kindern über Krieg unterstützen – und wo ihre Grenzen liegen

Einblicke , Gastbeiträge
Porträt Prof. Dr. Ulf Sauerbrey

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 ist Krieg nicht nur verstärkt in den Nachrichten, sondern auch in den Kinderzimmern in Deutschland angekommen. Kinder stellen Fragen, äußern Ängste oder reagieren verunsichert – und viele Eltern stehen plötzlich vor der Herausforderung, auf solche Reaktionen sensibel und altersangemessen einzugehen. Wie spricht man mit einem Fünfjährigen über Bombenangriffe? Welche Worte sind angebracht, wenn die Zwölfjährige von Flucht und Zerstörung erzählt? Und wie vermeidet man dabei, Kinder zusätzlich zu beunruhigen oder Vorurteile zu fördern? Mit populären Antworten, die der deutschsprachige Ratgebermarkt auf diese Fragen anbietet, befasst sich ein Beitrag von Ulf Sauerbrey, Professor für "Kindheit und Jugend in digitalen Bildungswelten" an der Universität Erfurt, der kürzlich in der Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation erschienen ist. Die Besonderheit der Dokumentenanalyse: Sie untersucht nicht nur, welche Art von Rat Eltern in drei im Zuge des Ukrainekrieges erschienenen Ratgeberbüchern vermittelt wird und woher das vermittelte Wissen stammt, sondern schaut auch darauf, wie dieser Rat genutzt und bewertet wird – über Online-Rezensionen in großen Buchhandelsportalen. Erste Einblicke in seine Erkenntnisse gibt Ulf Sauerbrey hier in unserem “WortMelder”-Beitrag…

Elternratgeber: Zwischen Sachbuch, Appell und Anleitung

Alle drei untersuchten Bücher sind explizit für Eltern geschrieben, einige richten sich daneben auch an pädagogische Fachkräfte. Der Stil reicht dabei von sachlich-reflektierend bis hin zu stark meinungsbetont und instruktiv. Thematisch geht es in allen Ratgebern um grundlegende Fragen: Wie reagiere ich, wenn mein Kind mich fragt, warum Menschen Krieg führen? Soll ich Namen von Ländern nennen – oder lieber neutral bleiben? Wie begleite ich mein Kind durch seine Unsicherheiten, ohne es zu überfordern? Die Analyse zeigt: Die Bücher bedienen sich unterschiedlicher Formen von Wissen, um ihre Empfehlungen zu begründen. Während zwei Ratgeber auf professionelles Erfahrungswissen oder wissenschaftlich fundierte Theorien – v.a. aus der Psychologie – verweisen, arbeitet einer der Texte fast ausschließlich mit Alltagsmeinungen – und spart sich jegliche Quellenangaben. In diesem Fall kommt es teils sogar zu Plagiaten aus der Publikumspresse. Solche Unterschiede wirken sich spürbar auf die Qualität der enthaltenen Ratschläge aus und werfen Fragen nach der erforderlichen Expertise von Ratgeberautor*innen auf.

Was Eltern geraten wird – und wie

Inhaltlich lassen sich in den Ratgebern mehrere wiederkehrende Kategorien von Elternrat identifizieren:
Gesprächsführung und kindliche Fragen: Wie soll ich antworten, wenn mein Kind fragt, warum der Krieg stattfindet? Während ein Ratgeber konkrete Antworten in vorformulierten Sätzen liefert, empfehlen die anderen eher, mit Gegenfragen herauszufinden, was genau das Kind eigentlich wissen will. Die Devise: lieber zuhören, nachfragen und gemeinsam ins Gespräch kommen – statt vorschnell zu erklären.

Zur Frage der Parteilichkeit: Hier gehen die Empfehlungen deutlich auseinander. Ein Ratgeber betont, Kinder bräuchten Parteilichkeit, weil sie ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl haben – etwa durch klare Aussagen, wer angreift und wer sich verteidigt. Ein anderer rät hingegen davon ab, Ländernamen überhaupt zu nennen, um keine Stereotype zu fördern. Diese Differenz spiegelt auch einen pädagogischen Grundkonflikt: Schutz vor Vereinfachung versus politische Bildung.

Sicherheit und Geborgenheit: Alle drei Bücher betonen die Bedeutung emotionaler Stabilität. Eltern wird geraten, zunächst mit den eigenen Ängsten zurechtzukommen, bevor sie mit Kindern über das Thema sprechen. Rituale, Ablenkung durch Familienaktivitäten oder einfach der Fortbestand des gewohnten Alltags sollen helfen, Sicherheit zu vermitteln. Ein Ratgeber hebt besonders hervor, wie wichtig vertrauensvolle Bindungen und der achtsame Umgang mit kindlichen Gefühlen sind.

