Papst Franziskus – Was bleibt?

Einblicke , Gastbeiträge
Papst mit Bibel

Am Ostersonntag sprach er noch den Segen „Urbi et Orbi“ – es war der letzte Auftritt des Oberhaupts der katholischen Kirche: Am Ostermontag, 21. April, ist Papst Franziskus im Alter von 88 Jahren verstorben. In unserem Forschungsblog “WortMelder” sprechen der Erfurter Liturgiewissenschaftler Prof. Dr. Benedikt Kranemann, die Moraltheologin Prof. Dr. Katharina Klöcker, Prof. Dr. Jörg Seiler, Inhaber der Professur für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, und die Kirchenrechtlerin Prof. Dr. Myriam Wijlens aus ihrer jeweiligen fachlichen Perspektive darüber, was bleibt von Papst Franziskus: Was hat er verändert, was hat er angestoßen und was blieb offen? 

Prof. Dr. Benedikt Kranemann

War der verstorbene Papst an einer Erneuerung der Liturgie interessiert? Immerhin ist das kein Nebenschauplatz kirchlichen Lebens. Als „Papst vom anderen Ende der Welt“ hat man den am Ostermontag verstorbenen Bischof von Rom tituliert. Seine Herkunft mag dazu beigetragen haben, dass Franziskus mehr Sensibilität für die unterschiedlichen Kulturen der Welt mitgebracht hat, als sie seinen Vorgängern gegeben war. Das hatte durchaus Konsequenzen für den Gottesdienst, die keineswegs zu unterschätzen sind. Franziskus war offen für die Begegnung römischer Liturgie mit unterschiedlichen Kulturen. Eine starre Einheitsliturgie war nicht seine Sache, weil er aufgrund seiner südamerikanischen Herkunft wusste, wie notwendig vielfältig sich katholische Liturgie gestalten muss, damit sie wirklich eine Glaubensfeier der Menschen in ihrer Zeit sein kann. 

Im Umfeld der Amazoniensynode 2019, also der Kirchenversammlung für das Amazonas-Gebiet, hat Franziskus im Apostolischen Schreiben Querida Amazonia als Anliegen genannt, „in der Liturgie viele Elemente der intensiven Naturerfahrung der Indigenen aufzugreifen und eigene Ausdrucksformen in den Liedern, Tänzen, Riten, Gesten und Symbolen anzuregen.“ Das war für ihn nicht Folklore, war auch nicht kirchenpolitischen Winkelzügen geschuldet. Es trieb ihn um aufgrund eigener Erfahrungen und theologischer Reflexion. Er wäre nicht Franziskus gewesen, wenn er nicht ohne Umschweife auf Defizite hingewiesen hätte, die die katholische Kirche auch Jahrzehnte nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil auf diesem Feld längst noch nicht behoben hat. 

Vieles bei Franziskus, der es seiner eigenen Kirche nicht immer bequem machte, ist Programm und Ankündigung geblieben. Hier wurde es konkret. Ein Austausch hat begonnen, auf dessen Basis ein amazonischer Ritus entstehen soll. Das ist ein großer Schritt für die Kirche vor Ort, aber auch eine Herausforderung für die Weltkirche insgesamt, über Wort und Gestalt der Liturgie neu nachzudenken. Franziskus hat Akzente gesetzt, auch für eine dezentrale Entwicklung der Kirche, die über sein Pontifikat hinaus für die Liturgie Herausforderung und Auftrag bleiben. Ist die Kirche mutig genug, ihm hier zu folgen?

Sehr ambivalent sind die Äußerungen dieses Papstes zu Segnungen u. a. von Gleichgeschlechtlichen gelesen worden, und dies mit Recht. Aber zugleich muss man zugestehen, dass sich mit Franziskus die Kirche neu für diese Menschen geöffnet und sie aus dem Graubereich der Kirche geholt hat. Bei allen Restriktionen und Vorbehalten, die es in der Kirche (wie in Teilen der Gesellschaft) immer noch gibt, hat sich in diesem Pontifikat auf diesem Gebiet viel getan – und dies trotz harscher Kritik aus Teilen der Weltkirche. Ein Film wie „Wie Gott uns schuf. Coming out in der katholischen Kirche“, öffentliche Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche Paare oder kircheninterne Arbeitshilfen für Segnungen von gleichgeschlechtlichen Paaren – wer hätte in den vorangegangenen Pontifikaten daran zu denken gewagt? Mit seinem oftmals direkten, häufig (sehr) spontanen Reden und Handeln konnte Franziskus dort etwas in Bewegung bringen, wo man jahrzehntelang Veränderung nicht erwartet hätte. Auch hier: Es sind Anfänge, es bleibt nun Aufgabe, das Begonnene weiterzuentwickeln. 

