Stadt und wissenschaftliches Umfeld: Passt! Jens-Uwe Hartmann ist der erste Distinguished Fellow am Max-Weber-Kolleg

Vorgestellt
Prof. Dr. Hartmann in Stanford

Professor Jens-Uwe Hartmann – Indologe und Buddhismus-Experte – dachte eigentlich, er habe in nahezu 40 Jahren wissenschaftlicher Laufbahn schon fast alles untersucht, was es zum Buddhismus zu untersuchen gäbe. Er lehrte und forschte in Göttingen, Berlin und München, war Gastprofessor oder Fellow in Oslo, Paris, Tokyo, Stanford und Berkeley, ist Mitglied in der Bayerischen und Österreichischen Akademie der Wissenschaften und leitete über die Jahre zahlreiche Forschungsprojekte zum Thema buddhistische Literatur. Vor Kurzem verabschiedete er sich vom universitären Alltagsrummel und ging in den Ruhestand. Doch ein Forschergeist steht mit dieser Formalie im Lebenslauf natürlich nicht plötzlich still. Auf Vorschlag eines hiesigen Kollegen wurde er im Oktober 2020 der erste sogenannte „Distinguished Fellow“ am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt – und da waren sie wieder: die neuen Forschungsimpulse, die neuen fruchtbaren Kontakte, die neuen Ideen und wissenschaftlichen Fragestellungen. Vielleicht ist ja doch noch nicht alles gesagt...

Im Rahmen des Distinguished Fellowship-Programms des Max-Weber-Kollegs für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt (MWK) können exzellente und erfahrene Forscherinnen und Forscher mit einem Stipendium an einem fortgeschrittenen Studienprogramm des MWK teilnehmen und von dessen Forschungsinfrastruktur profitieren. In regelmäßigen Kolloquien können sie sich mit Experten und (Nachwuchs-)Wissenschaftler*innen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen und aus verschiedenen Teilen der Erde austauschen, gemeinsam Ideen entwickeln oder neue Perspektiven einnehmen. Genau darauf hatte sich Jens-Uwe Hartmann gefreut, als er im Oktober 2020 sein Fellowship antrat, hat ihm der Ruhestand doch endlich genug Zeit für solche Dinge gegeben. „Am Max-Weber-Kolleg gibt es einige Kollegen und Kolleginnen, die sich ebenfalls mit dem Bereich Südasien beschäftigen, und mich reizte die unmittelbare Kommunikation über ganz unterschiedliche Forschungsthemen“, sagt der Wissenschaftler. Hartmann forscht zum frühen Buddhismus zwischen 300 v. Chr. und 500 n. Chr. und damit zu einem Buddhismus, der als Asketenreligion begann, begründet von Aussteigern aus der Gesellschaft, die in der Wildnis ihren religiösen Zielen nachgehen und ihr Leben der Suche nach Erlösung widmen wollten. „Heute gibt es große buddhistische Klöster und prunkvolle Tempel, das sieht gar nicht mehr nach Asketenbewegung aus“, stellt der Experte fest. „Wie ist es dazu gekommen? Buddhistische Mönche dürfen ja nicht arbeiten und müssen für ihren Lebensunterhalt betteln, da gibt es in den abgeschiedenen Dörfern aber nicht viel zu holen. Und dort gibt es auch weder Expertise noch Geld für den Bau ihrer Tempel und Klöster. Sie mussten dafür also irgendwie wieder den Weg in die Stadt finden, auch wenn sie dort selbst nicht leben dürfen. Die zentrale Frage ist demnach, wie das Schiff in die Flasche kommt“, sagt Hartmann lachend. Mit der Frage, wie der Buddhismus den Weg in die Sesshaftigkeit schaffte, eröffnete sich ein neuer Forschungsansatz für ihn, in dem er untersucht, wie die Beziehung des Buddhismus‘ zum städtischen Raum eigentlich aussieht. Und mit dieser Forschungsfrage war er am Max-Weber-Kolleg goldrichtig. Denn hier ist die Kollegforschungsgruppe „Religion and Urbanity: Recipocal Formations“ ansässig, deren Untersuchungsgegenstand die Wechselbeziehung von Urbanität und Religion ist. „Das ist ein unheimlich anregender Rahmen für meine Forschung. Hier gibt es Kolleginnen und Kollegen, die das in Bezug auf andere Religionen untersuchen oder die den Buddhismus aus anderer Perspektive wie beispielsweise der Archäologie erforschen. Der Kontakt zu diesen Leuten hat mich auf ganz neue Fragen gebracht und mir neue Ideen gegeben. Das war sehr fruchtbar und anregend für mich. Der Buddhismus ist ja schon ein sehr stark erforschter Bereich und dennoch habe ich so viel dazu gelernt im vergangenen Jahr.“ Somit haben sich zum Glück auch seine anfänglichen Bedenken zerstreut, was Corona wohl aus seinem Forschungsaufenthalt machen wird, denn den Charme eines Kollegs mache für ihn schließlich eine gelebte Gesprächskultur aus. „Natürlich gibt es digitale Lösungen, um sich trotzdem zu treffen, aber alles läuft sehr ritualisiert ab, niemand spricht mehr durcheinander und auch das Zusammensitzen mit einzelnen Kollegen nach einer Veranstaltung, um das Gespräch zu vertiefen, fehlt. Aber die digitalen Medien eröffnen auch neue Wege, die man nur intelligent nutzen muss.“ Und so haben der Professor und seine Kolleg*innen das Beste aus der Zeit gemacht, trotzdem gemeinsam Texte gelesen, sich in digitalen Räumen zum Austausch getroffen und möglichst häufig das persönliche Gespräch gesucht, wenn es die pandemische Lage zuließ.

Bis Ende September kann er das als Fellow noch auskosten. Was danach für ihn bleibt, sei schon jetzt klar: ein gewaltiger Mehrwert für seine Forschung. „Ich habe auf meine alten Tage jedenfalls nicht das Gefühl, stehen geblieben zu sein“, lacht Hartmann. Und abgesehen davon, mit dem Max-Weber-Kolleg an einer Einrichtung mit internationalem Profil geforscht zu haben, auf die „andere Universitäten ganz neidisch schauen“, hatte er auch noch die Gelegenheit, endlich einmal Erfurt näher kennenzulernen. Die Stadt kannte er zuvor nämlich nur von einem kurzen Tagungsbesuch. „Erfurts Charme und Schönheit erschloss sich mir aber erst jetzt“, so der Münchner. „Es ist nicht zu groß und hat einen herrlichen kompakten Altstadtkern, der den Krieg und die DDR-Zeit ‚überlebt‘ hat. Das Spannendste ist für mich aber die Dichte der Kirchen – eine religiöse Präsenz, die wie eingefroren in einen Zustand vor der Neuzeit wirkt. Das finde ich sehr eindrucksvoll. Kurzum: Das wissenschaftliche Umfeld und die Stadt werden mich mit Sicherheit auch nach meiner Zeit als Distinguished Fellow wieder anlocken!“