Krieg spielen – verbieten oder zulassen? Ein Thema, das nur in einem der Ratgeber ausführlich behandelt wird: das kindliche Spiel mit Kriegsszenarien. Statt Verbote auszusprechen, empfiehlt dieser Autor, genau hinzuschauen, was die Kinder im Spiel beschäftigt – und diese Situationen als Einstieg für Gespräche zu nutzen. Natürlich mit klaren Regeln: Gewalt oder Angst unter Kindern dürfen dabei nicht entstehen.

Mediennutzung im digitalen Zeitalter: Ein weiterer zentraler Punkt betrifft die elterliche Begleitung im Umgang mit Medien. Alle Bücher empfehlen, Medienkonsum altersgerecht zu gestalten – und für Kinder zum Thema Krieg ggf. verständliche Formate wie die Sendung mit der Maus oder logo! zu nutzen. Besonders ein Ratgeber betont darüber hinaus die Bedeutung, dass auch Erwachsene bewusst mit Informationen umgehen. Denn: Eltern, die selbst Panik verbreiten oder wahllos Nachrichten – insbesondere über Social Media – konsumieren, übertragen diese Unsicherheit oft auf ihre Kinder.

Welcher Rat wird eigentlich wie angenommen?

Eine Besonderheit der Studie ist der Blick auf die “andere Seite”: Wie reagieren Eltern auf den vermittelten Rat? Dazu wurden 19 Online-Rezensionen zu den Büchern ausgewertet, die allerdings mit etwas Vorsicht zu behandeln sind, da die Umstände ihrer Produktion auch werbender Natur sein können. Die Bewertungen erscheinen überwiegend positiv – insbesondere bei den beiden inhaltlich und fachlich fundierteren Ratgebern. Häufig betonen Rezensent*innen, dass ihnen die Bücher geholfen hätten, eigene Ängste zu reflektieren, besser mit ihren Kindern ins Gespräch zu kommen oder altersgerechte Antworten zu finden. Besonders geschätzt werden konkrete Beispiele, Anleitungen und strukturierte Hinweise für verschiedene Altersgruppen.
Interessant ist auch: Manche Leser*innen scheinen die Ratgeber gar nicht in erster Linie als Eltern zu nutzen, sondern teils im professionellen pädagogischen Kontext etwa als Lehrkräfte oder Praktikant*innen in Kitas. Ein Rezensent lobt etwa, wie hilfreich es sei, dass ein schwieriges Thema mit Anregungen “handhabbar” gemacht werde. Allerdings zeigen sich auch kritische Stimmen: Ein Buch wird für fehlende Tiefe kritisiert, ein anderes dafür, dass die Ratschläge zu allgemein bleiben.

Zwischen Ratgeben und Ratnehmen – was bleibt?

Die Studie zeigt im Ergebnis jedoch auch deutlich: Ratgeberliteratur zum Thema Krieg ist inhaltlich und formal teils sehr unterschiedlich ausgestaltet. Doch sie wird gelesen, bewertet und wohl auch in vielen Fällen aktiv genutzt; nicht nur zur direkten Gesprächsführung mit Kindern, sondern auch zur Selbstreflexion. Eltern scheinen Rat möglicherweise nicht nur zu suchen, sondern ihn auch im Alltag in pädagogisches Handeln im Umgang mit Kindern umzusetzen – ein Thema, das auf der Rezeptionsseite künftig weiter beforscht werden muss. Gleichzeitig wirft die Analyse auch grundlegende Fragen auf: Wer sollte in populärer Literatur eigentlich Rat geben – und auf welcher Wissensgrundlage? Wissenschaftliches Wissen selbst, sagt noch nicht aus, was getan werden sollte – das heißt: Selbst wenn ein Rat sich auf Wissenschaft stützt, handelt es sich bereits um eine Transformation von Wissen in Handlungsappelle! Wie findet dieser Prozess in Elternratgebern statt? 

Zudem: In einem kommerziellen Buchmarkt erscheinen auch Werke weitgehend ohne Qualitätskontrolle – im Grunde ist das sogar die Regel. Dies kann vor allem dann problematisch sein, wenn Eltern sich auf vermeintliche “Expert*innenmeinungen” verlassen, die kaum eine fachliche Basis haben. Und gerade hier wird die Verantwortung von Wissenschaft deutlich: Erziehungswissenschaft, Psychologie und Soziologie sind gefragt, wenn es darum geht, Orientierung in Krisenzeiten zu bieten – und dies gut begründet, differenziert und niedrigschwellig zugänglich.

Ein weiteres Ergebnis der Studie: In Ratgebern finden sich oft starke Zuschreibungen gegenüber Kindern – etwa Aussagen darüber, was “Kinder wollen”, “Kinder brauchen” oder wie “Kinder fühlen”. Diese Aussagen werden selten belegt, prägen aber möglicherweise ein Bild von Kindern, das die Bücher Eltern gegenüber vermitteln. Auch hier ist die Forschung künftig stärker gefordert: Welche Vorstellungen vom vermeintlichen oder tatsächlichen “Wesen des Kindes”, aber auch von “guten Eltern” und “richtigen Erziehungspraktiken” werden eigentlich in solchen Texten transportiert?

(Ulf Sauerbrey)