"So ein Auslandssemester ist eine Wahnsinnschance."

International
Jasmin in der Türkei

Ein Auslandsaufenthalt ist eine feine Sache. Man kann eine fremde Sprache vertiefen, bekommt Einblicke in eine andere Kultur, knüpft neue Kontakte, erweitert seinen Horizont und nebenbei macht es sich im Lebenslauf auch immer gut. Mehr als 100 Studierende der Uni Erfurt wagen diesen Schritt alljährlich. Wir haben Jasmin, die bei uns an der Staatswissenschaftlichen Fakultät Sozialwissenschaften und Internationale Beziehungen studiert, einige Fragen zu ihrem Auslandsaufenthalt an der Bilkent University in Ankara (Türkei) gestellt.

nazar boncuk

Wo warst du und für welchen Zeitraum?
Ich habe an der Bilkent Universität in Ankara studiert. Das Wintersemester beginnt hier Mitte September und endet Mitte Januar.

Warum hast du dich für dein Gastland entschieden?
Schon als Kind bin ich oft zum Urlaub machen in die Türkei gereist, deshalb ist mir das Land nicht ganz unbekannt. Abgesehen von den kulturellen Aspekten, die für die Türkei sprechen, hat mich natürlich auch die politische Situation des Landes interessiert – und wie kann man sich besser darüber informieren als in der Hauptstadt selbst? Da meine Gastuniversität zudem für Studierende der Internationalen Beziehungen wirklich ein unglaublich gutes Lehrangebot hat, war die Entscheidung am Ende sehr einfach für mich.

Ist es einfach, mit Einheimischen in Kontakt zu kommen? 
Das ist tatsächlich etwas schwierig zu beantworten. Da mein Türkisch fast fließend ist, hatte ich keine Probleme mich auf Reisen, im Supermarkt oder in einer Bar mit Einheimischen zu unterhalten. Allerdings sprechen die wenigstens der älteren Generationen Englisch, deshalb ist es nicht ganz einfach, sich in nicht-touristischen Gegenden zu verständigen.

Während des Semesters fühlt man sich teilweise vom Rest des Landes etwas abgeschottet: In Bilkent spricht jeder Englisch (es ist auch die Unterrichtssprache) und die Tatsache, dass die Uni eine gute halbe Stunde von der Innenstadt entfernt und höher gelegen ist, trägt deutlich dazu bei. Man gewöhnt sich aber super schnell daran, etwas isolierter zu sein, und um ehrlich zu sein, ist das gerade auch der Charme dieser Uni.

Welche Erwartungen hattest du an deine Zeit im Ausland und wurden sie erfüllt? 
Mir ging es vor allen Dingen darum, Kurse zu besuchen, die in Erfurt so nicht angeboten werden, sowie neue, internationale Bekanntschaften zu schließen und natürlich zu reisen. All diese Punkte konnte ich zum Glück auch erfüllen. Akademisch ist Bilkent zwar sehr anspruchsvoll, jedoch zahlt sich das am Ende wirklich aus – die Kurse sind sehr spannend und interaktiv gestaltet und ich habe in einer kurzen Zeit wirklich viel neuen Input bekommen.

Mein Freundeskreis hat sich um viele Nationalitäten erweitert. Am Wochenende saß ich regelmäßig mit meinen Freunden aus Pakistan, Jordanien, Tadschikistan und Aserbaidschan am Tisch. Zusammen sind wir auch an einigen Wochenenden gereist. In meiner Auslandszeit bin ich zudem einer Internationalen Hochschulgruppe beigetreten und hatte die Gelegenheit, mich ausgiebig mit anderen Studierenden auszutauschen.

Was war die größte Herausforderung?
Als Studierender hier schreibt man pro Kurs mindestens zwei Klausuren – ein Midterm und ein Final. Für viele meiner Kurse musste ich zudem noch weitere Leistungen erbringen – mehrere Hausarbeiten und Tests waren keine Seltenheit. Der "workload" ist zwar mehr über das Semester verteilt, aber im Vergleich zur Erfurter Uni deutlich größer. Das ist eigentlich die einzige Herausforderung in diesem Sinne, die mir hier begegnet ist.

Bitte vervollständige: Das Beste an meinem Gastland sind….
das Essen.

Was aus Deutschland vermisst du bisher am meisten?
Abgesehen von Freunden und Familie fehlte mir tatsächlich etwas super Banales: deutsches Brot. Obwohl, wie oben schon erwähnt, das Essen hier echt fantastisch ist, vermisste ich das gute Sonntagsbrötchen oder eine Vollkornschnitte zum Frühstück.

