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Prof. Dr. Julia Knop
Prof. Dr. Julia Knop

Vom 30.9. bis zum 2.10.2021 fand die zweite Vollversammlung des Synodalen Wegs in den Messe-Hallen in Frankfurt/Main statt. Eigentlich hätte es schon die letzte Vollversammlung sein sollen. Doch aufgrund der Corona-Pandemie war es zuvor nicht möglich, 230 Synodale zuzüglich Berater:innen, Gästen und Presse in Präsenz zusammenzubringen. Es wurden kleinere und digitale Formate gewählt. So blieb man im Gespräch und die Sacharbeit ging weiter. Die vier Foren arbeiten seit Beginn der Pandemie ohnehin weitgehend digital.

Insgesamt 16 Texte (eine Präambel und ein theologischer Orientierungstext, Grundlagentexte aus drei der vier Foren und elf Konkretionen) sind zwischenzeitlich entstanden und der Synodalversammlung in erster Lesung vorgelegt worden. Dank einer engagierten und disziplinierten Debatte konnten zwölf davon an den zwei Sitzungstagen beraten werden; Texte und Abstimmungsergebnisse sind öffentlich zugänglich. [1] Alle Texte fanden Mehrheiten von drei Viertel bis vier Fünftel der rund 200 anwesenden Synodal:innen. Das war ein deutliches Signal: Die Richtung stimmt. So wollen wir gemeinsam vorangehen. In dieser Spur erwarten wir, Bischöfe und Gläubige, echte Erneuerung. Dafür stehen wir ein.

Erneuerung meint Aufbruch und Umkehr, einen Kulturwandel und Paradigmenwechsel. Ein Kulturwandel wäre es beispielsweise, wenn, wie im Grundlagentext [2] und verschiedenen Konkretionen des Forums I Macht und Gewaltenteilung in der Kirche formuliert, kirchliche Machtverhältnisse, die bisher amtlich-hierarchisch organisiert sind, grundsätzlich partizipativ gestaltet und Synodalität auf Dauer gestellt wird. Wenn sich Bischöfe, Domkapitel und leitende Pfarrer an Beschlüsse binden, die in den entsprechenden Gremien gemeinsam gefasst worden sind. Wenn die Gläubigen bei der Bestellung eines neuen Bischofs beteiligt werden. Weitere Konkretionen liegen schon vor, konnten in Frankfurt jedoch noch nicht ausführlich beraten werden. Sie sehen vor, dass Kontrolle und Rechenschaftslege auf Leitungsebene, bisher nur „nach oben“ vorgesehen, künftig auch gegenüber den Gläubigen erfolgen sollen. Dass das Vertrauensverhältnis zwischen Bischof und Diözese, Pfarrer und Gemeinde beizeiten erfragt werden kann. Das stärkt in guten Tagen den Zusammenhalt. In schlechten Zeiten, wenn Vertrauen nachhaltig zerrüttet sein sollte, schafft es verlässliche Prozeduren, Konflikte zu bearbeiten und mit Rücktrittsforderungen umzugehen.

Texte können einen Kulturwandel nur anbahnen. Bewähren muss sich das im wirklichen Leben. Da sind alle Katholik:innen gefragt, besonders aber die Diözesanbischöfe. Denn in der geltenden Rechtsordnung sind sie diejenigen, die Absichtserklärungen verbindlich in Recht und Praxis übersetzen können. An ihrem Willen, umzusetzen, was beim Synodalen Weg kommunikativ vorweggenommen wird, hängt am Ende die Wirksamkeit des ganzen Prozesses.

Auch deshalb wurde in Frankfurt der Wunsch geäußert, die Abstimmungsverhältnisse in der Gruppe der Bischöfe offenzulegen. Denn eine Minderheit von 24 bischöflichen Synodalen – gut 10% der Versammlung – könnte mit ihrem „Nein“ den gesamten Prozess scheitern lassen. Da eine nach Stand differenzierte Abstimmung laut Satzung jedoch erst für die zweite Lesung der Texte vorgesehen ist, wurde dieser Antrag abgewiesen. Umso wichtiger werden in den kommenden Monaten deutlich hörbare Signale der Bischöfe werden, den synodalen Weg nach Kräften zu unterstützen. Zu groß sind Ent-Täuschung und Frust der Gläubigen, namentlich derer, die sich in frühere Gesprächsprozesse eingebracht haben, die erlebten, dass das Gespräch letztlich folgenlos blieb und man statt auf nachhaltige Reformen auf eine Beruhigung der Gemüter gesetzt hatte. Entsprechend große Aufmerksamkeit fand in Frankfurt die Mahnung des offiziellen Beobachters aus der Schweiz, Daniel Kosch, kirchliche Erneuerung nicht zu spiritualisieren: „Ein synodaler Stil ohne synodale Strukturen und Prozesse fällt auf die Ebene der Rhetorik herab.“ [3]

