"Wenn wir gute Schulen wollen, dann brauchen wir Lehrer*innen, denen es in ihrem Beruf gut geht“

Einblicke
Eine Lehrerin steht vor einer Schulklasse.

Lehrermangel, Stundenausfall, Burnout. Diese drei Wörter hört man oft, wenn es um unsere Schulen geht. Und die Forderung, etwas gegen diese Probleme zu tun: weniger Bürokratie, bessere Ausstattung, mehr Geld. Aber ist das schon die Lösung? „Nein“, sagt PD Dr. habil. Benjamin Dreer-Göthe, wissenschaftlicher Geschäftsführer der Erfurt School of Education, der Einrichtung für die Lehrerbildung an der Universität Erfurt. „Es braucht weit mehr als das. Es geht um Anerkennung, soziale Unterstützung und Zufriedenheit.“ In seiner Forschung beschäftigt sich der Bildungswissenschaftler u.a. mit dem Wohlbefinden von Lehrer*innen. Von seinen Forschungsergebnissen können nicht nur sie, sondern auch Schüler*innen und die Lehramtsstudierenden der Uni Erfurt profitieren.

Unternehmen wissen es schon längst: Zufriedene Beschäftigte machen einen besseren Job. Zahlreiche Forschungen hierzu füllen die Regale der Universitätsbibliotheken. „Dieser Wissensvorsprung muss sich doch auch für unsere Lehrer*innen nutzen lassen“, sagt Benjamin Dreer-Göthe, der in seiner Forschung Konzepte aus der Psychologie auf den Lehrberuf überträgt. So zum Beispiel das „PERMA-Modell des Wohlbefindens“ oder das Konzept des „Job Crafting“.

Das PERMA-Modell konzentriert sich auf fünf Schlüsselelemente von Wohlbefinden: positive Emotionen, Engagement, Beziehungen, Sinnerleben und Zielerreichung. Benjamin Dreer-Göthes Erhebungen zeigen, dass insbesondere positive Emotionen und Zielerreichung im Zusammenhang mit Berufszufriedenheit von Lehrer*innen stehen. Was bedeutet das nun für den Lehrberuf? „Ganz einfach!“, sagt der Bildungswissenschaftler, „Lehrer*innen müssen dabei unterstützt werden, ihre beruflichen Ziele zu erreichen und positive Emotionen, wie Freude, Stolz, Dankbarkeit und Inspiration im Berufsalltag zu erleben.“ Das kann durch die Art wie wir Schulen und Arbeitsabläufe gestalten, stark beeinflusst werden. Vor allem in Zeiten des Lehrkräftemangels ist es wichtig, die Lehrer*innen, die schon an Schulen arbeiten, nicht zu vergessen. „Zufriedene Lehrkräfte bilden das Rückgrat unseres Schulsystems, denn sie melden sich im Vergleich zu unzufriedenen Lehrer*innen wesentlich seltener krank und geben ihren Job in hoch anstrengenden Phasen nicht einfach auf.“ Es gibt aber noch mehr gute Gründe, sich mit dem Wohlbefinden der Lehrkräfte zu befassen: „Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Lehrer*innen, die sich im Beruf wohlfühlen, offener gegenüber neuen Methoden und im Umgang mit unvorhergesehen Ereignissen sind. Es gelingt ihnen meist besser, eine gute Beziehung zu den Schüler*innen aufzubauen, weshalb diese dann auch gern zur Schule gehen und im Unterricht motivierter sind.“ Auf das Wohlbefinden unserer Lehrkräfte zu achten, sei – so schlussfolgert Dreer-Göthe – ein gesamtgesellschaftliches Anliegen. Zugleich hätten auch die Lehrkräfte selbst individuelle Möglichkeiten zur Mitgestaltung. So könne zum Beispiel jede Lehrkraft den Effekt positiver Erlebnisse verstärken und sich etwa am Ende eines Tages fragen: Was war heute gut? Welcher Schüler hat mich positiv überrascht? Welche Schülerin macht Fortschritte? „Es geht darum, den Fokus sehr bewusst auf die positiven Erlebnisse zu legen. Negative Ereignisse nehmen oft von selbst viel Raum ein.“ Sich der positiven Wirkung bewusst zu werden, dazu könnten auch Alumni-Treffen beitragen. Nichts zeige die Leistung der Lehrkräfte besser als der berufliche und private Erfolg ihrer ehemaligen „Schützlinge“. Darauf könnten und sollten Lehrer*innen stolz sein. Dafür verdienten sie Anerkennung.