Und was wirst du von dort vermissen, nun, wo du wieder zurück bist?
Das Leben auf dem Campus! Ich habe mich total an das Dormleben gewöhnt. Ich teilte mir hier das Zimmer mit einer türkischen Studentin und wir lebten in einem vierstöckigen Komplex. Jedes Stockwerk ist in ein Männer- und Frauenabteil getrennt und hat seine eigene Gemeinschaftsküche sowie Badezimmer. Der Flur, den sowohl Männer als auch Frauen benutzen, ist sowohl zum Lernen als auch zum Zusammensitzen geeignet. Es ist immer irgendetwas los und man trifft wirklich zu jeder Tages- und Nachtzeit jemanden, mit dem man noch auf einen Cay ins Bilka gehen kann. Bilka ist ein Café auf dem Campus, ganz in der Nähe der ganzen Wohnanlagen. Und es hat 24 Stunden offen. Hier habe ich, glaube ich, die meiste Zeit verbracht. Egal ob morgens vor der ersten Stunde oder nach der Party – es ist wirklich immer voll, laut und irgendwie gemütlich.

Was war deine beste Erfahrung oder dein schönstes Erlebnis?
Mein schönstes Erlebnis war vermutlich die Reise nach Izmir. Wir waren eine Gruppe von vier Leuten, die relativ spontan für ein Wochenende dorthin geflogen sind. Und eigentlich haben wir gar nichts Besonderes gemacht, aber es war einfach die Tatsache, dass man gerade mit den engsten Freunden am Meer sitzt, den Sonnenuntergang anguckt und einfach mal aus Ankara rausgekommen ist. Wir haben die Tage damit verbracht, uns „durch die Gassen zu essen“ und lustige Fotos zu schießen. Total einfach, aber auch einfach schön.

Wie hast du die Adventszeit in deinem Land erlebt? 
Weihnachten ist hier quasi an mir vorbeigeflogen. Da wir alle im Klausurstress waren und in der Türkei Weihnachten ja auch nicht gefeiert wird, habe ich diese Zeit kaum wahrgenommen – nur die Einkaufszentren waren extrem geschmückt. Ich saß an Heiligabend mit Freunden zusammen, wir haben Essen bestellt und Gesellschaftsspiele gespielt.

Gibt es etwas im Studium oder täglichen Leben, das sich grundlegend von deinem Alltag in Erfurt unterscheidet? Falls ja, was und hat es dich überrascht?
Der größte Unterschied zwischen meinem Erfurter und meinem jetzigen Studentenleben ist, dass ich mir hier viel mehr Gedanken darum machen musste, wann, was und wo ich esse. Da es hier nur eine Gemeinschaftsküche im Dorm gibt und die eher weniger zum Selbstkochen einlädt, ist etwas zu bestellen oftmals die „Notlösung“. Mittags habe ich eigentlich immer in der Mensa gegessen – etwas, was ich in Erfurt auch viel seltener mache. Frühstück holte ich im Bilka Café, obwohl ich normalerweise immer Frühstück zu Hause vorziehen würde. Ich finde, dass in der Türkei essen zu gehen auch viel mehr eine soziale Aktivität ist – man verabredet sich in der Gruppe und irgendwann wird das eben zur Routine. Das ist tatsächlich nicht nur bei uns Erasmus-Leuten so, sondern ein generelles Phänomen unter den Studierenden in Bilkent. 

Was würdest du anderen empfehlen, die sich für einen Auslandsaufenthalt entscheiden?
Informiere dich gut über deine Universität und die Stadt! Interessieren dich die angebotenen Kurse? Kannst du dir vorstellen, mehrere Monate in dieser Stadt zu wohnen? Dann passen schon einmal die Rahmenbedingungen – deinen Kreis wirst du da sowieso schnell finden, keine Angst! 

Aber das Allerwichtigste, egal wie chlichéhaft das klingen mag: Hör auf dein Bauchgefühl. So ein Auslandssemester ist eine Wahnsinnschance, den eigenen Horizont zu erweitern – ganz egal, wohin es dich verschlägt!

Abbildungen: Porträt Jasmin (oben), Kappadokien, hier die sogenannten „nazar boncuk“, blaue, augenförmigen Amulette, welche gemäß dem Volksglauben den „Bösen Blick“ abwenden sollen. (unten)