Dass man nicht auf den Sankt Nimmerleinstag warten muss, um Reformen umzusetzen, wurde in Frankfurt am Beispiel von Segnungsfeiern für homosexuelle Paare thematisiert, die die Glaubenskongregation im Frühjahr rundheraus abgewiesen hatte. Tausende Gläubige und Seelsorger:innen hatten sich gegen diese Weisung aus Rom ausgesprochen. Vielerorts wurden am 10.5.2021 Segnungsgottesdienste gefeiert. Einige Bischöfe und Generalvikare hatten öffentlich erklärt, Seelsorger:innen, die sich dabei engagierten, nicht abzumahnen. Dies könnte, so der Vorschlag einer jungen Synodalin, jeder Bischof schon morgen offiziell zur Regel machen: dass seelsorgliches und liturgisches Engagement sowie Zugehörigkeit zur LGBTI+ Community keine negativen (dienstrechtlichen) Konsequenzen in der Kirche mehr nach sich ziehen.

An diesem Beispiel könnte der Beginn eines ernstgemeinten Kulturwandels deutlich werden. Das theologische Fundament dazu entwickelt der Grundlagentext des Forums IV Leben in gelingenden Beziehungen. [4] Worum geht es? Laut Katechismus ist bisher sexuelle Intimität an die Ehe und Offenheit für Kinder gebunden. Alles andere – jegliche hetero- oder homosexuelle Liebesbeziehung ohne eheliche Bindung und ohne Offenheit für Kinder – sei moralisch verwerflich, sogar inhuman. Das überzeugt viele schon lange nicht mehr. Gläubige und Expert:innen der Theologie und Humanwissenschaften fordern seit Langem eine Korrektur dieser Lehre. Denn nicht die Biologie (die Zeugungsfähigkeit eines heterosexuellen Paares), sondern die Beziehung (die Liebesfähigkeit der Personen) ist entscheidend. Das gilt unabhängig von der geschlechtlichen Identität und Orientierung der Partner:innen. Was zählt, ist die menschliche Würde und sexuelle Integrität jedes:jeder einzelnen, auch wenn traditionelle Muster von Mannsein und Frausein nicht zu allen passen. Das ist keine „Gender-Ideologie“, sondern Maßnehmen an der Wirklichkeit und Verletzlichkeit menschlichen Lebens. Dafür ist es höchste Zeit.

Sich mit solchen „Fragen im Kontext der Geschlechtergerechtigkeit auseinanderzusetzen, tangiert Fragen der Macht und rührt an Tabus im weltkirchlichen Kontext“, heißt es auch im Handlungstext „Argumente Weltkirche“ [5] des Forums III Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche. Mit ihrer breiten Zustimmung zu diesem Text sprechen sich die Synodal:innen dafür aus, die Debatte um die „lehramtlichen Entscheidungen über die Frage der Dienste und Ämter von Frauen“, die Johannes Paul II. 1994 formal beendet hat, weltkirchlich wieder zu eröffnen und dabei die kulturellen Entwicklungen und theologischen Erkenntnisse der vergangenen Jahrzehnte zu würdigen. Der von der polnischen Bischofskonferenz entsandte Beobachter Grzegorz Chojnacki stellte ausdrücklich diese Arbeiten des Forums III heraus, um zu zeigen, wie bedeutsam die hiesigen Debatten für die Weltkirche werden können. [6]