Ein weiterer Ansatz für das Wohlbefinden im Beruf ist das Job Crafting. Hier geht es darum, die täglichen Arbeitsabläufe nach den eigenen Vorlieben mitzugestalten. Welche Tätigkeiten bereiten mir die meiste Freude? Mit welchen Kolleg*innen möchte ich mich umgeben? Welche Themen interessieren mich persönlich und wie kann ich sie in die schulische Arbeit einbringen? Welches Denken über die Arbeit hilft mir beim Abschalten? So wird aus einem „Muss“ ein „Kann“: „Ich bin der Schule, wie sie gestaltet ist, nicht völlig ausgeliefert. Ich kann meinen Arbeitsbereich auch selbst ein Stück mitgestalten.“ Besser noch kann es laufen, wenn aus dem individuellen ein gemeinsames Job Crafting wird. „Das bedeutet, dass sich das gesamte Kollegium auf Abläufe und Regeln verständigt und so zum Beispiel die Vereinbarung schließt, sich gegenseitig keine dienstlichen E-Mails am Wochenende zuzusenden. Das Gute am Job Crafting: Es kann erlernt und trainiert werden.“

An der Universität Erfurt nehmen schon angehende Grund- und Regelschullehrer*innen an einem verpflichtenden Kurs zum Wohlbefinden im Lehrberuf teil. Dafür hat Benjamin Dreer-Göthe ein Online-Angebot entwickelt, in dem die Studierenden einen zehnteiligen Audiopodcast hören. Die Folgen spricht er selbst ein. Diesen Begleitkurs zum Praxissemester können sich die künftigen Lehrkräfte dann beispielsweise auf dem täglichen Weg zur Schule anhören. „Das könnte dabei helfen, die universitären Inhalte besser mit den Erfahrungen und Beobachtungen in der Schulpraxis zu verbinden“, sagt Benjamin Dreer-Göthe. Alle zwei Wochen in der Vorlesungszeit gibt es eine neue Folge. Der Podcast vermittelt Inhalte der positiven Psychologie, liefert Übungen und Aufgaben und regt an, nicht nur sich selbst, sondern auch die Kolleg*innen zu beobachten. Der Bildungswissenschaftler ist überzeugt: „Positiv eingestellte Lehrer*innen machen nicht nur positive Schüler*innen, sondern auch positive Studierende im Praktikum.“ Ein Ansteckungseffekt: „Mit einer guten Ausbildung helfen alle an der Lehrerbildung Beteiligten dabei, die angehenden Lehrkräfte auf die großen Anforderungen ihres Berufs vorzubereiten. Einen positiven Blick auf Praxiserfahrungen und den künftigen Beruf der Studierenden zu kultivieren, kann da nicht schaden.“

Kinder lernen in der Schule viel mehr als lesen, schreiben und rechnen. Sie lernen, die Welt zu verstehen und sich in ihr zurechtzufinden. Damit legt die Schule den Grundstein für eine erfolgreiche Zukunft. „Wenn wir Eltern fragen, was sie sich für sie Schulzeit ihrer Kinder wünschen, hören wir als Antwort oft, dass sie glücklich sein mögen und gern zur Schule gehen. Aber wenn wir gute Schulen wollen, dann brauchen wir Lehrer*innen, denen es in ihrem Beruf gut geht“, sagt Benjamin Dreer-Göthe. „Für diesen Job brauchen sie jeden Tag einen vollen Akku!“

Im Frühjahr dieses Jahres wurde PD Dr. habil. Benjamin Dreer-Göthe in die Expertengruppe der Europäischen Kommission zur Förderung von Wohlbefinden an Schulen berufen. Als einziges Mitglied aus Deutschland berät er in der Arbeitsgruppe mit 27 Kolleginnen und Kollegen aus ganz Europa, wie das Wohlbefinden an Schulen stärker in der europäischen Bildungspolitik verankert werden kann. Im Teachers of Europe-Podcast der EU-Kommission gibt er vertiefende Einblicke in seine Forschungsergebnisse.

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Wissenschaftlicher Geschäftsführer
(Erfurt School of Education)
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