Gegen Klerikalismus und für mehr Laienpartizipation einzutreten, gehört ebenfalls zu den Merkmalen dieses Pontifikats. Franziskus hat mit bisweilen großer Schärfe öffentlich und u. a. gegenüber Kurialen innerkirchlichen Klerikalismus kritisiert, und man muss annehmen, dass das für ihn wirklich ein Gräuel war – auch und gerade in der Liturgie. 

Schließlich: Gründonnerstag 2025, wenige Tage vor seinem Tod, hat Franziskus das Regina-Coeli-Gefängnis besucht. In den vergangenen Jahren hatte er an diesem Tag immer wieder Gefängnisse besucht und mit den Menschen dort die Liturgie gefeiert – einschließlich der Fußwaschung, die er selbst vornahm. Liturgie und sozial-politisches Tun gehörten für ihn untrennbar zusammen. Auch der Gottesdienst sollte nah bei den Menschen sein. Das ist weiterhin Herausforderung für die Kirche und eine zu oft gegenwartsvergessene Liturgie. Bei vielem, was Franziskus begonnen hat, wird man abwarten müssen, ob ein Nachfolger bereit ist, sein Werk fortzusetzen. Der Appell für Entrechtete, für die Bewahrung der Schöpfung, für den Frieden bleibt – in allen Bereichen kirchlichen Lebens, auch der Liturgie. 

Prof. Dr. Myriam Wijlens

Ich habe Papst Franziskus wegen meiner Tätigkeit als Konsultorin und Mitglied im Koordinationsausschuss der Synode mehrfach persönlich getroffen. Auch durfte ich vor etwa einem Jahr zu einem bestimmten Thema die theologischen und kirchenrechtlichen Aspekte erklären. Mit meiner an meinem Lehrstuhl an der Universität Erfurt angesiedelte Forschungsgruppe "Peter and Paul Seminar" hatten wir intensiv an der Frage gearbeitet. Das war eine für mich sehr bewegende Sitzung, da einerseits die Forschung wirklich zum Tragen kam und es nun Papst Franziskus selbst war, der sehr aufmerksam zuhörte. Es hat mich gefreut, als er nach einem 45-minütigen Gespräch mit einem Lächeln im Gesicht zu mir sagte: "Sie denken sehr strukturiert und können es gut darlegen. Das hilft, Klarheit zu bekommen. Haben Sie vielen Dank."

In der letzten Zeit hat der Vatikan für Sitzungen immer ein Zimmer für mich in dem Haus, in dem er lebte, gebucht. Einmal als er mich sah, fragte er, welches Thema ich gerade bearbeiten würde. Zufällig war ich im Haus und saß mit einem Kardinal beisammen, um einen Kaffee zu trinken als der Papst aus dem Aufzug kam und sich in die Garage begab. Er war wohl auf dem Wege ins Krankenhaus. Wir waren beiden geschockt, denn er war sehr, sehr krank. 

Der Papst wird den Menschen in Erinnerung bleiben als ein Mann, der den Menschen, die in unserer Gesellschaft eher namenlos sind, ein Gesicht, einen Namen, gab: Migrant*innen, Kinder, Missbrauchsopfer, Obdachlose. Er hat Frauen in entscheidende Leitungspositionen im Vatikan ernannt und somit einerseits klar seine Gedanken zu dem Thema zum Ausdruck gebracht und andererseits Bischöfe implizit aufgefordert, dies auch in ihren Bistümern zu tun. Er hat Schritte getätigt und zugleich zugesehen, dass alle mitgenommen werden und keine Spaltungen entstehen. Mit ihm und durch die von ihm gehaltene Synode hat die Kirche sich von einer europäisch-zentrierten zu einer polyzentrischen Kirche geändert, in der vor allem im globalen Süden die Kirche – als Volk Gottes – zu einem handelnden Subjekt wurde. Die Relevanz der Kontextualität ist ins Visier gerückt. Das Ausmaß dieser Dimension kann man sich, wenn man nur Europa kennt, kaum vorstellen. Die Kräfte, die in anderen Teilen der Welt durch sein Wirken ans Licht gekommen sind, sind äußerst ermutigend.

Der Papst hat sein Amt angetreten, in dem er die Beziehung zwischen Papst und Volk Gottes umdrehte: Bei seinem allerersten Auftritt nach seiner Wahl bat er das Volk Gottes für ihn zu beten, bevor er dem Volk den Segen gab. Am letzten Tag seines Lebens begab er sich erneut zu diesem, dem ihm anvertrauten Volk Gottes und zwar erneut auf dem Petersplatz. Er sprach von Hoffnung der Auferstehung, spendete das Volk Gottes den Segen urbi et orbi und begab sich ein letztes Mal unter das Volk, dessen Hirten er bis zuletzt war. In Wort und Tat war er den Menschen nahe, bis zum Ende seines Lebens. Möge er in Frieden ruhen. 