Beim Synodalen Weg in Deutschland, konkret im Grundlagentext des Forums I, geht es weder darum, die Kirche „mithilfe eines gelehrten theologischen Theoriegebäudes gewissermaßen neu zu erfinden“ (Walter Kasper), noch darum, das sakramentale Selbstverständnis der katholischen Kirche infrage zu stellen. Genau an diesem Selbstverständnis nehmen die Texte vielmehr Maß. Doch Sakramentalität kann, zumal angesichts vielfacher, systemisch begünstigter Schuld und ihrer Vertuschung auf Kirchenleitungsebene, nicht einfach behauptet werden, sie muss sich bewähren. Sonst verkündet das „Zeichen“ Kirche nicht Gottes Herrschaft und wirkt nicht heilvoll im Leben der Menschen. Damit, was dies für das Leben der Priester und die Theologie des sakramentalen Amtes bedeutet, beschäftigt sich der Grundlagentext des Forums II Priesterliche Existenz heute [7]. Auch er wurde, versehen mit einigen Aufgaben zur Weiterarbeit, in erster Lesung angenommen. Dass „ein ganz großer Teil [der Synodal:innen] die Priester für entbehrlich“ (Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz) erklärt habe, stimmt schlichtweg nicht. Es ging in mehreren abgestimmten Änderungsanträgen nicht um die Abschaffung des Amtes, wie medienwirksam lanciert wurde, sondern um seine vertiefte theologische Begründung. Dass das Priestertum in der Krise ist und viele Priester zutiefst verunsichert sind, eine solche Vergewisserung also dringend nottut, dürften auch diejenigen nicht bestreiten, die den Synodalen Weg mit aller Macht zum Stehen bringen wollen.

Wer sich ernsthaft mit den Texten und Debatten des Synodalen Wegs beschäftigt, kann leicht erkennen, wie wenig belastbar solche Versuche sind, den Prozess im Ganzen zu desavouieren und seine Arbeit zu diskreditieren. Kirchenpolitisch wirksam sind sie natürlich trotzdem. Das Schreckgespenst eines „deutschen Sonderwegs“ oder, ökumenisch prekär, einer „Protestantisierung“ des deutschen Katholizismus, rührt an Jahrhunderte alte empfindliche Triggerpunkte, zumindest wenn man es an die richtigen Wände malt. Doch ein nationaler Sonderweg ist der Synodale Weg schon deshalb nicht, weil die Probleme, die hier bearbeitet werden, keine spezifisch deutschen sind.

Das wird Studie um Studie neu deutlich. Klerikalismus und Machtmissbrauch, jahrzehntelang und zigtausendfach verübte spirituelle und sexualisierte Gewalt, Homophobie und eine tabu- und verbotsbesetzte Sexualmoral, ein nicht wirklich geklärtes Verhältnis zu Grundrechten und Demokratie, männerbündisches Verhalten und strukturell verankerte Frauendiskriminierung gibt es in der katholischen Kirche wohl aller Herren Länder. Die Aufgabe, einen echten Kulturwandel und Paradigmenwechsel zu initiieren, auf dass Kinder, Jugendliche und (Ordens-) Frauen besser geschützt werden und mehr Gerechtigkeit und Humanität in der Kirche Einzug nehmen, stellt sich beileibe nicht nur in Deutschland. Die Ressourcen, diese Aufgabe strukturiert und qualitätsvoll anzugehen, sind hier aber in besonderem Maß gegeben. Auch deshalb ist das internationale Interesse am Synodalen Weg in Deutschland so groß. Théo Péporté, offizieller Beobachter aus Luxemburg, brachte dies im Nachgang der zweiten Synodalversammlung so auf den Punkt:

„Dieser Prozess ist sehr spannend und absolut notwendig. … Ich bin der Meinung, dass der Synodale Weg durchaus Modellcharakter für die Gesamtkirche hat. Wir können viel von der Beteiligung der Laien in Deutschland lernen und ich hoffe sehr, dass die Überlegungen, die hier gemacht wurden, auch in den weltweiten Prozess einfließen werden. Auf jeden Fall werde ich … den guten und disziplinierten Umgang mitnehmen, mit dem hier diskutiert wurde.“ [8]

Julia Knop ist Professorin für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät. Sie ist Mitglied der Synodalversammlung und des Forums I „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag“ des Synodalen Wegs, der seit 2019 gemeinsam von DBK und ZDK verantwortet wird.

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