Prof. Dr. Katharina Klöcker

Einen bewegenderen Beginn eines Pontifikats kann man sich wohl kaum ausmalen: Da tritt ein schüchtern wirkender, schlicht gekleideter Mensch auf den Balkon des Petersdoms, begrüßt die Wartenden mit einem herzlichen Buona sera und bittet sie darum, für ihn, den Bischof von Rom, zu beten. Dieser Beginn war verheißungsvoll, ich weiß noch, wie mich dieser erste Auftritt des neuen Papstes vom Ende der Welt zutiefst berührt, ja energetisiert hat. In der katholischen Kirche roch es plötzlich nach Aufbruch. Und lässt man jetzt die Bilder dieses Pontifikats Revue passieren, dann steht in aller Klarheit vor Augen, was für ein großer Menschenfreund dieser Papst war, wie unermüdlich bis zuletzt er die Nähe von Menschen suchte, sich von ihnen bewegen ließ, sie berührte. Nicht vergessen werde ich, wie eine Frau im Gefängnis, vor der er, der Papst, kniet, deren Füße er wäscht und küsst, um Fassung ringt und schließlich zu weinen anfängt. Franziskus hat seine Vision von einer Kirche, die an die Ränder geht und sich den Ausgestoßenen und Marginalisierten zuwendet, nicht nur gepredigt, er hat sie gelebt, verkörpert. Dabei wollte er kein Papst des erhobenen Zeigefingers sein, stattdessen fragte er: Wer bin ich, zu verurteilen? 

Dies hat allerdings auch Hoffnungen genährt, die nicht erfüllt wurden. Zweifellos gab es enttäuschende Momente. Es war für viele hierzulande ein Pontifikat der nicht leicht auszuhaltenden Ambivalenzen, insbesondere in der Sexualmoral, aber auch hinsichtlich der Frage, wie denn die katholische Kirche ohne die konsequente Gleichberechtigung von Frauen überhaupt Zukunft haben will. Dabei hat Franziskus selbst unter Beweis gestellt, dass sich kirchliche Lehre bewegen lassen und verändern muss, will sie ihrer Botschaft treu bleiben. So hat er im Jahr 2018 den Katechismus der katholischen Kirche geändert: Nun steht dort explizit, dass die Todesstrafe im Widerspruch zum Evangelium stehe, weil sie gegen die Unantastbarkeit und Würde der Person verstoße. Auch wenn ich mir noch mehr solcher entschiedener Schritte im Zeichen der Menschenwürde und Gleichheit aller Menschen gewünscht hätte, Franziskus hat Türen aufgestoßen. Nicht allein der nächste Papst, die katholische Kirche insgesamt steht am Ende dieses Pontifikats mehr denn je vor der Herausforderung, durch diese geöffneten Türen hindurchzugehen und in einer krisengeschüttelten Welt glaubwürdig und tatkräftig für die Botschaft des menschenfreundlichen Gottes Zeugnis abzulegen.

Prof. Dr. Jörg Seiler

Franziskus war ein einfältiger Papst. Nicht weil er theologisch ungebildet gewesen wäre, sondern weil er theologisch verständig war und für sich das adaptiert hatte, was seinen Namensgeber, den hl. Franz von Assisi, kennzeichnete: dass Christusnähe Nachfolge in Demut bedeutet. Was Thomas von Celano über den Heiligen der Toskana 1246/47 schrieb, gilt gleichermaßen für Papst Franziskus: „Die heilige Einfalt, die Tochter der Gnade, die Schwester der Weisheit, die Mutter der Gerechtigkeit erstrebte der Heilige [Franz von Assisi] mit besonders regem Eifer bei sich und liebte sie an anderen. Doch nicht jede Art von Einfalt fand seinen Beifall, sondern nur jene, die, mit ihrem Gott zufrieden, alles übrige gering achtet. Diese ist es, […] die lieber handeln als lernen oder lehren will […]“ (Thomas von Celano, 2. Lebensbeschreibung des Franziskus, Kap. 142).

Papst Franziskus ging es um richtiges Handeln aus Liebe, um der Gerechtigkeit Gottes willen (Orthopraxie) und nicht um korrekt formulierte, Wahrheit beanspruchende Kirchenlehre und um theologische Spitzfindigkeit – diese Orthodoxie überließ er anderen. Er stellte sie nicht in Frage, er ließ sie moderat nur weiterentwickeln (am entschiedensten in der Ablehnung der Todesstrafe), schuf einige Rechtsordnungen an der Kurie neu (eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber Frauen) und blieb in vielem anderen unentschieden. Ansonsten gewiss ähnlich viele und mehr oder weniger bedeutende Leitungsentscheidungen wie andere Päpste auch. Synodalität? Abwarten. Seine Lehrschreiben faszinieren angesichts ihrer schlichten Direktheit. Oder sie verärgern einen. Entrinnen sollte man ihnen nicht können – es würde mich wundern, wenn dies nicht kalkuliert gewesen war. An diesem Anstoß wird die Kirche weiterhin einige Zeit zu knabbern haben.

Eine der gelungensten Anregungen aus seinem Pontifikat (jenseits der sozialethischen Zentrierung) finde ich im Schreiben über die Bedeutung der Literatur in der Bildung (2024). Franziskus spricht davon, dass Literatur die „Polyphonie der Offenbarung zu vertiefen“ suche, ohne diese Offenbarung auf die eigenen historischen Bedürfnisse und Denkstrukturen zu reduzieren, was eine Verarmung wäre. „Polyphonie der Offenbarung“: Wer so groß von Gott und der Welt denken kann, ist ein Meister spiritueller Theologie. Franziskus war und blieb ein geistlicher Mensch und ein menschlicher Geistlicher, der eben auf diversen Hierarchiestufen Christusnachfolge barmherzig und hoffnungsvoll zu leben suchte.

In seiner Einfalt spiegelte Jorge Mario Bergoglio dann auch als Papst Franziskus der Kirche diese beiden zentralen Grundwerte, die sein Selbstverständnis prägten: Barmherzigkeit und Hoffnung. Er verpackte sie nicht in gelehrte Sprache. Er lebte sie und machte sie in seiner unerschrockenen und unbestechlichen Person sichtbar. Hoffnungsvoll, berührt und barmherzig stellte sich Franziskus der Not konkreter Menschen sehr konkret. Anders geht es ja auch nicht: Denn hier begegnet Christus. Und im Schrei der Armen soll Christus hörbar gemacht werden – bis in den Vatikan, bis in die bürgerlich geprägten Kirchenstrukturen der westlichen Welt. Mich wundert nicht, dass er Deutschland nicht besuchte. Die Stimmen der (armen) Ortskirchen nahm er als Papst immer in seine römische Kurie mit (auf dem Heimflug: die Pressekonferenzen). Solange wir (Gesellschaft, Kirche, Staat, Einzelne und Gemeinschaften) in der Welt nicht gerecht und solidarisch leben, und ökologisch und nachhaltig die Schöpfung pflegen, ehren und bewahren, läuft etwas falsch. Franziskus wurde nicht müde, dies noch und noch zu betonen. Hier konnte und kann es keine Gleichgültigkeit geben, egal, wie sehr sie mittlerweile globalisiert und gesellschaftsprägend geworden ist.

In seiner Einfalt verbot sich für Franziskus jeder selbstzentrierende Pomp, jedes Großtun, jede Selbstdarstellung. Der Papst bescheinigte seiner Kirche und ihrem Klerus, von dieser Krankheit zuweilen befallen zu sein. Wie könnte man so dem armen Christus arm nachfolgen und den Armen als Kirche dieser Armen dienen? Mir scheint, als sei dem gegenüber alles andere (dogmatische Exaktheit; Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre; Strukturreformen) ihm sehr sekundär gewesen („gering achten“). Deswegen die verwirrende und oftmals nervige Hemdsärmeligkeit seiner spontanen Äußerungen. Ihm schien bis zuletzt egal zu sein, dass vieles formal nicht ganz korrekt war. Selbst seinen letzten Segen reduzierte er ohne den schwulstigen Einleitungsteil auf die kurze Segensformel: Dass nur noch hierfür der Atem reichte, zeigt, dass Formen, Lehre und Disziplin auf Wesentliches reduzierbar sind. Wie der Blick auf den Menschen.

Was bleibt? So viel und so wenig wie von jedem Pontifikat. Franziskus hat ausgelotet, wie weit man das Papstamt menschlich prägen kann. Ob dadurch wirklich ein Schaden entstanden ist? Sein Vorgänger hatte ausgelotet, wie weit eine Person amtspäpstlich werden kann. War dies etwa würdevoller? Woran bemisst man Würde, woran Schaden? Beide haben in ihrer markanten Unterschiedlichkeit die Bandbreite des päpstlichen / bischöflichen Amtes dargestellt. Dass auf einen Benedikt ein Franziskus folgte, war notwendig.